„Man liest so viel, wie man kann.“

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Seit 1999 führt Dorothy Singer die Buchhandlung im Jüdischen Museum Wien. Wie sie ihre Auswahl trifft, womit die Branche kämpft und was sie sich für die nächsten Jahre wünscht, erzählt sie im WINA-Gespräch mit Alexia Weiss.

wina: Im März findet jedes Jahr die Leipziger Buchmesse statt – das ist der Startschuss in den Bücherfrühling. Welche jüdischen Neuerscheinungen darf man nicht verpassen?

Dorothy Singer: Für sehr anspruchsvolle Leser ist sicher das neue Werk von Péter Nádas interessant – Parallelgeschichten ist in Ungarn bereits 2005 erschienen, jetzt erstmals auf Deutsch. Der Autor wurde mir vor vielen Jahren von György Dalos empfohlen, an diesem Buch hat Nádas unglaubliche 18 Jahre gearbeitet, das sind Musil-Dimensionen. Im Juni kommt von Irvin D. Shalom Das Spinoza-Problem. Darin geht es um den jüdischen Philosophen Alfred Rosenberg, den führenden Ideologen des nationalsozialistischen Regimes. Rosenberg war besessen vom Werk des jüdischen Rationalisten. Yalom erzählt die Geschichte der beiden auf seine bewährte philosophisch-analytische Weise. Und dann der Hanser-Titel Start-Up Nation Israel – was wir vom innovativsten Land der Welt lernen können von Dan Senor und Saul Singer.

„In einer Stadt, in der fast alles Jüdische von einst zerstört wurde, lebt die Erinnerung daran neben einer reichhaltigen, modernen und lebendigen Kultur in einer Museumsbuchhandlung besonders gut, finde ich.“

wina: Die romantische Vorstellung ist ja, dass ein Buchhändler all die Bücher, die er führt, selbst gelesen hat. Wie machen Sie sich ein Bild von einem neuen Titel?

DS: Das ist wirklich eine romantische Vorstellung. Man liest so viel, wie man kann, und nicht nur ich selbst, sondern meine Familie, Freunde und Kunden. Da greift man direkt auch auf Erfahrungen von anderen zurück. Es gibt die Möglichkeit, quer- oder anzulesen, den Anfang, um den Stil zu erfassen, die Mitte, das Ende, oder ich lese die ersten 20, 30 Seiten an – dann ist man schon beim nächsten Buch. Das sind die üblichen Techniken. Und dann gibt es noch die Rezensionen, und natürlich recherchiere ich viel im Internet.

wina: Sehen Sie auch den Auftrag, einen Beitrag zu jüdischen Kultur zu leisten?

DS: Durchaus. Wirtschaftlich gesehen ist das beinahe ein Luxus, den ich mir da leiste. Ich habe quasi mein Hobby zum Beruf gemacht. In einer Stadt, wo fast alles Jüdische von einst zerstört wurde, lebt die Erinnerung daran neben einer reichhaltigen, modernen und lebendigen Kultur in einer Museumsbuchhandlung besonders gut, finde ich. Wir sind gerade dabei, das Backlist-Lager wieder neu aufzubauen, schon allein das ist ein wesentlicher Unterschied zu anderen Geschäften. Im Sachbuchsegment und bei Religion und Philosophie sind wir oft die einzigen Anbieter in der ganzen Stadt. Indem ich Titel und Inhalte zum Kosumenten bringe, leiste ich meinen Beitrag. Und ich bestelle auch vieles, was absolut neben dem Mainstream läuft. Da freuen sich dann auch die Verlage und Autoren, wenn das in der Buchhandlung erhältlich ist – und nicht nur in einem Auslieferungslager liegt.

wina: Jüdische Bücher: sind das Bücher, die von Juden geschrieben wurden, oder solche, die jüdische Inhalte transportieren? Wie wählen Sie Ihr Angebot aus?

DS: Ich habe für mich die Regelung getroffen, dass die Inhalte wichtig sind. Der Autor kann hundert Mal jüdisch sein und es ist für die jüdische Buchhandlung trotzdem uninteressant. Auf der anderen Seite führe ich zum Beispiel auch Tätergeschichten. Die sind genauso wichtig.

wina: Das heißt, es geht auch darum, das zu bieten, was nachgefragt wird.

