„Und was passiert jetzt?“

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Die Historikerin Shoshana Duizend-Jensen gibt Flüchtlingen Deutschunterricht. Ihr Engagement wird nicht nur mit Zustimmung quittiert.  Von Alexia Weiss   

Im Sommer, als Flüchtlinge zu Tausenden nach Österreich strömten, ist die Wiener Historikerin Shoshana Duizend-Jensen wie so viele andere auch vor den Fernsehnachrichten gesessen, dann zu den Bahnhöfen gefahren, hat spontan zuerst Süßigkeiten für Kinder gebracht, dann Kleidung und Spielzeug. „Schon lange, bevor der furchtbare Fund auf der A4 gemacht wurde, hat mich das Thema nicht mehr losgelassen. Es hat mich nichts anderes mehr beschäftigt.“

Sie wusste, sie wollte sich irgendwie engagieren. Sie wusste aber noch nicht, was sie konkret beitragen könnte. Die Hohen Feiertage zogen ins Land. „Und dann kamen diese Aufrufe: Spenden Sie nicht nur, schenken Sie auch Zeit!“ Duizend-Jensen ließ sich beim Arbeiter-Samariter-Bund als freiwillige Helferin registrieren. Der erste Termin, den sie wahrnahm: Schuhe sortieren im Otto-Wagner-Spital. „Das war schwierig, weil es schwere körperliche Arbeit war.“

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der Hass auf alles Fremde.““ font_container=“tag:h3|text_align:left|color:%000″ google_fonts=“font_family:Droid%20Serif%3Aregular%2Citalic%2C700%2C700italic|font_style:400%20italic%3A400%3Aitalic“]

Der nächste Termin: Pavillon 12, ein Notquartier im ehemaligen Geriatriezentrum in Lainz. Dort bot sie an, mit den Kindern zu spielen. Doch als ein 13-jähriger Afghane mit seinen Deutschunterlagen zu ihr kommt, beginnt sie, mit ihm zu lernen. Andere folgen, und bald hat sie eine kleinere, schließlich eine immer größer werdende Gruppe an Deutschschülern und -schülerinnen um sich geschart. Jeden Dienstagvormittag vermittelt sie nun die deutsche Sprache. Es sind mehrheitlich Afghanen, aber auch Syrer, um die sie sich hier kümmert – die großteils auch kein Englisch sprechen. Die Verständigung klappe dennoch gut, erzählt Duizend-Jensen. „Ich zeichne viel, und wenn es gar nicht anders geht, habe ich mir auf dem Handy eine Übersetzungsapp heruntergeladen.“

In der Familie, am Arbeitsplatz, aber auch im jüdischen Freundeskreis ist sie mit ihrem Engagement nicht nur auf Zustimmung gestoßen. „Teilweise wurde das sehr kontroversiell aufgenommen – feindlich, ein bisschen lächelnd, dann wieder bewundernd.“ Was ihr insgesamt leid tut: Sie habe niemanden bewegen können, ebenfalls aktiv zu werden. Woran das liege? „Es ist wahrscheinlich die Angst, mit Muslimen in Kontakt zu kommen. Dass man sich als Jude oder Jüdin mit den Islam betreffenden Themen konfrontieren muss. Manchmal ist es auch Desinteresse. Oder Zeitmangel – das wird jedenfalls vorgeschoben. Ich denke, dass am Sonntag jeder etwas Zeit erübrigen könnte.“

Dezidiert als Jüdin und Israelverbundene geoutet hat sie sich in ihrer Arbeit mit Flüchtlingen bisher nicht. Wer sie aber als traditionsbewusste Jüdin sehe und ihren Vornamen – Shoshana – lese, der könne eins und eins zusammenzählen. Was sie nicht möchte: „Diskussionen über Israel. Das will ich absolut nicht. Ich möchte nicht die Beziehung, die ich aufgebaut habe, durch dieses Thema belasten. Da habe ich einfach Sorge – vielleicht ist die aber auch unbegründet.“ Bisher seien ihr jene Flüchtlinge, die zu ihr dienstags zum Deutschlernen kommen, nämlich ausschließlich „unheimlich freundlich“ begegnet. „Ich fühle mich dort wertgeschätzt. Ich fühle mich dort gut aufgenommen.“ Insgesamt bekomme sie hier sehr viel zurück: „Vor allem eine wirkliche, echte Dankbarkeit. Und ich bin so verbunden mit Menschen, die sehr Schweres erlebt haben. Was mich vorher so nervös gemacht hat: Anteil zu nehmen, ohne wirklich etwas tun zu können. Und jetzt kann ich etwas tun. Und ich weiß dann auch, wovon ich spreche, wenn ich Flüchtlinge und deren Fluchtgründe verteidige.“

