Wie der Zionismus den Frauen zur Emanzipation verhalf

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Die Geschichte der frühen Zionistinnen weltweit zeugt von großem Mut, Ausdauer und Weitsicht. Von Marta S. Halpert

Sie gehörten zur ersten Generation der schulisch gebildeten jungen Frauen, kamen zumeist aus bürgerlich gut situierten Familien und verließen diese, um ihre sozialen und politischen Ideale zu verwirklichen. Das war zu Beginn des 20. Jahrhunderts keine leichte Übung, ob in Mittelosteuropa, in Großbritannien oder in den USA. Obwohl eine Vernetzung der Frauen damals auch geografisch unmöglich war, begannen sie fast zeitgleich ihre Rolle in der jüdischen Gesellschaft zu hinterfragen, wagten ihr Unbehagen zu formulieren und formten sich selbst zu bewundernswerten Aktivistinnen.

Emma Gottheil (1862–1947)
Emma Gottheil
(1862–1947)

Diese beeindruckenden Frauen finden in der Geschichte des politischen Zionismus viel zu wenig Beachtung, vor allem wegen der dominierenden Rolle der Männer in dieser Bewegung. Zur Illustration: Bei der Eröffnungsversammlung des 1. Zionistenkongresses 1897 in Basel zählte man nur zwölf weibliche Kandidaten unter 250 Männern. Während Max Nordau (1849–1923), Schriftsteller und Stellvertreter Theodor Herzls auf den Zionistenkongressen, die Frauenemanzipation rundweg ablehnte, verfolgte Herzl ein leicht abgemildertes Konzept: Er wollte die traditionelle Frau, vor allem die der jüdischen Oberschicht und des Bürgertums, im Sinne des Zionismus umkorrigieren, indem er diese direkt im Aufbau des jüdischen Staates einsetzen wollte. Das Wahlrecht erhielten die Frauen dennoch erst beim 2. Zionistenkongress 1898.

Dem französischen Historiker Vincent Vilmain* ist es zu danken, dass das Porträt einer Zionistin und Feministin der ersten Stunde nicht ganz vergessen wurde: Bereits beim historischen 1. Kongress in Basel meldete sich die scharfzüngige Myriam Schach (1867–1956) zu Wort und beeindruckte Theodor Herzl so sehr, dass er sie fortan mit „Fräulein Professor Schach“ anredete. 1867 in Litauen geboren, kam Myriam Schach schon sehr früh mit jüdisch-ethnischem Bewusstsein in Berührung, „aber sie war zuerst eine Feministin bevor sie zur jüdischen Nationalistin wurde“, schreibt Vilmain in seiner Doktorarbeit über Schach. Mit knapp 16 Jahren verließ sie ihr Elternhaus, um kurz nach Deutschland und anschließend nach Frankreich zu gehen, wo sie Sprachen und Pädagogik studierte. In Paris wurde sie zur aktiven Zionistin und versuchte gemeinsam mit Max Nordau, Alexander Marmorek und Bernard Lazar den Juden Frankreichs, die am wenigsten für den Zionismus empfänglich waren, diesen schmackhaft zu machen. Sie war Mitbegründerin der Wochenzeitschrift L’Echo Sioniste sowie eine sehr begabte Rhetorikerin, die mit ihren zündenden Reden alle folgenden Zionistenkongresse bereicherte. Obwohl sie die konventionelle Rolle der jüdischen Frau nicht frontal attackierte, forderte sie die stärkere politische Integration der Frauen in die Bewegung. Trotzdem gründete sie beim 8. Zionistenkongress in Den Haag 1907 eine Frauenorganisation, die sich stärker dem Fortschritt der Kulturarbeit in Palästina widmen sollte.

Henrietta Szold (1860-1945)
Henrietta Szold
(1860-1945)

Dabei bekam sie zum ersten Mal Unterstützung aus den USA: Emma Gottheil (1862–1947) unterrichtete französische Literatur an der Columbia University, stammte aus einer sehr angesehenen russisch-sefardischen Familie und war wie ihr Ehemann offizielle Delegierte beim 2. Zionistenkongress 1898. Gottheil arbeitete nicht nur mit Myriam Schach zusammen, sondern auch mit Henrietta Szold (1860–1945), der Gründerin von Hadassah. Als sich die amerikanischen Zionisten wegen Unstimmigkeiten spalteten, gründete Emma Gottheil 1921 die Keren Hayesod Women’s League; diese kümmerte sich zuerst um die alleinstehenden Frauen, die als Pioniere nach Israel kamen, und gewährte später auch Flüchtlingen aus Deutschland Hilfe.

