„Chaverim“ ist ein hebräisches Wort, das je nach Kontext viele Bedeutungen haben kann. Immer aber geht es dabei um die eine oder andere Form von Verbundenheit, wie sie vielleicht nur in Israel existiert. Von Gisela Dachs
Vor ein paar Wochen fand erneut der Jahrestag der Ermordung Jitzchak Rabins statt. Wer am 4. November 1995 noch nicht geboren oder ein kleines Kind war, dem fehlt die direkte Erinnerung an jenen tragischen Samstagabend, als ein jüdischer Israeli drei Kugeln auf den Premier abfeuerte. Man kennt aber die Fernsehaufnahmen und die Lieder, die Rabin damals auf der Großdemonstration für den Frieden – zu seiner Unterstützung organisiert in Tel Aviv – mitgesungen hat. Manchmal sieht man auch noch die Aufkleber „Shalom Chaver“ in blauer, hebräischer Schrift auf weißem Hintergrund. Es wird im Allgemeinen übersetzt mit: Auf Wiedersehen, mein Freund. Mit diesen Worten hatte der amerikanische Präsident Bill Clinton seine Abschiedsrede am Grab beendet.
Clinton, so erzählte mir einer seiner früheren Redenschreiber, sei bei einem Brainstorming im Weißen Haus auf diese Formulierung gekommen. Sie traf mitten ins Herz. Vielleicht ja auch, weil „Chaver“ mit seiner Vieldeutigkeit gleich mehrere typische israelische Formen von Verbundenheit in sich vereint. Diese kann, je nach den Umständen, mehr oder weniger tief sein.
„Chaver“ bedeutet außer Freund nämlich auch Weggefährte, Kumpel, Genosse, Kamerad und Mitglied. Man kann „Chaver“ eines Vereins sein, eines Kibbuz, des Parlaments, der Gewerkschaft oder eines Komittees jeglicher Art, genannt „Vaad“. Überhaupt sind solche Komittees sehr verbreitet – ihnen gehören z. B. die Wohnungsbesitzer einer Hausgemeinschaft an oder die Elternvertreter einer Schulklasse. Es handelt sich um einen Interessenverband, innerhalb dessen es hoch hergehen kann, wenn sich die „Chaverim“ nicht einig sind.
Wer sich in einen Vaad wählen lässt oder sich freiwillig dafür meldet, übernimmt aber auch Verantwortung. Das soll früh gelernt werden. An der Tel-Nordau-Grundschule in Tel Aviv wurde deshalb – gleich nach nach der Wahl der Klassen-und Schulsprecher – eine neues Projekt zur Demokratieerziehung eingeführt. Dort gibt es neuerdings lauter kleine Komittees (Lesen, Sport, Kultur, Kunst), die sich einmal in der Woche eine halbe Stunde nach offiziellem Unterrichtsschluss mit einem Lehrer treffen und jede Menge kleine „Chaverim“ brauchen. Zum Startschuss gab es eine Feier im Pausenhof, und die Kinder haben ein Lied gesungen, in dem es heißt: „Was für ein Spaß, es gibt viele Chaverim, Chaverim jeglicher Couleur, braun, schwarz, orange und weiß, was für ein Spaß, dass es solche Chaverim gibt.“ Die Grenzen sind eben fließend zwischen Mitgliedern und Freunden.