„Werde nie bereuen, es versucht zu haben“

Wie es dazu kam, dass er Verdi und Wagner gleich gerne singt, erzählt Boaz Daniel im Gespräch mit Marta S. Halpert

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Boaz Daniel. Der in Tel Aviv geborene Bariton studierte an der Rubin Academy of Music seiner Geburtsstadt und am Wiener Konservatorium. © Reinhard Engel

Interview mit Boaz Daniel

WINA: Sie sind bis Mitte Dezember als Bösewicht Franz in Giuseppe Verdis Räuber an der Wiener Volksoper zu sehen und zu hören. Bereits im Jahr 2000 sangen Sie den Don Giovanni an diesem Haus. Ist das eine Rückkehr?
Boaz Daniel: Ja, für dieses Projekt, das ich gerne machen wollte. Ich kannte die Oper nicht, wusste nur, dass es sie gibt. Das Drama von Friedrich Schiller kenne und liebe ich sehr. Die Geschichte ist einfach toll, ein wunderbarer Stoff für eine Oper. Der großartige Verdi hat daraus eine sehr gute Oper gemacht. Es ist ein Frühwerk, da erkennt man natürlich Schwächen, verglichen mit reiferen Werken Verdis. Meine Rolle ist in jeder Hinsicht anspruchsvoll, sowohl stimmlich als auch darstellerisch und psychisch. Es ist eine Herausforderung für einen Bariton – und das liegt mir.

Sie wurden in Tel Aviv geboren und haben dort auch 1996 Ihr Studium an der Rubin Academy of Music absolviert. Wie kamen Sie nach Wien?
❙ Ich kam auf Empfehlung der israelischen Sopranistin Anat Efrati, die eine Schülerin von Walter Berry gewesen war. Ich hatte ihn schon länger als Sänger verehrt und bewundert. So kam ich, um bei ihm zu studieren. Gleichzeitig schaffte ich die Aufnahmsprüfung an das Wiener Konservatorium.

Gab es Musiker in Ihrer Familie?
❙ Mein Vater war Solobratschist beim Israel Philharmonic Orchestra, und meine Mutter ist Sängerin. Die Eltern haben mir schon früh geraten, die Musik als Hobby zu belassen und etwas „Vernünftiges“ in meinem Leben zu machen. Ich habe ihren Rat befolgt und wurde Computerfachmann. Ich beendete ein Gymnasium mit Schwerpunkt IT und arbeitete danach bei der israelischen Luftwaffe als spezialisierter Computerprogrammierer.

Wie kamen Sie dann doch zur Musik?
❙ Musik war immer meine große Leidenschaft, aber ich hatte damals noch nicht den Drang, selbst zu musizieren. In der Schule habe ich sogar die Chorstunden geschwänzt. Privat hörte ich aber leidenschaftlich gerne Musik, vor allem klassische Symphonien und Kammermusik, aber natürlich auch die Beatles. Meine sechs Jahren beim Militär habe ich sehr genossen, weil ich zu den Besten gehörte und interessante Projekte betreuen durfte. Aber trotz des Erfolges auf diesem Gebiet wurde meine Leidenschaft zur Musik immer größer. Ich bin in Sitzungen gesessen, mein Projekt wurde diskutiert, und ich habe mir im Kopf eine Beethoven-Symphonie vorgespielt und war komplett abwesend.

„Die Eltern haben mir schon früh geraten,
die Musik als Hobby zu belassen
und etwas ,Vernünftiges‘ in meinem Leben
zu machen.“

Dann sind Sie einfach ausgestiegen?
❙ Ja, ich wollte mir selbst eine Chance geben, etwas zum Beruf zu machen, wofür ich Leidenschaft gespürt habe. Ich wusste mit 23 Jahren, dass meine Chancen klein waren und dass es nur wenige gibt, die es wirklich schaffen. Ich dachte, auch wenn ich scheitere und drei Jahre verschwende, werde ich es nicht bereuen, es versucht zu haben. Wenn es nicht klappt, werde ich etwas anderes machen. Unterstützung bekam ich weder von der Familie noch von Freunden, die meisten hielten mich für verrückt, so einen sicheren Beruf aufzugeben.

