„Ich war immer heimlich stolz darauf“

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Ein vielseitiger Mann, der einige offenkundige Gegensätze anscheinend mühelos in seiner Person vereinigt. Er ist adeliger Herkunft und Sozialdemokrat, höchstrangiger Banker und prominenter Kulturpolitiker. Ein Gespräch mit Rudolf Scholten über sein Literatur im Nebel, den diesjährigen Stargast Ljudmilla Ulitzkaya und über so manche jüdische Identitäten. Von Anita Pollak

wina: Also kein Therapiegespräch, aber trotzdem die Frage, wie man derartig divergierende Aufgabengebiete und scheinbare Widersprüche unter einen Hut bringt. 

Rudolf Scholten: Ich empfinde es als enormes Privileg, mich so unterschiedlichen Bereichen widmen zu dürfen. Ich habe zwar immer ein bisschen Leute beneidet, die ein Spezialgebiet haben, in dem sie sich restlos auskennen, in Wahrheit ist das aber Koketterie. Ich betreibe auch ein bisserl Koketterie mit dem Dilettantenstatus, was nichts Negatives ist. Es wäre schöner, wenn es mehr enthusiastische Dilettanten gäbe, es gibt zu viele langweilige Profis.

„Ich betreibe auch ein bisserl Koketterie mit dem Dilettantenstatus, was nichts Negatives ist.“

wina: Zwei Gegenpole Ihres Lebens sind Wien, das berufliche Zentrum, und Heidenreichstein, der Stammsitz Ihrer mütterlichen Familie, ein abgeschiedener Ort im Waldviertel, den Sie quasi spontan auf die weltliterarische Landkarte gesetzt haben. Was war Ihr persönliches Motiv für dieses Engagement? 

RS: Erstens fühle ich mich dort zu Hause, zweitens hatten Robert Schindel und ich in einem Sommergartengespräch mit Peter Turrini die Idee, eine Kunstveranstaltung an einem dezentralen Ort zu erfinden, die nur dort funktioniert und nicht an einem zentralen Ort, beispielsweise in Wien, was gelungen ist. Außerdem konnten wir im Laufe der Jahre eine große Zahl von großartigen Künstlern gewinnen, die das nicht mit der gleichen Selbstverständlichkeit an einem zentralen Ort machen würden.

wina: Wenn man die Veranstaltung seit Anbeginn kennt, weiß man, dass es nicht die Landschaft oder der genius loci ist, der ihre Attraktion ausmacht, sondern dass Sie persönlich und die Menschen, die dabei sind, eigentlich der genius loci sind. 

RS: Ja, es ist eine Indoor-Veranstaltung und kein Wandertag. Aber es braucht einen Ort, den man als außergewöhnlich empfindet, um zu einem außergewöhnlichen Zeitpunkt, wie der Name schon sagt, an einem nebeligen Herbstwochenende, diese Qualität an Künstlern zu versammeln. Das wesentliche ist das hohe Maß an Konzentration. Es gibt einen Gast, um den sich rund elf Stunden Programm drehen. Es ist dabei eine Veranstaltung, die sich an ein literaturinteressiertes Lesepublikum wendet, und kein Germanistenseminar. Wir haben an beiden Tagen jeweils ungefähr 600 Menschen versammelt und sind von Anfang an so gut wie ausverkauft. Mittlerweile haben wir auch ein Stammpublikum, das alljährlich kommt. Es gibt eben nirgends sonst die Möglichkeit, das Werk eines großen Autors in zwei Tagen so umfassend kennen zu lernen. Unsere Dramaturgin Bettina Hering, die das Programm gestaltet, macht das außergewöhnlich gut.

wina: Eine wesentliche Bedeutung hat wohl die zwei Tage dauernde Anwesenheit des Autors selbst. Vom ersten Stargast Salman Rushdie über Amos Oz und etwa Hans Magnus Enzensberger ist es immer eine Persönlichkeit mit einer politisch-ideologischen Komponente. Wie wichtig ist diese bei der Auswahl der Gäste?

RS: Das Politische im engeren Sinn ist gar nicht wichtig. Da aber der Ehrengast auch persönlich ein ganz wichtiger Faktor für das Gelingen ist, suchen wir immer Autoren, deren Biografie und Persönlichkeit per se bereits interessant sind und die das Publikum gewinnen können. Natürlich müssen sie in der literarischen Qualität in der erwähnten Reihe stehen. Autoren, deren Leben sich an politischen Bruchstellen bewegt haben, können einfach auch sehr viel über ihre Arbeit hinaus beitragen. Außerdem habe ich Salman Rushdie versprochen, dass er eines Tages stolz sein wird, diese Liste angeführt zu haben, und diesen Maßstab müssen wir auch halten.

wina: Nach dem afrikanischen Autor Nuruddin Farah im Vorjahr kommt heuer die russisch-jüdische Schriftstellerin Ljudmilla Ulitzkaya nach Heidenreichstein, die ein etwas gespaltenes, ambivalentes Verhältnis zu Judentum hat. Wie wichtig war denn dieses Element? 