DS: Natürlich. Ich muss wirtschaftlich denken. Ich habe auch schon versucht, ganz andere Bestseller aufzulegen, aber das wurde teilweise überhaupt nicht akzeptiert. Donna Leon kann ich hinlegen und verkaufe nichts. Ist schon passiert. Hier erwartet man sich ein ganz bestimmtes Sortiment, und das wird nachgefragt. Vieles von dem gibt es im allgemeinen Sortiment, weil sich jüdische Autoren und Themen prominent in den Bestsellerlisten finden. Derzeit versuche ich auch, das Angebot an englischsprachigen Büchern zu erweitern.

wina: Gibt es hier eine steigende Nachfrage?

DS: Es gibt den British Bookshop nicht mehr. Das spüre ich. Für mich ist es aber immer eine Frage des Wechselkurses. Wenn ich mit dem Transport einen Preis halten kann, den man auch im Internet bezahlt, kann ich das machen.

wina: Bei Amazon bekomme ich auch englische Bücher, ohne Porto zu bezahlen. Spüren Sie die Konkurrenz?

DS: Ich weiß ja nicht, wer über Amazon bestellt. Ich spüre es also direkt nicht. Aber der Internethandel wächst insgesamt. Wie sehr das ökologisch Sinn macht, wenn jede Ware einzeln geliefert wird, frage ich mich aber schon. Und mir macht die Konzentration allgemein Sorgen, ob durch Amazon oder zum Beispiel bei der elektronischen Kartenzahlung, wo so und so viele Prozente des Handelsumsatzes an die Finanz gehen. Und dann natürlich das Thema Versand. Die Kosten steigen enorm.

wina: Eine Buchhandlung, die sich auf Jüdisches spezialisiert, besetzt eine sehr kleine Nische. Andere kleine Geschäfte müssen schließen, übrig bleiben die großen Ketten. Ist der Wind sehr rau?

DS: Ja, der Wind ist sehr rau. Aber es ist nicht klar, dass nur die Ketten überleben. Bis vor Kurzem war der Trend, dass alles groß sein muss, Megastores schossen aus dem Boden. Das ist rückläufig. Die Flächen werden wieder kleiner. Der wahre Kampf findet aber unten beim Rabbat statt. Der Druck von den Ketten auf die Verlage ist enorm. Und dann kaufst du natürlich besser ein. Kein Verlag kann es sich zum Beispiel leisten, nicht bei Thalia zu sein.

wina: Sie führen nicht nur Bücher, sondern auch Musik und Judaika. Was geht am besten?

DS: Mit den Tonträgern höre ich auf. Mein Problem sind die teuren Spesen und dass in der Branche die Zwischenhändler verschwunden sind. Ich hatte solch einen Händler in Amerika, der hat mir von 30 verschiedenen Labels bestellt. Dann musste ich direkt 30 Labels importieren. Manche verkaufen überhaupt nur mehr über das Internet, vieles ist gratis verfügbar. Und bevor ich dann Kundenwünsche nicht erfüllen kann, biete ich es lieber gar nicht mehr an. Der Non-Book-Bereich ist aber weiter wichtig, da sehe ich mich teilweise als Grundversorger. Wenn jemand in eine neue Wohnung zieht und eine Mesusa braucht, oder gewisse Kippot für eine Hochzeit oder Theater, dann findet man das im Book Shop.

wina: Und was verkaufen Sie nicht über Ihren Ladentisch?

DS: Dinge aus dem Esoterikbereich, Stichwort Kabbala, da gibt es einen großen Graubereich, den ich nicht verkaufe. Original Berg-Kabbala-Bändchen um 70 Euro wird man bei mir nicht bekommen. Und nichts, was unausgewogen antizionistisch ist. Ich erlaube mir also, gewisse Dinge nicht zu führen, habe aber schon ein großes Spektrum. Ich habe ja die Möglichkeit, mit den Menschen, die ein Buch kaufen, zu sprechen und auch einmal zu sagen, ich finde das nicht gut und warum.

Zur Person

Dorothy Singer, geb. 1964 in Wien, AHS, Buchhändlerlehre bei Kleemann in Hietzing. Von 1984 bis 1988 in der City-Buchhandlung Heidrich angestellt, danach vier Jahre als administrative Leiterin von Chabad tätig. 1992 Rückkehr in den Buchhandel beim Linde Verlag. Seit 1993 in der Buchhandlung im Jüdischen Museum in der Dorotheergasse aktiv, die sie seit 1999 selbstständig als „Book Shop Dorothy Singer“ führt.

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