Der sudanesische Tellerwäscher und die Hängenden Gärten der Bahai

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Ich habe noch nie einen Bahai kennen gelernt. Was ich aber weiß, ist, dass eines der wichtigsten Elemente der Bahai-Religion die Nächstenliebe ist. Ohne nach dieser zu suchen, habe ich sie in den Hängenden Gärten der Bahai gefunden. Von Iris Lanchiano

Haifa ist anders. Israels drittgrößte Stadt ist Herberge verschiedener Religionen und ethnischer Gruppierungen. Juden, Christen, Druzen, Bahai, Muslime wohnen hier respektvoll nebeneinander.

Ein Spaziergang in Downtown Haifa führt mich zuerst in den arabischen Stadtteil Wadi Nisnas. Authentisch, arabisch, israelisch. Der Duft von getrockneten Früchten, orientalischen Gewürzen und Katzenurin vermischt sich in meiner Nase. Letzterer kommt nicht von unseren Bekannten Mitzis und Schnurlis, sondern von den vielen Straßenkatzen, die zwischen dem Kohlgemüse von gestern und den Fischabfällen hausen. Hinter jeder Ecke der heterogenen Hafenstadt wartet eine Überraschung. Es ist wie eine kleine Reise zwischen Ost und West – Geschäfte für Weihnachtsdekoration versus Schuk für „alte Sachen“. Während ich meinen Weg in Richtung Bahai-Garten weitergehe, merke ich, dass die Reihung der Häuser auf einmal eine Ordnung hat. Das muss die Deutsche Kolonie sein. Ja, die deutschen Inschriften an den Türrahmen verraten es. Ein Blick auf den Carmel und voilà: die Hängenden Gärten. Sie ziehen ganz schamlos alle Aufmerksamkeit auf sich. UNESCO-Weltkulturerbe und Wahrzeichen der multikulturellen Stadt.

Ein Blick auf den Carmel und voilà: die Hängenden Gärten. Sie ziehen ganz schamlos alle Aufmerksamkeit auf sich.

sudanesIch mache es mir auf einer Bank gemütlich und beobachte drei sudanesische Männer, die sich gegenseitig vor den Hängenden Gärten der Bahai fotografieren. Einer der drei hat einen Rucksack mit und nimmt ein sauber zusammengefaltetes und gebügeltes Hemd heraus. Das Hemd zieht sich in der Folge jeder der Gruppe für ein Einzelfoto vor den Bahai-Gärten an. Nach und nach kommen noch weitere Männer dazu – eine Gruppe von sieben sudanesischen Männern, herausgeputzt mit Gucci-Lederimitat-Gürteln und Smartphones, die in einem Halbkreis stehen und über den besten Winkel für ihre Erinnerungsfotos diskutieren.

Das Hemd wird weitergegeben, und während ich dieses Bild beobachte, ertappt mich einer der Männer beim Schmunzeln. Er bewegt sich in meine Richtung und fragt mich, ob ich ein Gruppenfoto von ihnen machen könne. Er, seine Freunde und die Hängenden Gärten der Bahai. Ein paar Worte Arabisch helfen sofort, um das Eis zu brechen, und alle lachen. Es geht zwar schwer mit Englisch, und doch kann ich mich rasch mit Afis verständigen. Eine stattliche Figur, eine Zahnlücke und ein kleiner Sprachfehler machen ihn mir sofort sympathisch, und aus ein paar Worten wird ein kurzes Gespräch.

Er erzählt mir, dass er in Beer Sheva als Tellerwäscher in einem Restaurant arbeite. Mit seinen Freunden sei er nun an seinem freien Tag nach Haifa gekommen, um die Gärten der Bahai zu sehen. Die Fotos werden gleich weitergeschickt an die Familie, die im Sudan geblieben ist. Afis hat eine Frau und eine kleine Tochter. Auf meine Frage, ob es ihm nicht schwer falle, so weit von seiner Familie entfernt zu sein, antwortet er: „Ich vermisse sie jeden Tag, aber wir reden oft auf Skype.“ Trotz der Lebensumstände gefällt es ihm in Israel, aber er weiß, dass er nicht für immer hier bleiben kann. „Zwei Jahre. Das ist das Maximum, dann ziehe ich weiter. Die Menschen hier haben Angst vor uns.“ Wir lächeln einander an, und ich sage zu ihm: „Ich habe keine Angst vor dir.“ Zum Abschied machen wir noch ein gemeinsames Foto.

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