Sie haben eine internationale Karriere geschafft. Hatte der frühere Operndirektor Ioan Holender etwas mit Ihrer Entdeckung zu tun?
❙ Nicht ganz, denn ursprünglich hat mich der ungarisch-deutsche Dirigent Stefan Soltész 1998 in einem Konzert am Konservatorium gehört. Da Holender damals gerade zwei Baritone gefeuert hatte, suchte er dringend einen Bariton für die nächste Spielzeit. Soltész erzählt ihm von mir, und ich wurde ad hoc zu einem separaten Vorsingen eingeladen. Ich hatte damals das Konservatorium noch gar nicht absolviert und dachte erst daran, in ein bis zwei Jahren an großen Häusern vorzusingen. Ich war gar nicht gut vorbereitet und kann mich an das unzufriedene Gesicht von Holender erinnern, der während meines Vortrags ständig mit seiner Mitarbeiterin geredet hat. Aber wenn es heißt, man braucht auch Glück für eine Karriere, dann war das ein Superbeispiel: Ich wurde als Bariton in das Ensemble der Staatsoper aufgenommen. Meine erste Rolle war ein Herold in Jérusalem von Giuseppe Verdi.

Sind Sie nicht mehr Ensemblemitglied?
❙ Ich war es bis zum Ende der Holender-Ära, insgesamt zwölf Jahre. Es gibt Vorteile und Nachteile, ein Ensemblemitglied oder Gastsänger zu sein. Eine fixe Gage, egal ob man singt oder nicht, ist sicher beruhigend, aber man ist dann auch von der Staatsoper stark abhängig. Zum Beispiel für die Neuproduktion von Tristan und Isolde, die ich derzeit mit Daniel Barenboim in Berlin mache, entscheidet das Haus, ob es mich freigibt oder nicht. Abenteuerlicher und interessanter ist es, als Freischaffender unterwegs zu sein.

Sie reisen für Auftritte nach Kanada, Australien, Japan, in die USA und singen auch in Budapest, Bukarest, Barcelona und London. In Israel haben Sie im Juli 2018 ein großes Projekt: den Rosenkavalier unter der Leitung von Zubin Mehta mit dem Israel Philharmonic Orchestra (IPO). Eine einmalige konzertante Aufführung?
❙ Nein, wir spielen sechs Mal. Es ist mein Debüt als Herr von Faninal, und ich freue mich sehr darauf.

Für die österreichischen Freunde des IPO haben Sie bei einem Benefizgalakonzert gemeinsam mit der israelischen Sopranistin Chen Reiss im Wiener Dorotheum am 16. November gesungen. Steht Ihnen das Orchester nahe?
❙ Das Orchester liegt mir sehr am Herzen: Mein Vater hat ab seinem 17. Lebensjahr über vierzig Jahre als Bratschist dort gespielt. Ich bin schon als Kind im Mann-Auditorium herumgelaufen. Avi Shoshani, der Generalsekretär des Israel Philharmonic Orchestra, der mich jetzt persönlich wegen des Galakonzerts angerufen hat, mahnte mich schon damals zur Ruhe.

Sie singen in den nächsten vier Monaten gleich drei prominente Wagner-Partien: den Gunther in der Götterdämmerung unter Thielemann in Dresden, den Kurwenal in Tristan und Isolde unter Barenboim in Berlin und im April 2018 den Klingsor im Parsifal an der Wiener Staatsoper. Sehen Sie Ihre musikalische Zukunft stärker in Wagner-Rollen?
❙ Nicht unbedingt. Ich finde diese Fächerteilung nicht so wichtig, es hängt viel mehr von der Sprachbeherrschung ab: Man kann das italienische oder deutsche Fach mit gleichem Erfolg singen. Ich mag die deutsche Sprache, Literatur und Kultur, das hat mich von Anfang an interessiert. Ich habe bereits 2002 meinen ersten Gunther in der Götterdämmerung unter Donald Runnicles an der Wiener Staatsoper gesungen. Trotzdem singe ich auch auf Italienisch, Französisch, Russisch und Englisch.

Können Sie sich vorstellen, dass Sie eine dieser Wagner-Partien in Israel in nächster Zukunft singen?
❙ Irgendwann wird es möglich sein, aber solange Menschen leben, die diese Musik im KZ gehört haben, kann man schwer dagegen an. Ich finde es nicht richtig, dass Wagner nicht gespielt wird, man sollte das trennen. Es gab so viele antisemitische Künstler: Igor Strawinsky oder Frederic Chopin. Auch Wagner war ein Antisemit und ein schlechter Mensch in jeder Hinsicht. Aber er war ein großartiger Künstler, und wenn wir seine Musik nicht hören, bestrafen wir uns selbst.

Wo möchten Sie in den nächsten fünf Jahren sein?
❙ Ich bin kein Sänger, der immer einen neuen Olymp besteigen muss. Mir geht es eher darum, weitermachen zu dürfen, was ich gerne mache.

 

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