„Beim Helfen zählt jede Minute“

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Der international vielbeschäftigte Bassbariton engagiert sich für arme und kranke Kinder. In Wien singt er Rojotango – auch für Tmicha. Interview: Marta S. Halpert

wina: Am 14. Oktober erhalten Sie in Berlin den renommierten Echo Klassik Musikpreis in der Kategorie „Klassik ohne Grenzen“ für Ihr Album RojotangoVier Tage vor dieser Ehrung sind Sie in Wien und singen das Programm von Rojotango im Rahmen eines Benefizkonzertes im Museumsquartier. Die Erlöse der Veranstaltung kommen zu gleichen Teilen Tmicha, dem Wohltätigkeitsverein der Israelitischen Kultusgemeinde, und der Anna & Erwin Foundation – Anna Netrebko und Erwin Schrott for Kids zugute. Wie ist es zu dieser Kooperation mit Tmicha gekommen?

„Im Prinzip geht es ja darum, gemeinsam zu helfen und jene Menschen zusammenzubringen, die dabei gerne mitmachen.“

Erwin Schrott: Wenn Hilfe benötigt wird, muss man zur Stelle sein, egal welche Organisation das ist. Gute Freunde haben mir von Tmicha erzählt, und ich bin sehr geehrt und glücklich, dass ich da mitmachen kann. Der Verein ist sehr engagiert und hilfreich bei der Realisierung des gemeinsamen Abends. Im Prinzip geht es ja darum, Hilfsbedürftigen gemeinsam zu helfen und jene Menschen zusammenzubringen, die dabei gerne mitmachen.

wina: Gemeinsam mit Ihrer Frau Anna Netrebko haben Sie 2012 die Anna & Erwin Foundation ins Leben gerufen und privat das Stiftungskapital von 50.000 Euro eingebracht. Welche Projekte unterstützt diese Stiftung?

ES: Unsere ersten vier Projekte sollen den SOS Kinderdörfern in Deutschland, einem Kinderkrankenhaus in St. Petersburg, der österreichischen Stiftung Unser Kind sowie der spanischen Klinik A.Va.Pa.Ce. zugute kommen. Es geht uns vor allem darum, Kindern mit gesundheitlichen Problemen, egal ob psychisch oder physisch, zu helfen. Dabei kann es sowohl um Erziehung als auch nur einen Erholungsurlaub des Kindes gehen.

Ich war sehr berührt, als ich einige Eltern von cerebral geschädigten Kindern beobachtet habe. Diese Kinder brauchen ständige Betreuung. Da waren Eltern dabei, die sich nicht einmal eine Stunde professionelle Betreuung leisten können, geschweige denn vierundzwanzig. Es ist so schmerzlich, Eltern zu sehen, die ihren Kindern beim Leiden zuschauen müssen und nichts tun können.

wina: Sie haben zwei gesunde Kinder, eine 14-jährige Tochter und ihren vierjährigen Sohn. Ist etwas in Ihrem Leben passiert, was Sie so stark motiviert hat, Kindern helfen zu wollen?

ES: Nein, nichts Bestimmtes, aber Anna und ich werden oft eingeladen, zugunsten von anderen Stiftungen zu singen und zu helfen. Da kam uns die Idee, etwas Eigenes zu gründen, wo wir selbst bestimmen können. Aber wir machen natürlich weiterhin bei anderen Projekten mit. Uns ist es wichtig, dass die Hilfe direkt und schnell ankommt. Diese Menschen brauchen die Unterstützung schon gestern, jede Minute zählt. Und wir müssen niemanden fragen, können alles gleich entscheiden und schnell agieren.

wina: Haben Sie einen bestimmten Schlüssel bei der Verteilung, wer wie viel bekommt?

