Verschwommene Identität

Je komplizierter die eigene Identität, umso schwieriger kann es sein, eine Gemeinschaft zu finden. Das merkte Anita Gottlob schon früh. Mit Anna Goldenberg sprach sie darüber, wo sie sich zuhause fühlt.

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Ich weiß nicht, als was ich mich fühlen darf.“ Je älter Anita Gottlob wird, desto verschwommener sei ihre Identität. Die ersten zwölf Jahre ihres Lebens war es noch vergleichsweise einfach: Mit italienischer Mutter, österreichischem Vater und Großvater jüdischer Abstammung wuchs Anita in Wien auf und besuchte die französische Schule. Dann begleitete sie eine Freundin zu einem Treffen der Jugendbewegung Hashomer Hatzair; nach wenigen Wochen fühlte sie sich, als sei sie immer schon dabei gewesen.

Als sie 14 war, zog die Familie nach Oxford; was die örtliche Synagoge als Jugendprogramm bot („Suppe essen und Eislaufen“), schien ihr unattraktiv, außerdem hatte sie Angst, nicht akzeptiert zu werden. Was, wenn sie nicht jüdisch genug war? Stattdessen fuhr sie in ihren Schulferien auf Reisen vom Shomer und hielt mit ihren Freunden Kontakt. So kam sie zum ersten Mal nach Israel und lernte ihre Verwandtschaft kennen. Eigentlich wollte sie nach ihrem Schulabschluss auch unbedingt ein Jahr in Israel verbringen, doch dann entschied sie sich, gleich zu studieren.

Letztes Jahr, mit einem Bachelor und einem Master vom University College London in der Tasche, zog Anita wieder nach Wien. „Eines kann ich ausschließen: Als Britin fühle ich mich nicht, obwohl ich neun Jahre dort war“, erklärt die 24-Jährige. Das Jüdische sei viel tiefer in ihr drin, obwohl sie nicht religiös ist. Neben ihren jüdischen Freunden prägen das Wissen über Bräuche und Traditionen, die Freude am gemeinsamen Feiern, jüdische Witze und ein Interesse an Israel ihr Leben.

„… im Scherz scheint Unsicherheit mitzuschwingen,
sie würde den Vorgaben
nicht entsprechen.“

Doch tief drinnen bedeutet nicht gefestigt: Ob ich eh nicht ihr Bibelwissen abfrage, will sie vor dem Treffen wissen; im Scherz scheint Unsicherheit mitzuschwingen, sie würde den Vorgaben nicht entsprechen, als ob es richtige und falsche Juden gäbe. Es irritiert sie, wenn Menschen eine Identität beanspruchen, die ihnen ihrer Meinung nach nicht zusteht, und sie benutzen, um ihre Ansichten zu untermauern. Sie erzählt von einer Bekannten, die drei Jahre in Israel gelebt hatte und sich in einer Diskussion über Nahostpolitik als „Person aus dem Nahen Osten“ bezeichnete. „Das ist peinlich.“ So etwas will sie nie über sich hören.

Als was bezeichnet sie sich also jetzt? „Ich habe aufgehört, mich das zu fragen, weil es so kompliziert ist.“ Ihre Kinder würde sie auf jeden Fall in den Shomer schicken; schließlich ist es eine Gemeinschaft, zu der sie sich bis heute zugehörig fühlt: „Gäbe es einen Shomer für Erwachsene, würde ich hingehen.“

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