Auch Shoshana Duizend-Jensen weiß jedoch, „dass die Anschläge in Paris und die Ereignisse in Köln hier stimmungsmäßig natürlich viel verändert haben. Da hat sich in den Köpfen der Menschen manches umgedreht. Die, die noch freundlich waren, sind distanziert geworden.“ Nichtsdestotrotz sagt sie: Gerade als Jüdin sieht sie hier auch eine Verpflichtung zu helfen. „Ich bin Historikerin. Und da habe ich die Bilder von flüchtenden Menschen vor Augen, von Menschenmengen, die an geschlossene Grenzen kommen. Die Geschichte der verzweifelten Suche nach Fluchtmöglichkeiten von Juden und Jüdinnen in den Jahren 1938 und 1939 ist bekannt. Schließlich sind 64.000 Österreicher ums Leben gekommen. Auch ich bin eine Nachfahrin von Flüchtlingen vor Hitler. Daraus ergibt sich für mich eine Verpflichtung, sich zumindest aus der Obergrenzen-Diskussion herauszuhalten.“

Sie sei naiv und blauäugig, das hat Dui­zend-Jensen schon gehört. Wie sie darauf reagiere? „Ich bin dann oft ratlos – mir fehlen die Worte. Es ist das Letzte, was wir jüdische FlüchtlingshelferInnen wollen, dass Juden jetzt wirklich Angst haben müssen. Und ich will das auch überhaupt nicht schönreden. Es werden unter den Flüchtlingen sicher einige sein, die sich radikalisieren könnten. Das wissen alle. Was mir aber mehr Sorgen macht, sind die salafistischen und radikalislamischen Bewegungen, die hier schon etabliert sind und die hier nun ein Feld von vornehmlich jungen Männern sehen, die absolut unbeschäftigt und unbetreut in diesen Flüchtlingsunterkünften sind. Den Menschen fällt die Decke auf den Kopf. Außer dass sie Deutsch lernen, wissen sie nicht mehr, wie sie sich beschäftigen sollen. Da mache ich mir dann schon Sorgen, dass islamistische Strömungen hier ein Betätigungsfeld sehen.“

Wie man dem gegensteuern könnte? „Es müssten viel mehr Österreicherinnen und Österreicher einen Flüchtling als Paten betreuen. Wenn man sich mit den einzelnen Personen beschäftigt, ihnen zuhört, Deutsch lehrt, kann man auch immer besser kommunizieren und ihnen die Welt nahe bringen, in der wir leben. Dass es hier Frauenrechte gibt. Dass, wer sich hier öffentlich antisemitisch äußert, Gefahr läuft, strafrechtlich verfolgt zu werden. Vor allem aber geht es darum, sich willkommen zu fühlen.“

Duizend-Jensen will ihre Arbeit mit den Flüchtlingen fortsetzen, auch wenn die Notunterkunft, die sie nun jeden Dienstag aufsucht, eines Tages geschlossen werden sollte. Dann möchte sie eine der Familien, mit denen sie Deutsch lerne, einfach als Patin weiterbetreuen. „Ich sehe weiter meinen Platz hier. Aber es wird enger. Es ziehen sich immer mehr Freunde zurück oder äußern sich nicht mehr politisch. Ein bisschen wird man zur Einzelkämpferin. Das ist mühsam.“

Von der Politik erwartet sie „das Gegenteil von dem, was derzeit passiert. Nämlich, dass wir eine offene, tolerante Haltung gegenüber den Schutzsuchenden haben. Dass wir Menschen nicht ins Elend zurückschicken. Und dass man sich nicht vor den rechten Populisten niederkniet – und das passiert leider, auch seitens der SPÖ. Dass endlich die europäische Lösung kommt, nach der jeder ruft – statt sich in Nationalismen zu ergehen. Was mir als Angehörige der zweiten Generation nach dem Holocaust wirklich Angst macht, ist nicht die Flüchtlingsbewegung, sondern das sind die zunehmenden rechtsextremen Straftaten, der Hass auf alles Fremde. Ich weiß nicht, wo das enden wird. Als Juden sagen wir seit Jahrzehnten: Alle haben zugeschaut, damals. Und was passiert jetzt?“

Bild: © Daniel Shaked

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