Warum wir Yom Haatzmaut brauchen

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Die Feierlichkeiten rund um Yom Haatzmaut, den Unabhängigkeitstag, sind wie Streichhölzer, die uns Licht spenden. Ohne diese wäre es dunkel.     Von Iris Lanchiano

Man kann versuchen, sich seelisch auf  Yom Hazikaron, den Gedenktag für gefallene Soldaten und Opfer von Terroranschlägen, vorzubereiten. Doch es schlägt trotzdem immer wieder wie eine Bombe ein. Die Sirene, die seit dem letzten Krieg 2014 automatisch Gänsehaut verursacht, leitet den Trauertag ein. Gemeinsam stehe ich bei der offiziellen Gedenkveranstaltung in Tel Aviv mit hunderten fremden Menschen. Alle mit gesenktem Kopf und gefalteten Händen hinter dem Rücken. Ich kenne die Menschen um mich herum nicht, aber wir sind alle mit dem gleichen Ziel gekommen: der Opfer zu gedenken und den Angehörigen zu zeigen, dass wir an ihrem Schicksal Anteil nehmen.

Es muss ein Weg gefunden werden, um dieses Leid zu stoppen. Es muss ein Weg für Frieden gefunden werden.

Jedes Jahr steigt die Nummer der Opfer. Noch präsent sind die Gesichter der Opfer der letzten Terrorwelle, der „Messer-Intifada“, in unseren Köpfen. Auf einer großen Leinwand werden persönliche Geschichten der Gefallenen und ihrer Angehörigen erzählt. Untermalt wird das Ganze mit traurigen Liedern von zeitgenössischen israelischen Interpreten wie von der Band Jane Bordeaux. Obwohl ich mich seelisch darauf eingestellt habe und weiß, was auf mich zukommt, lassen mich die Geschichten der jungen Menschen nicht kalt. Viele der Soldaten, gerade einmal aus den Teenager-Jahren raus, hatten ihr ganzes Leben noch vor sich. Eine Lichtprojektion schreibt das Wort „Yizkhor“ (Erinnerung) in roten Buchstaben an das Rathaus in Tel Aviv. Die blau-weiße Fahne ragt von Fenstern, aus Autos und auf Straßenmasten.

Es ist für viele Israelis der schwierigste Tag im Jahr. In einem kleinen Land, in dem jeder davon betroffen ist. Ob die eigenen Freunde gefallen sind oder die Freunde deiner Freunde. Jeder kennt jemanden, der betroffen ist. Die immer wiederkehrende Frage in meinem Kopf, „Warum müssen so viele unschuldige junge Menschen sterben?“, bringt mich auch dieses Jahr zum Nachdenken. Es muss ein Weg gefunden werden, um dieses Leid zu stoppen. Es muss ein Weg für Frieden gefunden werden.

Um über diesen Verlust und die Trauer hinwegzukommen, brauchen wir Yom Haatzmaut, den Tag, an dem die Unabhängigkeit Israels gefeiert wird, Israels Geburtstag. Den Tag, an dem wir gemeinsam durch die Straßen ziehen, lachen und tanzen und ein Zeichen setzten. Ein Zeichen, dass wir trotz aller Hürden da sind. Voller Lebensfreude, in jedem Alter, säkular und religiös. Öffentliche Parks und Gärten sind gesteckt voll, und auch zum Strand verschlägt es viele. Es ist der Tag, um die warme Frühlingsluft zu genießen und sich einen Tag für die Familie zu gönnen. Dieser Tag zwingt dich, wieder aufzustehen und nach vorne zu schauen. Dich von dem Schmerz nicht unterkriegen zu lassen und den Sinn des Lebens zu definieren.

Ein Gespräch mit einem Taxifahrer am Yom Haatzmaut bestätigt meinen Gedanken: „Die Menschen hier in Israel brauchen Yom Haatzmaut, ansonsten wäre es schwer für die jüdische Seele, über all die Rückschläge hinwegzukommen. Letzte Woche der Schoah-Gedenktag und gestern der Gedenktag für Soldaten und Terroropfer. Wie viel Leid kann man ertragen?“ Diese zwei so denkwürdigen Tage, die im Kalender aufeinander folgen, könnten unterschiedlicher nicht sein. Es ist paradox, aber notwendig.

Gemeinsam zu trauern hilft, und gemeinsam zu feiern hilft auch. Sein Leid zu teilen mit Menschen, die Ähnliches durchgemacht haben, schenkt Kraft und Hoffnung. Diese Hoffnung muss gemeinsam zelebriert werden. Zusammen ist man weniger allein.

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