RS: Gar nicht. Das Jüdische ist sicher kein Auswahlkriterium, wir hatten bisher nur Amos Oz. Wir haben überhaupt keine Quoten. Das zentrale Werk, was die jüdische Frage bei Ulitzkaya betrifft, ist sicherlich der Roman Daniel Stein, wobei ich ganz persönlich den Eindruck habe, dass es ihr primär darum geht, jenseits der Religionen moralische Formen zu präsentieren, ohne dabei parteiisch zu sein. Im Programm wird das aber sicherlich ein Thema sein.

wina: Apropos ambivalentes Verhältnis zum Judentum. Das hatte ja auch Bruno Kreisky. Sie sind der Präsident des Bruno-Kreisky-Forums, das meines Erachtens insofern das Erbe Kreiskys angetreten hat, als es eine zunehmend israelkritische Position einnimmt. Wie sehen Sie dessen Aufgabe?

RS: Das Kreisky-Forum per se ist ein Veranstalter, und sein Ziel ist es, Austragungsort zu sein. Was die Relation zu Kreisky betrifft, ist unsere, d. h. Gertraud Auers und meine Vorstellung nicht, ein Vermächtnishaus von Bruno Kreisky zu sein. Keiner von uns war sein Weggefährte. Wir haben ein Bild, eine Vorstellung von Kreisky bzw. was ihn interessieren würde und bemühen uns, diesem Bild eine Freude zu machen. Ob das mit dem wahren Kreisky ident ist, weiß ich nicht.

wina: Er ist sozusagen der Spiritus Rector.

RS: Spiritus und Rector.

wina: Ihr Vater, der Autor Gerhard Scholten, war im KZ. Aus welchen Gründen?

RS: Mein Vater kam aus einer jüdischen Familie. Er hieß ursprünglich Pfefferkorn und wurde von einer holländischen Tante namens Scholten adoptiert. Sein Vater, also mein Großvater, ist schon vor dem Krieg nach Amerika ausgewandert, und mein Vater ist ins KZ gekommen, weil er seinem Vater offenbar „unbotmäßige“ Briefe geschrieben hat. Er ist später Protestant geworden.

wina: Wie ist denn Ihre Beziehung zu dieser teilweise jüdischen Abstammung?

„Wir haben ein Bild, eine Vorstellung von Kreisky bzw. was ihn interessieren würde und bemühen uns, diesem Bild eine Freude zu machen.“

RS: Ich war immer heimlich stolz darauf, das ist aber diese Form von Stolz, zu der man selbst rein gar nichts dafür getan hat. In allen Diskussionen, bei denen es zur Sprache kam, was denn die Eltern im Krieg gemacht haben, zum Beispiel in der Schule, konnte ich immer eine stolze Meldung abgeben. Natürlich vor dem Hintergrund eines großen Unglücks, seines Unglücks, konnte ich mich immer mit großem Selbstbewusstsein melden. Heute unterstütze ich den Verein AMCHA (der sich mit den Spätfolgen des Holocaust und seinen Opfern befasst).

Zur Person

Der 1955 geborene Jurist Rudolf Scholten ist Kultur- und Finanzpolitiker. In beiden Bereichen ist er seit Jahrzehnten in zahlreichen Funktionen und Gremien tätig. Im Kabinett Vranitzky war er von 1990 bis 1997 Minister für Kunst, Kultur, Unterricht, Wissenschaft und Verkehr, danach kehrte er in führender Position in die Oesterreichische Kontrollbank zurück, wo er seine Bankerlaufbahn begonnen hatte.

Er ist unter anderem Präsident des Bruno-Kreisky-Forums, Aufsichtsratpräsident der Wiener Festwochen und gründete 2006 gemeinsam mit Robert Schindel das Festival Literatur im Nebel in Heidenreichstein.

[box_info]LITERATUR IM NEBEL 2012 

am 19. und 20. Oktober in Heidenreichstein im Waldviertel, Niederösterreich.

Nach Salman Rushdie, Amos Oz, Jorge Semprun, Margarete Atwood, Hans Magnus Enzensberger und Nuruddin Farah ist dieses Jahr die russisch-jüdische Autorin Ljudmilla Ulitzkaya zu Gast. Am Programm stehen unter anderem ein Vortrag von Nina Chruchtschowa, ein Gespräch mit Susanne Scholl und Lesungen mit Elisabeth Orth, Peter Matic u. a.

Das genaue Programm,
Infos und Tickets unter
literaturimnebel.at 

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