ES: Im Moment vierteln wir es auf die vier Organisationen. Uns ist wichtig, dass es dort ankommt, wo es am dringendsten gebraucht wird. Der Foundation geht es schon so gut, dass wir bereits anderen Stiftungen helfen können. Das macht mich sehr glücklich, denn es ist schwierig, so etwas auf die Beine zu stellen, und wenn es dann läuft, ist es eine große Genugtuung.

wina: Haben Sie Benefizkonzerte wie jetzt in Wien schon woanders gegeben? 

ES: Nein, diese Art von Show ist eine echte Premiere: Es wird ein Streifzug durch die wunderbare Welt des Tango und der Musik Südamerikas. Das Rojotango Orchestra und die Rojotango Dance Company mit Musikern und Tänzern aus Europa und Argentinien treten hier zum ersten Mal auf. Regie führt der Franzose Benjamin Prins, und Burg-Schauspielerin Sunnyi Melles ist die Gastgeberin des Abends. Kleinere Events wie fundraising dinners haben wir schon organisiert, aber hier in Wien findet das Benefizkonzert zum ersten Mal in einem großen künstlerischen Rahmen statt.

wina: Kennen Sie die Geschichte Ihres deutschstämmigen Namens? 

ES: Nein, ich habe keine Ahnung, obwohl ich das oft gefragt werde.

wina: Sie wurden 1972 in Montevideo geboren und haben schon mit 22 Jahren den internationalen Durchbruch als Bassbariton geschafft. Der erste Platz in dem von Plácido Domingo initiierten Operalia-Gesangswettbewerb war ein gutes Sprungbrett. Hatten Sie schon früh Unterstützung von Ihren Eltern? 

ES: Meine Kindheit war begleitet von Musik: Mein Vater hat jeden Tag schon um sechs Uhr morgens das Radio eingeschaltet, um Tango zu hören. Meine Mutter hat uns dann am Abend in den Schlaf gesungen. Mit sechs Jahren habe ich mit dem Klavierspielen begonnen, mit sieben absolvierte ich meine erste Prüfung. Meine Mutter war eine erstklassige Pianistin, aber sie hatte nie eine Chance, das beruflich auszuüben. Meine Eltern haben alles getan, um mich zu fördern. Obwohl sie so arm waren, dass sie es sich nicht leisten konnten, ein Klavier zu kaufen. Deshalb habe ich fünf Jahre lang auf dem Küchentisch geübt: Dort haben wir die Tasten hingemalt.

wina: Sie zählen heute zu den besten Interpreten der drei großen Mozart-Partien Don Giovanni, Leporello und Figaro. Sie singen an allen großen Opernhäusern dieser Welt, von der Mailänder Scala bis zur Londoner Covent Garden Opera, von der Wiener Staatsoper bis zur Metropolitan Opera in New York. In Berlin hatten Sie in diesem Sommer mehrere Vorstellungen als Leporello, mit dieser Partie debütierten Sie auch bei den Salzburger Festspielen. Beim Festival in der Arena di Verona sind Sie hingegen der Don Giovanni. Welche dieser beiden Männerfiguren liegt Ihnen besser?

ES: Sie sind ja Freunde, und ich liebe sie beide: Leporello ist der Typ, der näher bei den Menschen ist und gestalterisch mehr bietet. Der Charakter des Don Giovanni scheint distanzierter zu sein, obwohl auch er viel Selbstironie entwickelt. Aber er ist vor allem auf eines fixiert auf sich selbst. Die intelligente Frau von heute würde ihn auch nicht so ernst nehmen wie Donna Elvira, sondern eher auslachen.

wina: Ende Oktober singen Sie in Yokohama, Japan, viermal den Figaro, und Ende des Jahres haben Sie sieben Vorstellung an der New Yorker Metropolitan Opera als Leporello in Don Giovanni. Wo sind Sie zuhause?

