„Jüdisches Burgenland“— Eine Spurensuche

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Jüdischer Friedhof in Mattersburg

Christof Habres und Elisabeth Reis präsentieren in ihrem aktuellen Band aufschlussreich ihre Entdeckungsreisen durch die jüdische Vergangenheit des Burgenlandes. Von Anita Pollak

„Asch“ hieß eine, „Zelem“ eine andere. Außerdem gab es noch weitere fünf. Gemeinsam bildeten sie jene „Siebengemeinden“, die berühmten „Schewa Kehillot“, die eher in die jüdische Geschichte als in die ihres Landes, des Burgenlands, eingingen.

Das wäre ein wohl zu kurz gefasstes Resümee aus dem neuen Band des Journalisten Christof Habres, der sich nach seinen „Entdeckungsreisen“ durch das jüdische Wien nun mit seiner Co-Autorin Elisabeth Reis in das jüdische Burgenland begeben hat.

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Hat er in Wien neben der Geschichte sehr viel lebendige Gegenwart entdecken können, ist es jetzt eine oft mühsame Spurensuche einer endgültig vergangenen Vergangenheit geworden.

Friedhöfe sind zumeist die letzten Zeugen der einstigen Blüte, und sogar sie sind, wo noch überhaupt in der ursprünglichen Form erhalten, schwer zugänglich. Hinweistafeln fehlen, in den Ortsplänen scheinen sie meist nicht auf, sind natürlich versperrt, und um an die Schlüssel zu gelangen, braucht man Geduld, Zeit und Beharrlichkeit. Was man nach diesen „Schlüsselerlebnissen“ dann schließlich vorfindet, ist oft nur eine lieblose Anhäufung weniger Grabsteine. Fast scheint es, dass man buchstäblich Gras über sie und mit ihnen über das schändliche Ende dieser langen Geschichte wachsen lassen möchte.

8.000 Juden lebten Mitte des 19. Jahrhunderts im Gebiet des heutigen Burgenlands

In manchen Gemeinden machten sie mehr als die Hälfte der Einwohner aus. Sie hatten Synagogen, Mikwes, Schulen, karitative Einrichtungen und weit über die Grenzen des Landes hinaus berühmte Rabbinerpersönlichkeiten und Jeschiwot. Arme Handwerker oder Kaufleute waren die meisten, über viele Generationen am selben Ort sesshaft, im Einklang mit der christlichen Bevölkerung, wie es rückblickend scheint.

Im März 1938 verwandelte sich das Burgenland zum „Mustergau“. Blitzartig wurden die Juden enteignet und vertrieben. Schneller ging es nirgendwo im gesamten „Reich“. Die dabei angewandte Brutalität erregte sogar internationales Aufsehen. Schon im Oktober war das Burgenland „judenfrei“. Und ist es seither geblieben. Die wenigen Rückkehrer nach dem Krieg sind an einer Hand abzuzählen, und auch sie sind längst gestorben.

Der Enkel vom „Schillerjud“ in Eisenstadt betreibt dort noch das großväterliche Textilgeschäft. In Oberwart lebt der Arzt Lutz Popper, der in Bolivien zur Welt kam, wohin seine Eltern emigriert waren.

Kirjat Mattersdorf, einer ultraorthodoxen Gemeinde in Jerusalem

Emigriert ist quasi auch ein Ort. Der Nachfahre aus einer bedeutenden Rabbinerdynastie, Akiba Ehrenfeld, ist heute Oberrabbiner von Kirjat Mattersdorf, einer ultraorthodoxen Gemeinde in Jerusalem, und pflegt dort weiter die „Mattersdorfer Gelehrsamkeit“. Gemeinsam mit seinem Sohn, der übrigens davor in New York eine Jeschiwa der dortigen jüdischen Gemeinde Mattersdorf besuchte. Im heutigen Mattersburg erinnert nichts mehr an diese kulturelle Hochblüte. Die Synagoge gesprengt, der Friedhof zerstört.

Fast überall ein ähnlicher Lokalaugenschein, eine ähnliche Geschichte, die das Autoren-Duo eher wehmütig aus dem heutigen Burgenland zu berichten hat. Nur Rechnitz ist in letzter Zeit ziemlich nachdrücklich auf seine Vergangenheit aufmerksam gemacht worden.

Zurück an den Start: „Asch“ (Alef und Schin) ist der hebräische Name für E(A)isen-Stadt. Und „Zelem“ für Deutschkreutz. Mit Mattersburg, Kobersdorf, Kittsee, Lackenbach und Frauenkirchen bildeten sie die einst glorreichen Sieben. Zumindest ein Buch erinnert jetzt wieder daran. Bei eigenen Entdeckungsreisen sollte man es mitführen. Man erspart sich so vielleicht einige Schlüsselerlebnisse.

