Wasserpfützen und Liebesgeständnisse

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Der Winter in Israel ist vor einem eines: nass. Monsunartige Regenschauer fördern nicht nur die hiesige Landwirtschaft, sondern auch das Miteinander. Von Iris Lanchiano

An einem Novembertag in Israel sollte man vor allem zwei Dinge mithaben: einen Regenschirm und eine Sonnencreme. Die Chancen sind 50:50, dass eines der beiden Dinge zum Einsatz kommt. Der Zick-Zack-Gang, um den riesigen Wasserpfützen auszuweichen, ist wie ein Gang im Labyrinth. Und dann passiert es doch: keine Ausweichmöglichkeiten, kein Erbarmen. Um die Straßenseite zu wechseln, muss das Fußgelenk einen Tauchgang machen. Obwohl auch schon im letzten Winter das Phänomen Regen auftrat, scheint es die Israelis immer wieder aufs Neue zu überraschen. Busse kommen zu spät, Veranstaltungen fallen aus, Straßen werden gesperrt. Die heurigen Regenfälle führten bereits zu Überflutungen und Stromausfällen in Teilen des Landes.

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Ob gewollt oder ungewollt, wer einen Regenschirm hat, wird zum Objekt der Begierde. Die israelische Denkweise „Ehiye Beseder“ (Alles wird gut) führt nämlich dazu, dass man sich lieber irgendwo unterstellt und abwartet, als den ganzen Tag einen Regenschirm mitzuschleppen. So kommt es vor, dass sich beim Warten auf die grüne Ampel einfach jemand Fremder mit einem Lächeln zu dir unter den Schirm stellt.

F151025BK06Am Haupteingang zur Universität Tel Aviv drängelt man sich so schnell es geht unter das Häuschen der Sicherheitsbeamten. Denn bevor man den Weg zu seiner Fakultät beschreitet, muss sich jeder ausweisen. Die Studenten werden erfinderisch, wenn sie keinen Regenschutz haben. So werden Plastiksackerl einfach über den Kopf gezogen, Zeitungen ausgebreitet oder der Rucksack auf den Kopf gestülpt.

Als ich meinen Knirps aufspanne, sehe ich sofort neidische Blicke um mich. Der Regen wird immer stärker, und teilweise hagelt es auch, als ich hinter mir jemanden „Darf ich unter deinen Schirm?“ sagen höre. Ich drehe mich um und sehe ein junges Mädchen, ganz durchnässt, weder wasserabweisende Jacke noch irgendeinen anderen Schutz vor dem kalten Nass. Ich nicke, und sie hängt sich bei mir ein: „Danke, du bist meine Rettung!“ Ich frage sie, warum sie bei so einem Wetter ohne einen Schirm aus dem Haus geht. „Ich habe keinen Schirm. Ich hatte nie einen. Wenn es regnet, warte ich ab. Wir haben es hier nicht eilig“, sagt sie, dann verabschiedet sie sich und eilt zu ihrer Vorlesung.

Ein anderer Schirm, der meine Aufmerksamkeit erregt, ist ein roter Schirm, aufgespannt am Dizengoff-Platz. Es ist bereits dunkel, und die Lichter der Fontäne wechseln in den unterschiedlichsten Farben. Unter dem Schirm steht ein Pärchen, das meine Blicke auf sich zieht. Der Mann hält einen kleinen Radioempfänger in der Hand, aus dem eine israelische Rockballade rauscht. Plötzlich stellt er ihn am Rand der Fontäne ab, geht im Regen auf die Knie und hält um die Hand seiner Begleiterin an. Einige Passanten bleiben stehen und fangen zu klatschen an. Kurz danach hört der Regen wieder auf.

In der Nacht donnert und blitzt es so laut, dass man das Gefühl hat, die Erde bebt. Es ist so laut, dass sich sogar die Straßenkatzen verkriechen, von den Kakerlaken ganz zu schweigen. Bevor ich ins Bett gehe, lege ich noch meinen Regenschirm zur Tür, damit ich ihn morgen ja nicht vergesse.

Bild: © Flash 90

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