„Lernen für die reale Welt“

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Die Lauder Business School in Wien bereitet Studierende aus vielen Ländern auf Karrieren in der internationalen Wirtschaft vor – und parallel dazu können sie auch ihr Wissen über das Judentum vertiefen. Von Reinhard Engel, Fotos: Daniel Shaked

Anna Kuperschmidt strahlt. „Für mich ist das eine tolle Gelegenheit, hier zu studieren.“ Sie hatte zuhause im russischen Samara an der Wolga bereits ihren BA in Management absolviert. „Aber ich hatte gefühlt, dass jetzt ein weiterer Schritt notwendig wäre – im Ausland.“ Auf die Lauder Business School in Wien wurde sie durch einen Chabad-Rabbiner aufmerksam gemacht, dann begann sie im Internet zu recherchieren und befragte auch einige Absolventen über deren Erfahrungen, ehe sie sich bewarb.

Das Assessment Center stellte die junge Russin vor eine gänzlich neue Herausforderung: Zuerst wurde sie herkömmlich nach ihren Qualifikatio­nen abgeklopft, aber in einer zweiten Phase ging es dann schon um Gruppenarbeiten gemeinsam mit anderen Kandidaten. Diese mussten – ähnlich wie bei derartigen Aufnahmeverfahren in der Wirtschaft – unter Zeitdruck gemeinsam Projekte erarbeiten, aber durchaus bewusst mit verteilten Rollen, die zueinander in Widerspruch standen.

Höhere Wirtschaftsausbildung für Wien

Anna wurde aufgenommen und arbeitet mittlerweile schon an ihrer Master-Thesis im Studiengang Intercultural Management and Leadership. Sie möchte nach dem Abschluss wieder nach Russland zurückkehren, aber nicht an die Wolga, sondern ihr Glück in der Hauptstadt Moskau versuchen. Ein Job im Management eines internationalen Hotels schwebt ihr vor.

Die Lauder Business School wird heuer zehn Jahre alt, in Vollbetrieb ging sie im Jahr 2005. Gegründet wurde sie – wie der Name sagt, von Ronald S. Lauder, der neben seiner Arbeit als US-Botschafter in Wien in den 80er-Jahren die unterschiedlichen Bedürfnisse jüdischer Gemeinden in Mittel- und Osteuropa kennen lernte und mit seiner Stiftung großzügig darauf rea­gierte. Es waren vor allem Schulen und Kindergärten, die er in mehreren Ländern finanzierte. In Wien sollte es neben anderen Projekten eine höhere Wirtschaftsausbildung für Jugendliche aus der Region geben, und die Studierenden sollten auch die Chance haben, ihr Judentum zu leben und zu vertiefen. Das heißt konkret: eine koschere Mensa im Alltag, die Möglichkeit zum Gebet für die Gläubigen, ein breites Wahl-Angebot von jüdischen Studien parallel zum akademisch-ökonomischen Pflichtprogramm.

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Als Ort fand Lauder gemeinsam mit dem Wiener Bürgermeister Michael Häupl das Maria-Theresien-Schlössel an der Hofzeile im 19. Bezirk, die ehemalige Rotschild’sche Nervenheilanstalt. Dieses Areal wurde bis zuletzt als Spital genutzt, es sollte aber in dieser Form nicht modernisiert werden. Die Gemeinde stellte es Lauder zur Verfügung, dieser investierte in den Umbau zu einem College, darüber hinaus sponsorte auch die Bank Austria großzügig.

Anspruchsvolles Programm

„Heute kommt der wesentliche Teil der Finanzierung der Schule aus der Fachhochschul-Förderung des Bundes“, erzählt Alexander Zirkler, der Executive Manager. Die Studenten zahlen darüber hinaus die für Fachhochschulen üblichen Studiengebühren, derzeit 368 Euro pro Semester. „Das Studentenheim wird gänzlich privat finanziert. Entweder bezahlen die Studenten fürs Wohnen und koschere Essen, oder sie erhalten je nach Einkommen der Eltern dafür Stipendien vom Jewish Heritage Center.“ Dieses wiederum wird von unterschiedlichen Stiftungen und Privatsponsoren dotiert. Ein Teil der Studenten arbeitet auch – allerdings eher nur in den Ferien, während der Unterrichtsmonate bleibt kaum Zeit neben Vorlesungen, Seminaren und Lernprojekten.

