„Liebe bedeutet Einheit“

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Verliebt, verlobt, verheiratet: das gilt auch für jüdische Paare. Doch wie finden sie einander? Und wie läuft dann die Hochzeitszeremonie ab? Alexia Weiss sprach dazu mit Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister.

wina: Welche Bedeutung hat die Ehe im Judentum?

Rabbiner Schlomo Hofmeister: Die Schöpfungsgeschichte sagt, G-tt hat beide zusammen geschaffen als ein Wesen, das beide Geschlechter repräsentierte. Erst durch die Schaffung von Chava (also Eva) wurden sie getrennt. G-tt wusste bereits bei der Schaffung des Menschen, dass er die beiden Teile trennen würde, aber er wollte sie als Einheit schaffen, damit sie wissen, was ihre Aufgabe ist – nämlich wieder eins zu werden. Das ist ein lebenslanger, schwieriger Prozess – und der Rahmen, der diesen Prozess ermöglicht, ist die Ehe.

wina: Worauf sollte dieses Ehe-Bündnis begründet sein? 

SH: Natürlich auf gegenseitiger Attraktivität, aber nicht nur physisch, sondern ebenso auch intellektuell und emotional.

wina: Auf welchem Weg kann man den richtigen Partner kennen lernen?

SH: Im Gegensatz zu der verbreiteten Annahme gibt es im Judentum keine arrangierte Ehe – in dem Sinn, dass es eine Ehe ohne das Einverständnis des Mannes und der Frau nicht geben kann. Weil die Wahl des richtigen Partners aber so ein wichtiger Aspekt im Judentum ist, verfolgen wir einen rationalen Ansatz bei der Partnersuche.

wina: Was bedeutet das?

SH: Rational bedeutet, auch an die Partnersuche bewusst und überlegt heranzugehen, um die Wahrscheinlichkeiten, tatsächlich die oder den Richtigen zu treffen, zu maximieren. In den seltensten Fällen ist es jedoch der stereotype Schadchan, der nach einem Partner sucht. Meist sind es die Eltern, Geschwister, Freunde, Bekannte und Nachbarn, die einen am besten kennen und die besten Vorschläge für ein Treffen mit einem potenziellen „Schidduch“ machen können. Wenn es dann, bei Zustimmung beider Seiten, zu einem ersten Treffen kommt, sind die gemeinsamen Absichten bereits auf dem Tisch und die beiden können sich wesentlich direkter und unbefangener unterhalten und tatsächlich kennen lernen. Wenn sich die beiden dann nach ein paar Treffen in ihren Ansichten, Vorstellungen und Lebensplanungen tatsächlich als kompatibel erweisen, kann natürlich auch Romantik einkehren, aber das soll nicht der Anfang sein, denn es geht darum, den richtigen Partner für das gemeinsame Leben zu finden, mit dem man sich auch in den oftmals alles andere als romantischen Situationen des realen Lebens versteht und verbunden fühlen kann.

wina: In einer kleinen Gemeinde wie Wien ist es allerdings nicht so leicht, einen Partner in derselben Stadt zu finden.

SH: Ja, da ist die Auswahl natürlich begrenzt. Es gibt allerdings durchaus erfolgreiche Ehen von Wiener Paaren, wo sich beide von Kindesbeinen an kannten oder auch nicht, weil sie in verschiedenen Kreisen aufgewachsen sind. Aber es ist in jüdischen Gemeinden seit jeher so, dass überproportional viele Eheschließungen über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus erfolgen.

wina: Welche Rolle spielt die Liebe in einer jüdischen Ehe?

