„Wohlstand ist der Schlüssel für Demokratie und Stabilität“

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Avigdor Liberman über Israels Ambitionen als Teil eines Vereinten Europas und die Auswirkungen des „Arabischen Frühlings“ auf die derzeitige Außenpolitik. Das Exklusivgespräch für wina führte David Ungar-Klein.

wina: Israel ist eng mit Europa verbunden. Wird Israel irgendwann EU-Mitglied werden?

Avigdor Liberman: Meine Vision ist es, dass wir ein Teil des Vereinten Europas werden. Es gibt dafür schon aus historischer Sicht viele Gründe, für unsere Wirtschaft und für unsere Politik. Israel ist heute eine stabile und dynamische Demokratie im Nahen Osten und gleichzeitig ein vertrauenswürdiger Verbündeter der westlichen Welt. Es darf auch nicht vergessen werden, dass die Entfernung zwischen Larnaca und Tel Aviv gerade mal 35 Minuten Flugzeit beträgt.

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wina: Wird es mittelfristig die Vereinigten Staaten von Europa geben?

AL: Das ist zumindest das, was wir erwarten. Heutzutage hat man in der EU die gleichen Werte, es herrscht eine wirklich gute öffentliche Atmos-phäre und Meinung. Es ist selbstverständlich, dass wir zusehends von einem „globalen Dorf“ sprechen, denn die wirtschaftlichen Probleme eines Landes betreffen ebenfalls die anderen Länder. Wir können das nur von außen beurteilen, aber ich denke, es bedarf der Vereinigten Staaten von Europa für eine stabile Gesellschaft innerhalb Europas.

wina: Man spricht vom „Arab Spring“. Ist es wirklich ein „Frühling“ für die arabischen Gesellschaften, und wie schätzen Sie die Möglichkeiten einer demokratischen Entwicklung ein?

AL: Es ist unmöglich, Demokratie aufzuzwingen oder auf künstlichem Weg herbeizuführen. Die erste Bedingung für eine starke Demokratie ist die Existenz einer Mittelschicht als deren Rückgrat. Das Problem in den arabischen Ländern ist, dass es keine Mittelschicht gibt. Es ist wichtig, die wahren Hintergründe für die letzten Aufstände in den arabischen Ländern zu erkennen, nämlich Elend und Armut, die Kluft zwischen einigen sehr reichen Oligarchen an der Spitze der Gesellschaft und die Arbeitslosigkeit. Um von Demokratie sprechen zu können, muss zunächst die Wirtschaft gestärkt werden.

wina: Die Muslimische Bruderschaft in Ägypten plant, den Friedensvertrag mit Israel zu überarbeiten.

AL: Ich glaube, das Problem liegt nicht ausschließlich an der Muslimischen Bruderschaft oder der Armut. Wenn wir über die wirtschaftlichen Probleme in Ägypten diskutieren, denke ich, jetzt ist der richtige Moment für Europa, Druck auf die arabische Welt, auf die reichen arabischen Länder auszuüben, damit diese Reformen durchsetzen und die armen arabischen Länder unterstützen. Es ist inakzeptabel, dass die EU in den letzten Jahren mehr Geld in arme arabische Länder hat fließen lassen als reiche Golfstaaten.

wina: Was bedeutet diese Situation für die israelische Außenpolitik? 

AL: Es stehen uns viele Herausforderungen bevor. Zumindest versuchen wir von unserer Seite etwas dazu beizutragen, dass die internationale Gemeinschaft die Probleme lösen kann. Trotz Unstimmigkeiten ist die Wirtschaft in Palästina durch unsere Initiativen auf dem höchsten Stand seit der Gründung der palästinensischen Behörde. Man kann Frieden aber weder aufzwingen noch erschaffen. In meinem Zwist mit der internationalen Gemeinschaft geht es stets darum, was die richtige Reihenfolge für eine effiziente Lösung ist. Sie versuchen eine politische Einigung zu erzwingen und glauben, dass das Resultat Wohlstand und Sicherheit wären. Ich glaube, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Zunächst müssen wir den Israelis Sicherheit und den Palästinensern Wohlstand bieten. Das Resultat von Wohlstand und Sicherheit wird eine politische Einigung sein.

wina: Mohamed ElBaradei plädierte dafür, die Atomenergie weltweit auszubauen. Er sagt, Atomenergie ist unbedingt notwendig für die wirtschaftliche Entwicklung, da die erneuerbaren Energien technologisch noch nicht ausgereift sind.