Diese Projekte sind ein ganz wichtiger Teil des Gesamtangebots. Anna Kuperschmidt etwa konnte bei ihrem Master-Studium auswählen, ob sie sich mit konkreten Fragestellungen bei Ja! Natürlich des Lebensmittelkonzerns Rewe/Billa oder mit einer Internationalisierungskampagne des Wiener Konzerthauses befassen wollte. Für die Bachelor-Studenten im Lehrgang Intercultural Business Administration ist von ihren sechs Semestern ein ganzes Semester Praktikum Pflicht. Dieses kann in Österreich oder im Ausland absolviert werden, dafür bieten sich Konzerne wie Raiffeisenbank International, Erste Group Bank, UniCredit/Bank Austria, RHI oder OMV an. „Bei uns in Zürich sind es etwa die Großbanken UBS und Credit Suisse, die Praktika offerieren“, weiß Morten Braden-Golay, ein Schweizer Student. „Auch Unilever in Schaffhausen oder Google in Zürich nehmen immer wieder Studierende auf.“

Sharon Feldberg ist in Israel geboren, lebte aber vor ihrem Wiener Studium in Barcelona. Sie arbeitet gerade als Praktikantin bei einer OMV-Handelstochter im Bereich Credit Risk Management. „Für viele Studenten ist das Praktikum auch nach dem Abschluss der erste Schritt in die Karriere“, erzählt die Politologin Elisabeth Kübler, die akademische Direktorin des Master-Studienprogramms. „Die Praxisorientierung des Fachhochschulstudiums ist ganz wichtig. Zuerst lernen die Studenten die Theo­rien und Konzepte inklusive wissenschaftliches Arbeiten, aber gleich darauf auch, wie diese umsetzbar sind.“ Daher unterrichten neben habilitierten Professoren von der Uni Wien auch zahlreiche Praktiker aus Unternehmen sowie Freiberufler, etwa Anwälte oder Berater. Man biete hier kein enges Berufsbild an, sondern allgemeine Betriebswirtschaftslehre eingebettet in eine internationale und interkulturelle Umgebung, wie dies eben von großen, global agierenden Unternehmen gefordert werde.

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Internationale Studentenfamilie

Diese Buntheit und Flexibilität gilt auch schon für die Lauder Business School selbst. Zwar wurde sie mit Zielrichtung auf jüdische Studenten aus Osteuropa gegründet, aber eine öffentliche Schule darf nicht diskriminieren, deshalb studieren hier auch nichtjüdische Österreicher. Die Internationalität hat sich längst deutlich verbreitert: Es gibt Schweizer, Deutsche, Franzosen, aber auch Lateinamerikaner aus mehreren Ländern. „Die meisten kommen aber nach wie vor aus den großen osteuropäischen jüdischen Gemeinden“, weiß der Schulmanager Zirkler. Die Studentenzahl schwankt ständig, nicht wegen vieler Abbrecher, sondern weil aus dem Bachelor-Kurs zahlreiche Studenten ihre Praktika absolvieren. Zirkler: „Wir haben 237 Studenten angemeldet, anwesend sind derzeit etwa 150, der Rest arbeitet in Unternehmen. Das gesamte sechste Semester der Bachelors ist ja außer Haus.“

Feierliches Mahl am Freitagabend. Wie finden die Studenten nach Wien? Es ist nach wie vor hauptsächlich Mundpropaganda, erst dann erfolgt die genauere Recherche im Web. „Ich habe davon durch einen Freund erfahren“, erzählt Maxim Lisnowski. Er stammt ursprünglich aus der Ukraine, lebte aber in Essen. „Ich wollte etwas Internationaleres machen und überdies etwas weiter von den Eltern weg sein.“ Gil Laish kam über seinen Bruder in den BA-Kurs. „Er hat in Wien gearbeitet und im 19. Bezirk gewohnt. Seine Frau ist religiöser als er, sie fährt nicht am Schabbat. Da war die Synagoge in der Lauder Business School die nächste zu Fuß erreichbare. So bin auch ich hierher gekommen.“

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Nicht alle Studenten sind religiös, nur wenige tragen im Alltag eine Kippa wie der Zürcher Morten. „Aber viele von uns sind zum ersten Mal von den Familien weg im Ausland, und hier wird uns eine Art Familie geboten“, berichtet Danielle Sheinfeld aus Israel. Es gibt jeden Freitagabend ein feierliches Mahl, wer beten will, nimmt am Gottesdienst teil. „Manche von uns erfahren hier mehr über jüdische Feiertage und Traditionen, als wir das von zuhause mitbekommen haben“, so eine Studentin.

Jedes Gesicht hat einen Namen

Die Beziehungen zu Wien sind unterschiedlich intensiv. In den ersten Semestern ist die Belastung durch das Studium sehr groß, da bleibt nicht allzu viel Spielraum für Entdeckungstouren. Später lernen sie dann junge Wienerinnen und Wiener kennen, besuchen Clubs und Lokale. Und zu den Feiertagen laden auch immer wieder jüdische Wiener Familien Studenten zu sich nach Hause ein, vor allem während der Ferienzeiten, wenn die koschere Mensa geschlossen ist.

Das Persönliche spielt nicht nur in der Freizeit eine Rolle. „Der entscheidende Unterschied zu einer Massenuniversität“, erklärt Daniella Sheinfeld, „ist, dass hier jeder ein Gesicht und einen Namen hat und nicht bloß eine anonyme Nummer ist. Das gilt für die Studenten wie für die Professoren. Wir begegnen einander auf einer Ebene. Zuerst kommt das Akademische, aber viele unserer Lehrer haben auch praktische Erfahrung durch ihre Berufe außerhalb der Uni. Und von ihnen bekommen wir dann immer wieder Tipps und Ratschläge für die reale Welt.“


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