SH: Liebe ist natürlich ein unbedingter Aspekt jeder Beziehung, und auch im Judentum braucht es Liebe zwischen Mann und Frau. Liebe heißt auf Hebräisch „Ahava“, und der numerische Zahlenwert dieses Wortes ist 13, genauso viel wie der Zahlenwert des Wortes „Echad“, was „eins“ bedeutet. Liebe bedeutet also Einheit. Einer der wichtigsten Aspekte des jüdischen Liebesbegriffes ist dabei das Geben. Zur Ehe gehört ja auch das Kinderbekommen, denn auch das Kinderaufziehen wird dem Paar helfen, in diesem Aspekt der Liebe an sich zu arbeiten. Alle Eltern wissen, die Liebe zu ihren Kindern ist echte Liebe, sie ist unkonditional, sie ist begründet auf dem Geben, denn die Eltern bekommen vom Kind überhaupt nichts. Und die partnerschaftliche Liebe sollte ebenfalls in diese Richtung gehen.

wina: Sex vor der Ehe – erlaubt oder tabu?

SH: Eine intime Beziehung außerhalb der Ehe ist in der jüdischen Tradition nicht vorgesehen, das betrifft sowohl die Zeit vor der Hochzeit als auch außereheliche Affären von Verheirateten, und da gibt es in der Praxis keinen Unterschied, also keinen moralischen Doppelstandard, zwischen Männern und Frauen.

wina: Was hat es mit der Tradition des weißen Brautkleids auf sich?

SH: Der Hochzeitstag ist für das Paar wie ein Jom Kippur, ein Versöhnungstag, und da trägt man weiß. Mit der rituellen Reinheit einer Frau oder ihrer Jungfräulichkeit hat dies bei uns nichts zu tun. Auch wenn es nicht ihre erste Hochzeit ist, kann eine jüdische Braut, egal welchen Alters, ein weißes Hochzeitskleid tragen.

wina: Und wo werden jüdische Hochzeiten üblicherweise gefeiert?

SH: Traditionellerweise findet die Chuppa, also die Eheschließung, unter freiem Himmel, zum Beispiel im Synagogenhof oder auch in einem Park, statt, manchmal aber auch einfach vor der Halle oder dem Hotel, wo dann die Hochzeitsfeier abgehalten wird. Ab Mitte des 19. Jahrhundert haben die deutschen Rabbiner als erste auch erlaubt, die Chuppa in der Synagoge zu machen.

den richtigen Partner finden, mit dem man sich auch in den realen und alles andere als romantischen Situationen des Lebens verbunden fühlt.

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wina: Wie startet das Hochzeitspaar in den Tag?

SH: Der Tag der Eheschließung gilt ja als ein Jom Kippur für das Paar, also fasten die beiden, weil es ein wichtiger spiritueller Tag ist. Die Ehe ist eben nicht nur eine beliebige Verbindung, sondern hat einen wichtigen spirituellen Aspekt. Nur um von Staats wegen als verheiratet anerkannt zu werden, würde eine Zivilehe ja auch reichen. Deshalb ist die Zeremonie der Eheschließung spirituell dominiert.

wina: Die Chuppa – wie sieht sie aus?

SH: Ursprünglich wurde lediglich ein Tallit, ein Gebetsmantel, verwendet, mit dem das Brautpaar bedeckt wird. Viele Sefardim und manche Aschkenasim verwenden bis heute ausschließlich einen solchen Tallit. Im späten Mittelalter hat sich in Anlehnung an kirchliche Bräuche in Osteuropa und auch in Italien der heute vielerorts übliche, über vier Stöcke gespannte Baldachin als Chuppa eingebürgert. Die Chuppa repräsentiert das gemeinsame Haus und zeigt, dass die beiden nun zusammen sind und unter einem Dach vereint leben.

wina: Wie beginnt dann die eigentliche Zeremonie?

SH: Der erste Schritt ist die Kidduschin, der zweite die Nisu’in, die eigentliche Trauung. Dabei wird ein Segensspruch über den Becher Wein gesprochen. Danach übergibt der Mann der Frau einen Ring, ohne irgendwelche Verzierungen, also auch ohne Gravur oder Steine. Dadurch, dass die Frau den Ring – einen Wertgegenstand – entgegennimmt, wird der rechtliche Vertrag zwischen Mann und Frau geschlossen. Von diesem Moment an gelten sie als verheiratet.

wina: Es gibt aber auch noch einen schriftlichen Ehevertrag.