Myriam Schach blieb ledig und wollte damit auch beweisen, dass sie durchaus eine „männliche“ politische Karriere machen konnte. Mit ihrer Lehrtätigkeit hatte sie eine finanzielle Unabhängigkeit erlangt, die für diese Zeit noch sehr ungewöhnlich war. Im Jahr 1928 wurde sie vom französischen Unterrichtsministerium pensioniert; sie konnte der Deportation aus Paris entkommen und wurde Zeitzeugin der Staatsgründung Israels. Erst dann beschloss sie auszuwandern, sie starb 1956 in Haifa.

Haskala (jüdische Aufklärung) und weltliche Bildung machten sie zu unabhängigen selbstbestimmten Frauen.

Zwischen London und dem Gut Kinneret

Während der zweiten Alija von 1904 bis 1914 nahmen die zionistisch-politischen Träume realistische Züge an: Diesmal kamen vor allem junge Menschen, meist ledig, die von den sozialistischen und radikalen Bewegungen in Russland und Polen beeinflusst waren. Viele Frauen in den frühen Siedlungen waren von der Kluft zwischen ihren Erwartungen nach Gleichberechtigung und der rauen Wirklichkeit, mit der sie täglich konfrontiert wurden, enttäuscht. Das war das Hauptmotiv für die Gründung des ersten landwirtschaftlichen Ausbildungshofes für Frauen am Gut Kinneret, 1911.

Die treibende Kraft hinter diesem Projekt war Hannah Meisel (1883–1972), die mit einem landwirtschaftlichen Diplom aus Russland angekommen war. Sie erkannte die Enttäuschung der „unproduktiven“ weiblichen Arbeiter der zweiten Alija und überredete die zionistischen Verbände, einen Hof zu eröffnen, in dem Frauen zur landwirtschaftlichen Arbeit in produktiven Zweigen geschult würden. In den sechs Jahren der Existenz des Hofes wurden viele Frauen in Agrarbereichen wie Tierhaltung, Milchwirtschaft und Gemüseanbau ausgebildet. Gruppen von Frauen graduierten und gründeten eigene Kollektive oder schlossen sich Männern in bestehenden gemischten Höfen an. Das Gut in Kinneret geriet auch zum Mittelpunkt für politische Frauenorganisationen, die hier ihre Treffen abhielten.

Rebecca Sieff (1890–1966)
Rebecca Sieff
(1890–1966)

Obwohl die britische Zionistin Rebecca Sieff (1890–1966) in London und ihre Freundin Vera Weizmann (1881–1966) in Manchester lebten, hatten sie Palästina schon mehrfach besucht und waren über die schlechte Lage vor allem der weiblichen Pioniere entsetzt. Ungeachtet ihrer sozialen Stellung, Sieff war die Tochter des Besitzers der Textilkette Marks & Spencer und Weizmann Ärztin und Ehefrau des Chemikers und ersten israelischen Staatspräsidenten, verbündeten sie sich mit den Frauen in den Landwirtschaften: Denn unabhängig von Hannah Meisel verfolgten sie die gleiche Idee, nämlich dass den Frauen durch praxisbezogene Ausbildung geholfen werden müsse. 1921 gründete Sieff mit neun weiteren Aktivistinnen in Karlsbad die WIZO – Women’s International Zionist Organisation, um den Frauen aktiv und vorort helfen zu können. Nach der Staatsgründung übersiedelte Rebecca Sieff nach Israel und war in der Flüchtlingshilfe nach der Schoa engagiert. Sie starb 1966 in Tel Mond.

