Ungarns Weg in die Isolation

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Viktor Orbán und seine FIDESZ werden bei den Wahlen im April mit großer Wahrscheinlichkeit erneut eine regierungsfähige Mehrheit erhalten – wohin aber führt er sein Land? Kommetar von Anton Pelinka

Ungarn steht vor der siebenten Wahl seit dem Beginn der Demokratie 1990. Die Meinungsumfragen deuten an, dass Viktor Orbán und seine Partei der Jungdemokraten (FIDESZ) wieder eine regierungsfähige Mehrheit gewinnen könnten. Verlierer wären die sozialdemokratische MSZP, die von 1994 bis 1998 und wieder von 2002 bis 2010 an der Regierung war; und die rechtsextreme Jobbik, die das auf die Interessen von FIDESZ zugeschnittene neue Wahlrecht treffen wird. Dieses Wahlrecht begünstigt die großen Parteien, und das sind, erstens, FIDESZ und zweitens, ein von den Sozialdemokraten geführtes Wahlbündnis, dessen Schwäche freilich interne Konflikte sind.

FIDESZ ist Teil der Europäischen Volkspartei (EVP), also eine Schwesternpartei von CDU/CSU, ÖVP und (der französischen) UMP. Als FIDESZ im Vorfeld der ersten freien Wahlen 1990 gegründet wurde, verstand sich die Partei als liberal. Im Laufe der Jahre wurde sie von einer Partei der Mitte zu einer Partei, die am äußersten Rand der EVP steht. Denn FIDESZ spielt die nationalistische Karte. Orbán führte einen nationalen Gedenktag zur Erinnerung an den Friedensvertrag von Trianon ein – eine Geste, die von den Nachbarstaaten Slowakei, Rumänien und Serbien nicht gerade als freundlicher Akt gesehen werden kann; und der einem von der Regierung Angela Merkels 2010 beschlossenen Gedenktag zur Erinnerung an das Unrecht von Versailles entsprechen würde.

FIDESZ vertritt eine ungebrochen nationalistische Wahrnehmung der Geschichte – als ob Ungarn nicht Teil der EU wäre, deren Ziel ja die Aufhebung und nicht die Betonung von Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten ist. Und FIDESZ vertritt Positionen, die gerade jetzt voll zum Ausbruch kommen: Es jährt sich der 70. Jahrestag der Besetzung Ungarns durch deutsche Truppen. Daran wollte die Regierung mit der Errichtung eines Monuments erinnern, das den März 1944 als Ende der ungarischen Souveränität vermittelt. Damit wäre der Holocaust aus der ungarischen Verantwortung ausgelagert. Der Umstand würde verdrängt, dass die Regierung des Reichsverwesers Miklós Horthy 1941 sich an der Seite des nationalsozialistischen Deutschland am Überfall auf Jugoslawien und auf die Sowjetunion beteiligt hatte.

Dem war schon vorausgegangen, dass Ungarn Gebiete besetzte, die ihm auf Kosten der Slowakei und Rumäniens (und schließlich auch Jugoslawiens) vom NS-Staat „geschenkt“ worden waren. Verdängt sollte auch werden, dass der Holocaust zwar von der SS geplant, aber von der ungarischen Gendarmerie durchgeführt wurde: im Frühjahr und Sommer 1944, zu einer Zeit, als Miklós Horthy als Staatsoberhaupt agierte. Und Horthy demonstrierte auch seine Verantwortung, als er im Sommer 1944 die Züge nach Auschwitz stoppen ließ, nachdem schon Hunderttausende in die Todeslager transportiert worden waren. Im Sommer 1944 hatte Horthy erkannt, dass er für den von ihm geplanten Seitenwechsel im Krieg den Alliierten eine Vorleistung zu erbringen hätte. Und schon wurden die Transporte nach Auschwitz gestoppt – woran Horthy zuvor kein Interesse gezeigt hatte.

„Dass die latent autoritäre Politik Ungarns in Grenzen bleibt, dafür zu sorgen ist Aufgabe der Europäischen Union.“

Dass es in der ungarischen Gesellschaft aggressive Vorurteile gegen Juden und Roma gibt, ist nichts Neues. Antisemitismus und Antziganismus sind nicht das Produkt der Politik der Regierung. Orbán betont grundsätzlich zurecht, dass er und seine Partei sich von Jobbik unterscheiden: Jobbik ist die offene Stimme eines mörderischen Vorurteils, das sich auch massiv gegen den Staat Israel richtet. Das ist nicht die Politik der Regierung. Aber Orbán steht im Wettbewerb mit der rassistischen Jobbik, und deshalb macht er da und dort Konzessionen: Antisemiten werden in kulturpolitische Positionen berufen, und mit einem revisionistischen Nationalismus wird geflirtet, der in Europa keinen Platz mehr haben sollte.

Orbáns Politik bedient den Nationalismus auch in der Wirtschaftspolitik: Europäische Banken werden zu Sündenböcken gemacht, und österreichischen Bauern werden rechtsgültig geschlossene Nutzungsverträge aufgekündigt. Orbáns Politik trägt nationalistische und sozialistische Züge.

Ungarns Gesellschaft ist tief gespalten. Dass Orbán am Beginn seiner Amtszeit 2010 unter Nutzung der Zweidrittelmehrheit im Parlament eine neue Verfassung durchgeboxt hat – die sich in ihrer Präambel auf ein christliches Erbe beruft, ist legal korrekt, politisch aber unklug. Eine stabile Verfassung sollte sich auf einen breiten Konsens stützen. An einem solchen war Orbán aber nicht interessiert.

Dass die latent autoritäre Politik Ungarns in Grenzen bleibt, dafür zu sorgen ist Aufgabe der Europäischen Union. Wann immer die ungarische Regierung demokratische Grundwerte zu verletzen droht (durch die Neigung, Medien einer schleichenden Regierungskontrolle zu unterwerfen, wie auch die Eingriffe in die Struktur der Justiz), sind es die Europäische Kommission und das Europäische Parlament, die eingreifen. Solange Ungarn Mitglied der EU bleiben will – und Orbán und seine Partei wollen dies offenkundig, wird Schlimmeres verhindert.

pelinka1Anton Pelinka,
Professor für Politikwissenschaft
und Nationalismus-Studien an der
Central European University
in Budapest.

© apa picturedesk.com/Divyakant Solanki

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