„Weil das Schicksal zynisch ist“

Mit diplomatischem Feingefühl und klaren Argumenten arbeitet Melody Sucharewicz für ein besseres Verständnis der israelischen Positionen in Europa.

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© Dieter Werner

WINA: Sie wurden 1980 in München geboren und sind mit Ihren polnischen, österreichischen, französischen und rumänischen Wurzeln typisch für eine europäische Jüdin. Sie wanderten 1999 nach Israel aus, wo sie Ihre Studien in Soziologie, Anthropologie und Management an der Tel Aviv University absolvierten. Kamen Sie aus einem zionistischen Haus?
Melody Sucharewicz: Meine Großeltern waren Zionisten, meine Eltern sind Zionisten – ja, ich komme aus einem zionistischen Haus. Und wenn jemand in ein paar Jahren meine Kinder interviewt, werden sie das Gleiche sagen. Mein Vater widmet viel Lebenszeit dem politischen Support für Israel, er ging mit 18 Jahren in die israelische Armee. Meine Großmutter erzählte mir, wie stolz sie in Polen in ihrer Schuluniform mit Davidstern marschierte und hebräische Lieder sang. Als ich mit 19 nach Israel ging, strahlte sie.

Im Sommer 2006 haben Sie die zweite Staffel der israelischen Reality-TV-Show Hashagrir – The Ambassador gewonnen. Aus mehr als tausend Bewerbern schafften es 14 in die Endrunde. Sie gingen als Siegerin hervor. Ihre Mission: Eine Good-Will-Tour für Israel in aller Welt, u. a. bei den Vereinten Nationen und im Europäischen Parlament. Wie kam es dazu?
❙ Ein Bekannter arbeitete bei der Produktion von Hashagrir. Er überredete mich mitzumachen. Meine erste Reaktion war: „Vergiss es.“ Er blieb stur, und so habe ich an einem Seminar des Außenministeriums für 30 verbliebene Kandidaten mitgemacht. Dabei sollten die 14 Teilnehmer ausgewählt werden. Thema war eine moderne Kommunikationsstrategie für Israel. Ich sah darin eine Gelegenheit, konkret etwas für mein Land zu tun, also nahm ich teil.

Was waren die Anforderungen und Aufgaben?
❙ Die Anforderungen waren wie bei regulären Diplomaten: rhetorische Skills, Knowhow in internationalen Beziehungen und politischer Kommunikation, überzeugende öffentliche Auftritte. In Uganda hielten wir Reden vor 200 afrikanischen Journalisten; in Schweden überzeugten wir Menschen in der Fußgängerzone, für ein paar Wochen in einen Kibbuz zu gehen. Und in New York hielten ich und meine letzten beiden Mitstreiter eine Rede über den Friedensprozess vor Diplomaten im UNO-Hauptquartier.

Was waren die größten Herausforderungen in diesem Botschafter-Jahr?
❙ Gleich zu Beginn wurde ich vom Europäischen Parlament nach Brüssel eingeladen, um an einer Middle East Peace Conference teilzunehmen – gemeinsam mit einer Delegation der Arabischen Liga und einer kleinen Auswahl israelischer Politiker und NGOs. Ich musste mich mit Muhammad Stayyeh, einem führenden Unterhändler der Palästinensischen Autonomiebehörde, auseinandersetzen. Er beschwerte sich über israelische Checkpoints und dass Ambulanzen mit schwangeren Frauen aufgehalten werden. Der einzige Widerspruch kam von mir: Man müsse präventive von punitiven Maßnahmen unterscheiden. Ambulanzen wurden immer wieder von der Hamas missbraucht, um Waffen, Sprengstoff und Selbstmordattentäter wie Waffa Idris zu schmuggeln. Mein Statement war pragmatisch und basierte auf Fakten. Trotzdem waren die europäischen Gastgeber und die Palästinenser empört. Mir wurde klar, wie tief verankert die palästinensischen Narrative in Europa sind, wie verzerrt die Wahrnehmung und wie verbreitet das Halbwissen ist.

»Antisemitismus war vor dreizehn Jahren fast
ein Fremdwort in meiner Aufklärungsarbeit.
Das hat sich drastisch geändert.«

Melody Sucharewicz

Waren Sie persönlich Gefahren ausgesetzt?
❙ Einmal musste ich nach einem Vortrag in Zwickau (bevor der NSU-Fall publik wurde) evakuiert werden, weil einige Kerle im Publikum dem braunen Zwickauer Mob angehörten.

