Ein Stich, der Leben rettet

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Auch in Österreich steigt die Zahl der Impfgegner. Sie haben mehr Angst vor allfälligen Impfschäden als vor dem Risiko von Mumps, Masern und Co. Stirbt dann doch ein Kind an einer dieser Krankheiten, ist der mediale Aufschrei groß, und rasch wird eine Impfpflicht diskutiert. Im Judentum wird das Impfen empfohlen.  Von Alexia Weiss

Debby Kratz-Lieber vertritt eine klare Haltung zum Thema Impfen: „Meiner Meinung nach sollten alle vom Kinderarzt empfohlenen Impfungen bei Kindern durchgeführt werden. Neben meinem persönlichen Anliegen, mein Kind möglichst gesund und gestärkt durchs Leben zu begleiten, sehe ich es auch aus der religiösen Perspektive“, so die Mutter eines zweieinhalbjährigen Buben. „Die Thora verlangt von uns, dass wir auf unseren Körper achten, und dazu gehören auch vorbeugende medizinische Maßnahmen wie Impfungen.“

„Es ist eine Verpflichtung gemäß der Tora, sich um die körperliche Gesundheit zu kümmern. Das beinhaltet auch Prävention.“
Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister

Das bestätigt Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister. „Es ist eine Verpflichtung gemäß der Thora, sich um die körperliche Gesundheit zu kümmern. Das beinhaltet auch Prävention.“ Beim Thema Impfen müsse man abwägen: Wie groß sei die Wahrscheinlichkeit, einen Impfschaden zu erleiden auf der einen Seite – und wie groß das Risiko, bei einer Erkrankung entweder zu sterben oder bleibende Schäden davonzutragen. „Und die Wahrscheinlichkeit, an einer Kinderkrankheit zu erkranken und zu sterben oder Schäden davonzutragen, ist um ein Vielfaches höher als jene, durch eine Impfung geschädigt zu werden.“ Daher empfehlen er und viele andere Rabbiner Eltern, ihre Kinder impfen zu lassen, wiewohl Hofmeister betont: „Von einem Impfzwang halte ich nichts. Das würde nur wieder gesellschaftlichen Gegendruck erzeugen. Man muss aufklären und überzeugen.“

Diese Überzeugungsarbeit leistet die Wiener Kinderärztin Sylvia Stein-Krumholz mittlerweile seit Jahrzehnten in ihrer Kassenordination in der City. Als Assistenzärztin hat sie zwei Mädchen nach einer Masernerkrankung „elendiglich zugrundegehen sehen“. Das präge. „Ich habe mir geschworen, so etwas zu verhindern. Eine Komplikation der Masernerkrankung ist eine Zersetzung eines Teils des Gehirngewebes. Das beginnt mit dem Verlust motorischer Fähigkeiten, und am Ende sind diese Kinder Pflegefälle. Bis zum Tod kann es Wochen und Monate dauern, und das ist nicht schön anzusehen.“

Aber auch Feuchtblattern, die immer noch von vielen auf die leichte Schulter genommen würden, könnten massive Schäden nach sich ziehen. Stein-Krumholz zählt zu ihren Patienten Zwillingsschwestern, deren Mutter in der Schwangerschaft an Feuchblattern erkrankte und die somit im Mutterleib diese Krankheit durchgemacht haben. Beide Kinder kämpfen bis heute mit den Folgen von Organschädigungen.

Irrationale Ängste

Die Ärztin bemüht sich daher, Eltern von Neugeborenen zu überzeugen, ihre Kinder gemäß den Empfehlungen des österreichischen nationalen Impfplans impfen zu lassen, und versorgt sie dabei auch mit Materialien der Österreichischen Liga für Präventivmedizin (ÖLPM). Für jede Impfung hat die ÖLPM ein leicht verständliches Informationsblatt herausgebracht. Darauf sind sowohl die Auswirkungen einer Erkrankung als auch mögliche Nebenwirkungen der Impfung angeführt.

Zu Letzteren merkt die Kinderärztin an: Ja, es könne zu Fieber kommen. Und auch Rötungen der Haut und Schwellungen rund um die Einstichstelle seien möglich. All das vergehe aber wieder. Ein bleibender Impfschaden sei ihr bisher aber noch nicht untergekommen – „und ich habe bereits eine sechsstellige Anzahl von Kindern geimpft. “ Von früheren Impfstoffen gegen Keuchhusten und Pocken seien mit der Impfung verbundene Schäden bekannt geworden – das sei aber Jahrzehnte her und die Impfstoffe lange nicht mehr am Markt. Heute würden Impfstoffe, die auch nur im Verdacht stünden, Schäden zu verursachen, gar nicht mehr auf den Markt gebracht. Das könnte sich kein Pharmaunternehmen angesichts der dann drohenden Klagen leisten.

Stichwort Pharmaindustrie: Auch Stein-Krumholz ist immer wieder mit Eltern konfrontiert, „die hier eine gewisse Paranoia an den Tag legen, wonach Pharmafirmen Stoffe entwickeln, um an Menschen zu experimentieren oder einen tollen finanziellen Nutzen daraus zu ziehen“. Grundsätzlich kämen die Kritiker meist mit pseudowissenschaftlichen Argumenten, brächten irrationale Ängste vor oder es würden in der Familie aufgetretene Erkrankungen mit Impfungen in einen Zusammenhang gebracht, ohne dass dazu nachvollziehbare Befunde vorgelegt werden könnten. Das Internet sie hier „nicht immer ein Segen“ und habe diese Tendenzen massiv verstärkt.
Die Haltung Stein-Krumholz’ ist klar: Wenn Eltern auch noch rund um den ersten Geburtstag ihres Kindes das Impfen verweigern, „dann verweigere ich die weitere Behandlung. Ich kann die Verantwortung einfach nicht übernehmen.“ So wie sie würden inzwischen auch einige andere Kinderärzte handeln.

Wie auch Rabbiner Hofmeister spricht sich die Ärztin allerdings gegen eine Impfpflicht aus. „Man muss Eltern überzeugen, sodass sie verstehen, dass man den Kindern etwas Gutes tut, wenn man sie impft.“ Das Impfen habe wesentlich zur Verringerung der Säuglings- und Kindersterblichkeit beigetragen und viele Folgeerkrankungen verhindert. ◗

INFO
Hier kann der Österreichische Impfplan 2015 mit zahlreichen Erläuterungen heruntergeladen werden:
bmg.gv.at/Oesterreichischer_Impfplan_2015

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