AL: Gerade heute, nach Fukushima und nach einigen Entscheidungen wie in Deutschland zum Beispiel, ist es eine Illusion, wenn man von nuklearer Energie spricht. Vielmehr ist es eine Irreführung. Man wird über die nukleare Energie im Iran sprechen. Sie haben enorme Gas- und Ölreserven, warum sollten sie also ihre nukleare Energie zu friedlichen Zwecken einsetzen? Ich denke, heutzutage ist es klarer als je zuvor, dass die Zukunft der erneuerbaren Energie g ehört.

wina: Stellt Mahmud Ahmadinedschad und das iranische Mullah-Regime eine Bedrohung für Israel und die Welt dar?

AL: Natürlich. Sie sind nicht nur für Israel eine Gefahr, sondern für die gesamte internationale Gemeinschaft. Sie benützen Israel als Vorwand. Ihr wirkliches, ihr primäres Ziel ist es, die Kontrolle über alle Energiemärkte der Welt zu erlangen, um eine Weltmacht zu werden. Wenn sie die Vereinigten Arabischen Emirate kontrollieren können oder de facto den Irak, die Golfstaaten und Saudi Arabien, dann können sie alle Energiemärkte dieser Welt kontrollieren und werden somit zum größten Akteur auf dem Energiemarkt. Der zweite Grund ist natürlich ihre Beteiligung an terroristischen Aktivitäten und ihre Unterstützung für Regimes wie das Assad-Regime in Syrien.

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wina: Es gibt einige europäische Länder, deren Kritik an Israel besonders hart ausfällt. Was kann Israel tun, um die öffentliche Meinung zu ändern?

AL: Wissen Sie, es ist sehr schwer, die öffentliche Meinung zu ändern. Bei den Vereinten Nationen sind 57 muslimische Länder und nur ein jüdisches Land vertreten. Schauen wir uns zum Beispiel Frankreich an. Wir haben dort die größte jüdische Gemeinde in Europa, und diese macht 1 Prozent der dortigen Bevölkerung aus, die muslimische Gemeinde hingegen ganze 16 Prozent. Es ist nicht einfach, mit so einer Herausforderung umzugehen. Am Ende des Tages werden die Menschen verstehen, dass es nur eine stabile Demokratie im Nahen Osten gibt.

wina: Wie beurteilen sie die bilateralen Beziehungen zwischen Israel und Österreich?

AL: Wir haben eine sehr stabile Beziehung. Es gibt Punkte, bei denen wir uns einig sind, und welche, bei denen wir uns uneinig sind. Zum Beispiel das österreichische Votum für die einseitige Anerkennung Palästinas durch die UNESCO. Aber wir sind zwei demokratische Länder, wir respektieren einander und die Standpunkte des jeweils anderen.

Zur Person

Avigdor Liberman, Vizepremier- und Außenminister des Staates Israel, analysierte in Wien als Teilnehmer und Sprecher im Rahmen des 9. internationalen Wiener Kongresses COM · SULT 2012 die Krise in Europa aus der Außenperspektive und die Auswirkungen des „Arabischen Frühlings“ auf die Außenpolitik Israels und diskutierte u. a. mit dem deutschen „Elder Stateman“ Hans-Dietrich Genscher und Österreichs Vizekanzler a. D. Erhard Busek die Aussichten seines Landes in Hinblick auf eine Teilnahme am Vereinten Europa. Im Rahmen seines Kongressaufenthaltes traf Avigdor Liberman unter anderem mit Friedensnobelpreisträger Lech Walesa, IKG-Präsidenten Oskar Deutsch und dem COM · SULT-Kongressveranstalter David Ungar-Klein zusammen.

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