Beide Frauen schwiegen und starben
Hanna  Szenes  (1921–1944)
Hanna Szenes
(1921–1944)

Weniger Glück hatten zwei prononcierte Zionistinnen aus der Tschechoslowakei und Ungarn: Gisi Fleischmann (1894–1944) und Hanna Szenes (1921–1944) zahlten mit dem Leben für ihre zionistische Verbundenheit und ihre aufrechte Loyalität. Gisi Fleischmann war die Tochter eines orthodoxen Rabbiners, durfte trotzdem weltliche Fächer studieren und 1920 der slowakischen WIZO in Bratislava beitreten. Im Jahr 1933 strömten bereits die ersten Flüchtlinge aus Deutschland nach Bratislava, bis 1940 hatte sich die Lage dramatisch verschlimmert. Der Wunsch zu helfen führte Gisi zu ihren ersten Kontakten mit Organisationen, die Flüchtlinge über die Donau nach Palästina zu schleusen versuchten. Ab 1939 war die „unabhängige“ slowakische Republik ein Marionettenstaat des Dritten Reiches. Fleischmann hatte die Gelegenheit zu fliehen, aber sie verweigerte ihre Ausreise mit dem Satz: „Ich bleibe, um zu helfen!“ Nach der Verhaftung durch SS-Offiziere weigerte sie sich, Namen von Flüchtlingen zu nennen – und wurde in den Zug nach Auschwitz gesetzt. Auf ihrer Akte stand der Vermerk: „Rückkehr unerwünscht.“ Und so geschah es auch.

Hanna Szenes war die Tochter eines bekannten Kinderbuchautors aus Budapest. Sie schloss sich erst nach antisemitischen Vorfällen an ihrer Schule der Maccabea, einer zionistischen Schüler- und Studentenbewegung, an. 1939 emigrierte sie in das damalige britische Mandatsgebiet Palästina. Dort studierte sie anfangs an einer landwirtschaftlichen Schule und ließ sich danach im Kibbuz Sdot Jam nieder. 1943 meldete sie sich freiwillig bei der britischen Armee zum Einsatz in Europa; sie wurde zur Fallschirmspringerin ausgebildet und überquerte am 13. Mai 1944, dem Höhepunkt der Deportationen der ungarischen Juden, die Grenze nach Ungarn. Infolge eines Verrats wurde sie verhaftet und schwer gefoltert – aber sie gab den Code der geheimen Rundfunkverbindung nicht preis. Als sie am 7. November 1944 durch eine Feuersalve hingerichtet wurde, lehnte sie eine Augenbinde ab, um ihren Mördern in die Augen blicken zu können.

„Ich bleibe, um zu helfen!“ Nach der Verhaftung durch SS-Offiziere weigerte sich Gisi Fleischmann, Namen von Flüchtlingen zu nennen – und wurde in den Zug nach Auschwitz gesetzt. Auf ihrer Akte stand der Vermerk: „Rückkehr unerwünscht.“

Golda Meir (1898–1978)
Golda Meir
(1898–1978)

Zu den Gemeinsamkeiten im Leben und Wirken von Myriam Schach, die noch im zaristischen Reich ihre Havivat Zion (Liebe zu Zion) entdeckte, und den beiden Heldinnen während der Schoa in Europa gehören sicher Haskala (jüdische Aufklärung) und weltliche Bildung, die sie zu unabhängigen, selbstbestimmten Frauen machte. Nicht unerwähnt darf dabei die 1898 in Kiew geborene Golda Meir (1898–1978) bleiben, denn sie hätte als Schwester im Geiste gut zum „Fräulein Professor Schach“ gepasst. Wegen der Judenpogrome war Golda Meir 1906 mit ihrer Familie zunächst in die USA ausgewandert, wo sie sich bald der sozialistisch-zionistischen Bewegung anschloss. Bereits 1921 übersiedelte die willensstarke Frau ins damalige Palästina. Dort lebte sie zunächst drei Jahre lang in einem Kibbutz und wurde in der linken Mapai-Bewegung aktiv. Mitte der Zwanzigerjahre gebar sie im Abstand von eineinhalb Jahren ihre Kinder Menachem und Sarah. Ihre Ehe mit Maurice Meyerson, den sie 1917 noch in den USA geheiratet hatte, scheiterte. Von da an war sie eine Einzelkämpferin, von der David Ben Gurion behauptete, sie sei der „einzige Mann“ in seiner Regierung.

* Vincent Vilmain: How to be Feminist and Nationalist Jewish Women in Political Zionism (1868–1921). Diss. an der Sorbonne, Paris.

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