„Wir haben uns im JBBZ einiges abgeschaut!“

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Sprachförderung an erster Stelle: Vorbilder JBBZ und ZPC-Schule./ © BMI/ Egon Weissheimer

Sebastian Kurz, Staatssekretär für Integration im Innenministerium, spricht über jüdische Zuwanderung und über seine Koalitionspräferenzen. Im Gespräch mit Marta S. Halpert

wina: Sie laden Mitglieder der jüdischen Gemeinde zu einem Rosch-Haschana- Neujahrsempfang. Da könnte man doch etwas provokant fragen: Sind die jüdischen Bürger Wiens noch nicht integriert?

Sebastian Kurz: Das ist keine Frage der Integration, denn die jüdische Gemeinde ist hier traditionell stark verwurzelt, und das wesentlich länger, als ich auf der Welt bin. Es ist vielmehr ein Zeichen des Respekts und der Wertschätzung gegenüber anderen Religionen und anderen Traditionen, wenn man als Katholik nicht nur eigene Feste begeht, sondern auch anlässlich von Feiertagen anderer Religionsgemeinschaften zusammenkommt.

wina: Sie möchten die Willkommenskultur für Migranten verbessern. Wer ist da angesprochen: Ist das eine Bring- oder Holschuld?

SK: Es ist beides, denn wir haben in der Vergangenheit oft Zuwanderer ins Land geholt, ohne uns zu fragen, ob sie bleiben oder gehen, ob sie die Sprache erlernen sollen oder ihre Familien nachholen. Bei vielen hat die Integration funktio­niert, bei einigen aber auch nicht, weil Integration eben oftmals nicht durch Zufall passiert, sondern geplant und gesteuert werden muss. Wir setzten unseren Schwerpunkt auf die Integration von Anfang an. Das heißt, wenn jemand neu nach Österreich kommt, ist es meiner Meinung nach ganz entscheidend, wie er in der Anfangsphase empfangen und auch begleitet wird. Informationen, wo es Deutschkurse gibt, wo er sich seine Ausbildung aus dem Ausland anerkennen lassen kann. Bekommt er Informationen zu all diesen Themen, oder lässt man ihn alleine.

Schwerpunkt auf die Bereiche Wertevermittlung und Schaffung eines „Wir-Gefühls“ in Österreich.

wina: Sie meinen die Anlaufstelle Ihres Staatssekretariats?

SK: Ja genau, der Integrationsfond baut derzeit sein Angebot aus. Wir richten zurzeit Welcome Desks in fünf Bundesländern ein, um österreichweit Neuzuwanderern ein Beratungsgespräch anbieten zu können, sobald sie im Land sind. Um sie von dieser Stelle aus zu den unterschiedlichen für sie relevanten Institutionen weiterzuvermitteln.

wina: Sie plädieren für den Ersatz der derzeit geltenden neunjährigen Schulpflicht durch eine Bildungspflicht. Was kann man sich darunter vorstellen?

SK: Das heißt, neben unserem Schwerpunkt auf  Frühförderung, also das zweite verpflichtende Kindergartenjahr und Deutschkenntnisse vor Schul­eintritt, sind wir der Meinung, dass der Mindeststandard, wann jemand einen Mindestlevel an Schulbildung erreicht hat, um die Schule zu verlassen, neu definiert gehört. Jetzt sitzt man die Pflichtschuljahre ab, ungeachtet dessen, wie viel Wissen hängen geblieben ist. Ich möchte das gerne neu definieren, und zwar als Bildungspflicht, damit man nicht nach neun Jahren die Schule verlässt, ohne ein Mindestmaß an Lesen, Schreiben und Rechnen erreicht zu haben.

wina: Wo würden die Schüler diese zusätzliche Zeit denn absolvieren?

SK: Am jeweiligen Schulstandort, denn die meisten brauchen ja nicht mehr Jahre. Die Masse erfüllt diese Mindeststandards nach neun Jahren. Es geht um all jene, die Schulabbrecher wären, die diesen Hauptschulabschluss eben nicht schaffen, die müssten dann im Modulsystem, in Kleingruppen, dort, wo sie Bedarf haben, speziell gefördert werden.

wina: Ist Ihrer Meinung nach Österreich ein Einwanderungsland?