„Es ist so schmerzlich, Eltern zu sehen, die ihren Kindern beim Leiden zuschauen müssen und nichts tun können.“

ES: Das ist eine gute Frage. Da gibt es gar keinen bestimmten Ort. Ich weiß gar nicht, wo der perfekte Platz für mich wäre, um zu leben. Ich würde am liebsten viel Unterschiedliches an diversen Plätzen in der Welt sammeln – und an einem Ort neu aufstellen. Natürlich ist mein Zuhause dort, wo auch meine Familie ist.

wina: Wie viel Zeit bleibt für das Familienleben?

ES: Ich lebe nicht, um 365 Tage im Jahr zu arbeiten. Meine Familie ist mir sehr wichtig, die hat Priorität. Daher fahre ich morgen zu meiner Tochter nach Uruguay, ich versuche rund vier Monate im Jahr mit ihr zu verbringen. Jetzt werde ich dort aber auch Kontakte für unsere Stiftung suchen. Denn ich möchte auch etwas für mein Land tun, da gibt es viel Bedarf.

„Meine Eltern haben alles getan, um mich zu fördern. Obwohl sie so arm waren, dass sie es sich nicht leisten konnten, ein Klavier zu kaufen. Deshalb habe ich fünf Jahre lang auf dem Küchentisch geübt: Dort haben wir die Tasten hingemalt.“

wina: Sind Sie politisch interessiert?

ES: Mich interessiert, wie es den Menschen geht. In Uruguay zum Beispiel gibt es viele Chancen für Verbesserungen, aber einen ständigen Zyklus von auf und ab. Dennoch bin ich optimistisch, weil wir durch die Globalisierung doch leichter voneinander lernen können, wie man trotz unterschiedlicher Kulturen besser miteinander leben kann. Es ist ein langer und langsamer Prozess, den Menschen das Miteinander schmackhaft zu machen.

wina: Heute erleben Sie diese Vielfalt auf der Opernbühne. Funktioniert das dort?

ES: Ja, da kann man die Welt wirklich auf die Probe stellen, denn ohne Harmonie geht in der Musik nichts. Es ist fantastisch, ich erlebe das in meinem Alltag wie zuletzt in Berlin. Da stehen wir gemeinsam auf der Bühne: ein Rumäne, ein Russe, einer aus Uruguay, zwei Deutsche, ein Österreicher und ein israelischer Dirigent, Daniel Barenboim. Aber im richtigen Leben wird es noch Jahrzehnte dauern, bis wir echte Gefühle füreinander, für eine Gemeinschaft von diversen Hautfarben und Religionen, entwickeln werden.

wina: Das klingt jetzt aber weniger optimistisch?

ES: Doch, denn es ist eine Aufforderung, an der Sensibilisierung der Menschen zu arbeiten. Das merke ich an unserer Arbeit für die Stiftung. So viele Menschen, die helfen wollen, kommen zu mir, ich höre ihnen zu und versuche mein Bestes zu geben. Dieses Engagement hat mein Leben zum Besseren gewendet.

Zur Person

Erwin Schrott, geboren 1972 in Montevideo (Uruguay).

1998 Gewinner von Placido Domingos Operalia-Wettbewerb.

1999 Debüt an der Wiener Staatsoper.

2008 Debüt bei den Salzburger Festspielen als Leporello in Mozarts Don Giovanni.

2011 sang er Don Giovanni am Covent Garden, an der Mailänder Scala, an den Opernhäusern in Washington und Los Angeles, in Sevilla und Turin sowie auf Japan-Tournee mit der Metropolitan Opera. Als Figaro war er an der Metropolitan Opera, der Wiener Staatsoper, dem Opernhaus Zürich und am Covent Garden zu hören. Weitere Rollen in seinem Repertoire sind u.a. Escamillo in Carmen und Méphistophélès in Gounods Faust.

2012 Konzertreihe an der Seite von Anna Netrebko in Deutschland und der Schweiz; weitere Auftritte u. a. mit  Jonas Kaufman beim Gipfeltreffen der Stars. Erwin Schrott war auch in der Don Giovanni-Produktion unter Daniel Barenboim an der Berliner Staatsoper zu hören.

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