Internationale Beziehungen für das Peres Center for Peace in Tel Aviv und später Mentorin für Kommunikation und Strategie für politische und private Institutionen in Deutschland und Israel. Wie hat sich Ihre Arbeit für Israels Image in Europa – vor allem auch im deutschsprachigen Raum – in den letzten zehn Jahren verändert?
❙ Früher war friedliche Koexistenz und Austausch mit der palästinensischen Zivilgesellschaft ein wichtiges Ziel für mich. Mit der Zweiten Intifada wurde ich desillusioniert. Viele palästinensische NGOs und Aktivisten machen die Verleumdung Israels zur Bedingung für die Zusammenarbeit.
Antisemitismus war vor dreizehn Jahren fast ein Fremdwort in meiner Aufklärungsarbeit. Das hat sich drastisch geändert. Antisemitismus ist heute kaum mehr vom öffentlichen Diskurs über Israel zu trennen. Umfragen zeigen, dass wir ein gesellschaftspolitisches Monster in unserer Mitte haben. Über 40 Prozent der Menschen in Deutschland „verstehen, dass man was gegen Juden hat bei Israels Politik“. Der neue Antisemitismus ist unerträglich für Juden in Deutschland, in erster Linie aber gefährlich für Deutschlands Demokratie. Wenn Antisemitismus sich in der Mitte festfrisst, sieht die Zukunft dunkel aus.

Was kann man tun?
❙ Eine noch professionellere Informationspolitik machen. Die gute Nachricht ist, dass es in Deutschland zunehmend Organisationen gibt, die da schon erfolgreich dagegenarbeiten. Eine Pionierrolle hat die jüdische Gemeinde München übernommen: Sie hat vor drei Jahren ein Generalkonzept entwickelt, um Antisemitismus und Antizionismus professionell zu bekämpfen, und das funktioniert, weil immer mehr Gemeindemitglieder sich in koordinierten Projekten engagieren.

Es gibt also Hoffnung?
Ja, auch weil das Schicksal zynisch ist. Mit den muslimischen Flüchtlingen kam der islamische Antisemitismus nach Deutschland – und der Terror. Deshalb zeigen Politik, Medien und Gesellschaft heute mehr Verständnis für Israel.

Wie schwer ist es heute, Israel PR-mäßig „zu verkaufen“?
Schwer ist eigentlich nur, dass immer noch Chaos herrscht. Er gibt über 200 Organisationen allein in Deutschland, die sich für Israel einsetzen. Es gibt keine Koordinationsstelle, keine umfassende Strategie. Genau für dieses Problem bietet das Münchner Generalkonzept eine strategische Lösung. Wir haben Ethik, Moral und zivilisatorische Werte auf unserer Seite.
Erst kürzlich führte ich im Rahmen meiner Dissertation ein Interview mit einem ehemaligen islamistischen Terroristen, der Israel immer wieder als Ausnahmefall darstellte und sagte: „Trotz der ständigen Bedrohung durch Hisbollah und Hamas, trotz der komplexen geopolitischen Situation bleibt Israel seinen demokratischen Werten vorbildlich treu, respektiert Menschenrechte wie kein anderes Land in der Region.“

Sie leben mit Ihrer Familie als Europäerin in Tel Aviv. Stört es Sie, dass die Regierung Netanjahu, aber auch große Teile der israelischen Bevölkerung, den EU-Staaten so skeptisch und ablehnend gegenüber stehen?
❙ Europa hat historisch eine immens wichtige Rolle für Israel. Die Hälfte der Israelis hat europäische Wurzeln. Umso schwieriger ist es zu ertragen, wenn die EU Israel mit Doppelstandards behandelt. Wenn Produkte aus der umstrittenen Westbank gekennzeichnet werden müssen, die Europäische Kommission sich aber gegen den Boykott chinesischer Produkte aus Tibet ausspricht.
Eine Reihe weiterer Beispiele machen die Enttäuschung der israelischen Regierung Europa gegenüber für mich nachvollziehbar. Als Europäerin wünsche ich mir einen Paradigmenwechsel in Europas Politik: mehr Realismus und mehr Balance Israel gegenüber. Israel ist eine Schutzwand für Europas Werte und im Kampf gegen den Terror. Die einseitige Haltung gegenüber Israel schadet in erster Linie Europa selbst.

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