SK: Da braucht man nicht lange nach einer Definitionen suchen. Da muss man sich nur die Zahlen anschauen: 140.000 Menschen kommen jedes Jahr neu nach Österreich, 100.000 Menschen verlassen jährlich das Land. Ja, Österreich ist schon lange sowohl ein Einwanderungs- als auch ein Abwanderungsland.

wina: Was sagen Sie zu den Wünschen der IKG nach mehr jüdischer Zuwanderung?

SK: Ich verstehe diesen Wunsch, und es gibt auch eine vollkommene Offenheit für jüdische Zuwanderung. Wir haben innerhalb Europas Niederlassungsfreiheit, d. h., jeder jüdische Zuwanderer, der europäischer Staatsbürger ist, kann vollkommen problemlos nach Österreich zuwandern. Außerhalb Europas gibt es auch klare Regeln, wie Zuwanderer nach Österreich kommen können: einerseits über die Familienzusammenführung, aber auch über die neue Möglichkeit der Rot-Weiß-Rot-Card, die speziell für qualifizierte Zuwanderer geschaffen worden ist, und sich natürlich auch an qualifizierte jüdische Zuwanderer richtet.

wina: Sie haben sowohl das JBBZ als auch die ZPC-Schule besucht. Wie schätzen Sie diese Institutionen ein?

SK: Dort wird hervorragende Arbeit geleistet, insbesondere, was die Sprachförderung, den Erwerb der deutschen Sprache betrifft. Wir haben uns dort sehr viel für unsere Arbeit abschauen können.

wina: Was haben Sie da abgeschaut?

SK: Die Art und Weise, wie zum Beispiel mit Neuzuwanderern umgegangen wird: dass man sich da in ganz intensiven Sprachkursen gleich in den ersten Wochen und Monaten bemüht, zuerst die Sprache näher zu bringen, und erst dann die nächsten Schritte setzt.

wina: Sehen Sie Unterschiede in der Integrationsfähigkeit Jugendlicher aus der ehemaligen Sowjetunion im Vergleich zu anderen?

SK: Das würde ich so nicht sagen. Ich glaube, dass die Frage, wie erfolgreich Integration funktioniert, bei jedem Menschen eine sehr individuelle ist. Insofern sollte man sehr vorsichtig sein, Menschen aus bestimmten Herkunftsländern eine stärkere Integrationsfähigkeit zuzubilligen als anderen. Da bin ich sehr vorsichtig, denn wir haben keinerlei Datenmaterial, das solche allgemeinen Schlüsse zulassen würde.

wina: Wie sieht Ihre Prioritätenliste für die nächste Legislaturperiode aus?

SK: Wir wollen zügig weiterarbeiten, vor allem beim Thema Spracherwerb und Bildung. Wir werden auch einen Schwerpunkt auf die Bereiche Wertevermittlung und Schaffung eines „Wir-Gefühls“ in Österreich setzen. Natürlich werden wir auch die Ratschläge des Expertenrats umsetzen.

wina: Wie stehen Sie zu einer möglichen Koalition der ÖVP mit der FPÖ?

SK: Ich sehe das sehr kritisch. Und es ist bekannt, mir wäre Schwarz-Grün wesentlich lieber. Zur Person

Sebastian Kurz, geb. 1986 in Wien, tritt 2003 der Jungen ÖVP Wien (JVP) bei. Von da an geht die politische Karriere steil bergan. 2008 wird er zum Landesparteiobmann der JVP, 2009 auch zum Bundesparteiobmann. Und seit 2011 ist Kurz Staatssekretär für Integration im Innenministerium.

1 KOMMENTAR

  1. Guten Tag, Ich hörte vor kurzem ein Gerücht, dass der von mir sehr geschätzte Herr Außenminister auch jüdische Vorfahren haben soll. Das würde meine Einstellung zu ihm und die Wertschätzung natürlich in keiner Weise ändern. Es wäre für mich nur interessant, dies aus berufenem Mund zu hören, um auf etwaige unfundierte Meinungen (was auch immer den Tatsachen entsprechn möge!) richtig reagieren zu können.
    Mit besten Grüßen
    Dkfm. H. Stöllinger

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