ZACHOR! in Mattersburg

Michael Feyer erinnert mit einer neuen Gedenkstätte an die fast vergessene jüdische Gemeinde.

1976
„In einer langen schlaflosen Nacht hatte ich eine Idee.“ Drei Stelen mit Inschriften, wo einst die Synagoge stand, davor ein enger Torbogen: 1:10-Modell für das neue Denkmal in Mattersburg.

Michael Feyer ist ein geduldiger Mensch. Aber irgendwann ist ihm „der Kragen geplatzt“, und er hat Initiative ergriffen. Aus dieser wurde vor vier Jahren ein Denkmal für die jüdische Gemeinde in Deutschkreutz. Nachdem „das erfolgreich erledigt war“, hat sich der umtriebige Kommerzialrat „nach neuen Zielen umgesehen“ und sich letztlich für Mattersburg entschieden. Das Ergebnis einer schlaflosen Nacht, eine symbolträchtige Gedenkstätte für die zerstörte jüdische Gemeinde, wird nun im Beisein des Bundespräsidenten am 5. November in Mattersburg feierlich eröffnet.
Doch der Reihe nach und zu den Anfängen, die in Israel liegen, wo Michael und seine ältere Schwester geboren wurden. Die Sehnsucht seiner Eltern nach Wien, das sie vor dem Krieg verlassen mussten, führte die Familie schließlich 1956 nach Österreich zurück. Ivrit wurde daheim nicht mehr gesprochen, denn die Kinder sollten ja nicht auf die Idee kommen, wieder nach Israel zu gehen.

»Dass alles in Vergessenheit geraten war,
berührte
mich schon seit Jahrzehnten.«
Michael Feyer

Weil er kreativ gestalten wollte, hat Michael Feyer erst einmal Schmuck entworfen und gefertigt. „Ich begann mit Gold und endete bei rostigem Stahl“, spannt er den Bogen bis zu seinem vorläufig letzten Entwurf. Dazwischen lag freilich ein Vierteljahrhundert Gastronomie, zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Mit Aussicht auf den Stadttempel gründete Feyer in einem alten Gemäuer in der Seitenstettengasse das Lokal Ma Pitom, mit dem er in vieler Hinsicht ein Pionier war. Denn Anfang der 80er-Jahre war der Standort noch ebenso wenig trendy wie Hummus & Co und ein hebräischer Name für ein Lokal erst recht nicht. Das Risiko hat sich gelohnt, die Szene blieb lange Zeit hip, doch nach seinem 60. Geburtstag schien es Feyer genug und er verkaufte.

Hier wird noch gebaggert. Doch schon bald steht an dieser Stelle das neue Denkmal in Erinnerung an die jüdische Vergangenheit von Mattersburg.

„Am Herzen liegt mir immer der Zusammenhalt, ein traditionelles Jüdischsein, und so engagiere ich mich seit sieben Jahren bei der Versorgung bedürftiger rumänischer Juden.“ Mittlerweile ist Feyer Obmann des Vereins Hilfe und Hoffung und fährt zum Teil selbst mit den gesammelten Spenden nach Rumänien. „Wir sammeln aber nicht nur Kleidung, benötigt werden auch Haushaltsartikel, besonders Erwachsenenwindeln und Heilbehelfe wie Rollatoren etc.“

Erinnern. Am Herzen lag Feyer aber schon seit seiner Jugend auch das Burgenland, zu dem er eine emotionale Beziehung entwickelte, seit er auf die Geschichte der „Sheva Kehilot“ stieß, der einst auch für ihre gelehrten Rabbiner berühmten „sieben jüdischen Gemeinden“. Vom einst blühenden jüdischen Leben unter dem Schutz der Esterházys, für den die Juden freilich bezahlen mussten, fehlte lange Zeit so gut wie jede sichtbare Spur.
Sehr bald nach dem „Anschluss“ war das Burgenland „judenrein“, die Synagogen wurden fast alle zerstört, die Friedhöfe devastiert, und nach dem Krieg breitete sich das Schweigen darüber aus.
„Dass alles in Vergessenheit geraten war, berührte mich schon seit Jahrzehnten, und eines Tages ist mir bei einem Besuch in Deutschkreutz einfach der Kragen geplatzt, und ich beschloss, dort ein Denkmal zu errichten.“ Mit dieser Idee stieß Feyer nicht gleich auf Zustimmung, doch konnte nach zähen Verhandlungen letztlich auch der Bürgermeister überzeugt werden, und seit vier Jahren erinnert ein von Feyer entworfenes Mahnmal direkt an der Hauptstraße an die jüdische Vergangenheit des Ortes.

»Ich begann mit Gold und endete bei rostigem Stahl.«

In Mattersburg war es bald danach schon leichter. „Es gab sofort Gesprächsbereitschaft, Zuspruch und Unterstützung seitens der Bürgermeisterin Salamon und der Gemeinde. Es wurde der Verein Wir erinnern – Begegnung mit dem jüdischen Mattersburg gegründet, in dem auch Mattersburger engagiert sind.“
Doch wie sollte die gewünschte Gedenkstätte aussehen? „In einer langen schlaflosen Nacht hatte ich eine Idee. Ich bin sofort aufgestanden, um meine Vorstellung zu skizzieren, und hab dann ein Modell 1:10 gebaut.“ Das steht in der Feyer’schen Wohnung und wurde von den Verantwortlichen sofort für gut befunden.
Wo einst der Tempel stand, von dem, wie Radarmessungen zeigten, selbst in der Tiefe nichts mehr vorhanden ist, weil das gesamte Material nach seiner Sprengung 1940 offenbar gestohlen wurde, erheben sich auf einem langen Sockel von Sichtbeton drei Stelen mit Inschriften gemäß dem jüdischen Gebot „Zachor!“ („Erinnere!“). Sitzbänke laden zum Verweilen ein, ein enger Torbogen soll beim Durchschreiten ein Gefühl der Beklemmung auslösen. Das gewählte Material, angerosteter Stahl, versinnbildlicht die Vergänglichkeit. Planung, Projekt- und Bauleitung führte Michael Feyer ehrenamtlich aus, die Baukosten werden von Stadt und Land, National- und Zukunftsfonds getragen mit Unterstützung der Kultusgemeinde, der das Grundstück gehört.

Rabbinerdynastie. Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es eine bedeutende Jeschiwa in Mattersdorf, wie der Ort früher hieß. Ein Nachfahre des legendären Gründers Chatam Sofer war Samuel Ehrenfeld, der letzte Rabbiner von Mattersburg. 1931 hatte er noch das „Goldene Ehrenzeichen der Republik Österreich“ erhalten, 1938 musste er fliehen. In Brooklyn, New York, pflegte er weiter die Tradition der „Mattersburger Gelehrsamkeit“ und gründete schließlich 1959 mit seinem Sohn Akiba die orthodoxe Gemeinde „Kirjat Mattersdorf“ bei Jerusalem. Enkel Yitzchak, ihr heutiger Oberrabbiner, wird mit seiner Frau zum Festakt an genau jener Stelle erwartet, an welcher sein Großvater wirkte. Dass es keine Leerstelle mehr ist, ist Michael Feyer zu verdanken.
© Feyer; Alona Schreiber


Eröffnung:
5. November 2017, 11 Uhr
Mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Botschafterin Talya Lador-Fresher, dem Historiker Gert Tschögl und Oberkantor Shmuel Barzilai.

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