SH: Ja, den bekommt die Frau jetzt nach der Ringübergabe. Manchmal wird die Ketuba aus praktischen Gründen bereits vorher unterschrieben, manchmal erst an dieser Stelle. Übergeben wird sie aber in jedem Fall erst jetzt. In der Ketuba werden insbesondere die Pflichten des Ehemannes gegenüber seiner Frau aufgezählt, traditionellerweise in einem Standardtext auf Aramäisch, der bereits auf biblische Zeiten zurückgeht. Hier sind auch Geldbeträge festgehalten, die der Frau im Fall der Scheidung und im Fall seines Todes zustehen. Nach der Übergabe der Ketuba vom Mann an die Frau folgen noch die sieben Segenssprüche, die als Wünsche an das Ehepaar zu sehen sind. Damit ist die Ehe geschlossen.

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wina: Und dann wird das Glas zerbrochen.

SH: Das berühmte Glaszerbrechen ist kein integraler Bestandteil – eine Chuppa ohne Glaszerbrechen ist genauso gültig. Aber warum zerbricht man überhaupt Glas? Auch bei den fröhlichsten Ereignissen sollen wir der Zerstörung Jerusalems und des Tempels gedenken. Deshalb brechen wir das Glas, um einen Moment innezuhalten. Mazel tov sollte man übrigens erst nach diesem kurzen Innehalten sagen und nicht sofort bei Zerbrechen des Glases.

wina: Ab welchem Moment bedeckt die Frau dann ihr Haar?

SH: Es ist bekannt, dass verheiratete jüdische Frauen gemäß der Halacha ihre Haare bedecken. Manche tun das bereits bei der Chuppa, zum Beispiel mit einem Scheitel, also einer Perücke, andere mit einem Schleier während der Feier, und wieder andere beginnen die Haare erst am nächsten Tag zu bedecken.

wina: Welche Funktion hat der Rabbiner bei der Hochzeit?

SH: Von der Halacha her ist er theoretisch gar nicht nötig. Das Wichtigste sind das Brautpaar und die zwei Zeugen, diese sind Grundvoraussetzung für eine Eheschließung. Es hat sich aber durchgesetzt, dass der Rabbiner als Zeremoniar fungiert, damit alle formaltechnischen Dinge eingehalten werden.

wina: Und was passiert, wenn das Paar nach einiger Zeit darauf kommt, dass es doch nicht füreinander geschaffen ist?

SH: Wenn es in einer Ehe holpert, was ganz normal sein kann, ist das noch lange kein Grund, sich zu trennen. Die rabbinische Tradition steht sicher nicht dafür, sofort an Scheidung zu denken. Jede Gemeinde hat daher professionelle Eheberater, die sich um Paare, die Schwierigkeiten haben, kümmern können, deren Einsicht und Einverständnis selbstverständlich vorausgesetzt. Es geht unbedingt darum, die Ehe zu retten. In Wien kann man sich hier an das Rabbinat wenden.

wina: Eine Scheidung ist aber möglich.

SH: Wenn es gar nicht anders geht, als letzter Ausweg. Die Scheidung ist ein Rechtsakt, der vor einem Beit Din, einem Rabbinatsgericht, stattfindet. Schließlich übergibt der Mann der Frau einen Scheidebrief, den Get. Auch für eine Scheidung bedarf es der Zustimmung beider Ehepartner, und eine Frau darf nicht gegen ihren freien Willen geschieden werden. Damit schützt die jüdische Tradition auch ganz bewusst die Frau.

Zur Person

Rabbiner Schlomo Hofmeister, geb. in München, Matura in Deutschland. Lernte an Jeschiwos in England und Israel und studierte Sozialwissenschaften, Geschichte und Politik an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität sowie der University of British Columbia. Master an der London School of Economics. Rabbinatsstudien in Jerusalem, u. a. im Rabbinerseminar Toras Schlomo. Als er 2005 seine rabbinische Ordination erhielt, war er der erste Rabbiner, der nach 1945 in Deutschland geboren und aufgewachsen ist. Zunächst Direktor des Psalmenmuseums in Jerusalem. Seit 2009 Gemeinderabbiner in Wien. Rabbiner Hofmeister ist verheiratet und Vater von drei Söhnen.


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