LESEPROBE aus Jüdisches Burgenland

Schenkt man der Sage Glauben, dann sind sechs sephardische Brüder, die aus Spanien fliehen mussten, für die Gründung der ersten jüdischen Gemeinde von
Buchcover Jüdisches Burgenland Mattersdorf am Ende des 15. Jahrhunderts verantwortlich. Auf jeden Fall lebten bis ins Jahr 1938 in Mattersburg Angehörige der Familie Schischa (aus dem Hebräischen für „sechs“), die sich als direkte Nachfahren dieser Sefardim sahen. Sie sind heute über alle Welt verstreut. Vertraut man nachweisbareren Quellen, dann kam es erst im Jahre 1527 zur Gründung einer jüdischen Gemeinde in Mattersdorf (erst 1924 wird die Stadtgemeinde in Mattersburg umbenannt). Juden, die aus Ödenburg vertrieben wurden, siedelten sich damals in der Grafschaft Forchtenstein mit ihrem Hauptsitz Mattersdorf an. In Folge war das Leben der Juden in diesem Ort einem ständigen Wechsel von Vertreibung und Rückkehr unterworfen, gerade, wie es den jeweiligen Herrschern und Grundherren zu Gesichte stand. Im Jahr 1622 übernahmen die Esterházys Mattersdorf und ab diesem Zeitpunkt kehrten einigermaßen geordnete Bedingungen in das Leben der jüdischen Gemeinde. Sie mussten zwar auch den Ort im Jahr 1671 verlassen, als Leopold I. alle Juden aus seinem Einflussgebiet vertreiben ließ. Manche gingen für immer, aber der Großteil wartete in mährischen Gemeinden auf die Möglichkeit zur Rückkehr. Das Exil der Mattersdorfer Juden dauerte vier Jahre bis 1675 an.

Im Jahr 1694 bekam die Gemeinde dann endlich auch einen Schutzbrief von Paul Esterházy. Der Schutzbrief wurde auch von dessen Nachfolgern in der Regel verlängert. Diese rechtliche Sicherheit bildete die Grundlage für die weitere Entwicklung der Gemeinde. Der Brief garantierte den Juden eine Art politischer Autonomie, bei der sie selbst ihre Vertretungsorgane wählen konnten. An der Spitze der Mattersdorfer Judengemeinde standen fünf Männer. Zwei waren Repräsentanten der Kultusgemeinde und für religiöse Angelegenheiten zuständig, zwei andere deckten die politische Ebene ab. Der letzte sollte beide Ebenen abdecken, sowohl die religiöse als auch die politische. Diese fünf Männer wurden von Nichtjuden als Richter und Geschworene anerkannt. Sie hatten auch innerhalb der Kultusgemeinde Kompetenzen in der Gerichtsbarkeit. Die von ihnen verhängten Strafen mussten jedoch der Herrschaft zur Kenntnis gebracht werden.

Die jüdische Bevölkerung in Mattersdorf stieg im Laufe des 18. Jahrhundert schnell an. Um 1785 verzeichnete die jüdische Gemeinde bereits 767 Mitglieder. Ein Grund dafür war, dass Paul Esterházy im Jahr 1739 die jüdische Gemeinde im Nachbarort Neufeld aufgelöst hatte und die meisten Juden daraufhin nach Mattersdorf zogen. Schätzungen zufolge erreichte die Kultusgemeinde Mattersdorf in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit fast 1.500 Mitgliedern ihren zahlenmäßigen Höchststand. Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts ist in Mattersdorf, wie in allen anderen Gemeinden im Burgenland, ein signifikanter Rückgang der jüdischen Bevölkerung zu verzeichnen. Lebten 1883 noch 700 Juden im Ort, waren es 1934 nur mehr 511 Juden.

Das jüdische Leben in Mattersdorf spielte sich über lange Zeit in einem Siedlungskern in der Nähe des Wulkabaches ab. Da die Gemeinde stetig im Wachsen begriffen war und die Herrscher ihnen keinen weiteren Zukauf von Land gestatteten, kam es oft zu prekären Lebensumständen. Den Juden war es zwar gestattet, ihre Häuser aufzustocken und Wohnungen zu teilen, aber diese Enge barg immer die Gefahr der raschen Verbreitung von Seuchen und Krankheiten. Außerdem war die Gefahr einer unkontrollierbaren Ausbreitung von Bränden immer präsent, die diese auf engstem Raum zusammengestückelten Häuser hinwegfegen konnten. Da die Juden keinen landwirtschaftlichen Besitz haben durften, waren sie hauptsächlich im Handel und Gewerbe tätig. Bis ins Jahr 1859 wurde der Lebensmittelmarkt des Ortes in der Judengasse abgehalten. Sie war sehr lange das Geschäftszentrum von Mattersdorf.

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Die von der Familie Esterházy zugestandene Selbstverwaltung förderte die Herausbildung einer eigenständigen Kultur, Tradition und Identität der Mattersdorfer Juden, die bis ins Jahr 1938 an diesem Ort aufrechterhalten werden konnte. Dies zeigt sich auch an der Lehrtätigkeit berühmter Rabbiner an der Jeschiwa in Mattersdorf. Unter vielen anderen lehrte der führende orthodoxe Rabbiner des 19. Jahrhunderts, Moses Sofer, bekannt als Chatam Sofer, an der Mattersdorfer Jeschiwa. Sofer wurde 1762 in Frankfurt am Main geboren. Dort waren Pinchas Horowitz und Nathan Adler seine bedeutendsten Lehrer. Er war zunächst Rabbiner in Dresnitz in Mähren, bevor er 1797 nach Mattersdorf kam. Hier konnte er eine der bedeutendsten Jeschiwa etablieren, zu der Schüler aus vielen Ländern zum Tora- und Talmudstudium kamen. 1806 wurde Sofer zum Rabbiner von Pressburg ernannt, wo er für den Rest seines Lebens blieb. Er starb 1839 in dieser Stadt. Sofer schrieb zahlreiche Werke, doch zu seinen Lebzeiten wurde kaum etwas von ihm veröffentlicht. Unmittelbar nach seinem Tod begann seine Familie, seine Schriften herauszugeben. Sie enthalten unter anderen sieben Bände Responsen und zwei Bände Predigten, Novellen zum Talmud, Kommentare zur Tora, Briefe, Gedichte und ein Tagebuch.


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