„Theater ist etwas Lokales für mich.“

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Airan Berg vor einer Straßenbahn

Der in Tel Aviv geborene und in Wien aufgewachsene ehemalige Intendant des Wiener Schauspielhauses, Airan Berg, über Wien und die Wiener, Kulturhauptstädte und die Aufgaben des modernen Theaters. Interview: Esther Graf

wina: Weshalb kamen Ihre Eltern von Tel Aviv nach Wien?

Airan Berg: Mein Vater hat für eine Import-Export-Firma gearbeitet. Die hat ihn nach Wien geschickt, um dort ein neues Büro zu eröffnen. Ich war damals elf Jahre alt.

wina: Sie haben in Amerika Theater Arts studiert? Was unterscheidet dieses Studium von der Theaterwissenschaft?

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AB: Wir haben da sowohl Theatergeschichte und Theaterkritik gelernt als auch Bühnenbild und Schauspiel. Das Studium war eine Mischung aus Theaterwissenschaft und Reinhardt-Seminar.

wina: Nach Ihrem Bachelor sind Sie sofort in die Praxis gegangen und zwar zu Herold Prince an den Broadway. Wie kam es dazu?

AB: Am Ende meines Studiums hatte ich im Rahmen eines Übungsjobinterviews die Gelegenheit, Harold Prince kennen zu lernen. Wir unterhielten uns anderthalb Stunden, und am Ende des Gesprächs fragte er mich, was ich ab Januar vorhätte. Er startete eine neue Produktion und wollte mich gerne als Assistenten dabei haben.

wina: Woher stammt Ihre Leidenschaft für das Theater?

AB: Ich wollte von klein auf ans Theater. Das hat mich schon als Kind fasziniert. Ich habe in der Schule Theater gespielt. Meine Familie musste viel mitmachen, ich habe immer gerne was vorgespielt. Familiär habe ich da aber keine Vorprägung. Aus meiner Familie war niemand am Theater.

wina: Waren Sie in einem der jüdischen Jugendvereine oder im jüdischen Religionsunterricht in Wien?

AB: Ich muss Sie enttäuschen. Ich war weder in dem einen noch in dem anderen. Ich war aber auch in keinem christlichen Verein. Judentum hat für mich in der Form nie eine Rolle gespielt. Ich bin Israeli und von Geburt her Jude.

wina: Ihre internationalen Tätigkeiten legen es nahe, Sie als Kosmopoliten zu bezeichnen. Sie haben aber u.a. weiterhin Ihren Wohnsitz in Wien. Was verbindet Sie mit der Stadt?

AB: Das hat erstmal ganz praktische Gründe. Ich besitze hier eine Eigentumswohnung. Meine Eltern leben in Wien, und ich habe hier nach wie vor mein soziales Netz. Ich sage immer: Wien wäre schön ohne die Wiener. Die sind immer unzufrieden, immer am Nörgeln. Wien ist sauber, hat das beste öffentliche Nahverkehrsnetz, der Lebensstandard ist hoch und das Trinkwasser hervorragend. Und trotzdem sind die Wiener immer unzufrieden. In Wien fehlt mir die positive Energie. Ich liebe Städte wie Tel Aviv und Istanbul. Die sind lebendig.

wina: Als künstlerischer Leiter für darstellende Kunst haben Sie am Projekt Kulturhauptstadt Linz 09 mitgearbeitet. Worin lag die Herausforderung?

AB: Für mich persönlich lag die Herausforderung darin, anders zu denken. Als ich von Wien nach Linz ging, sagten in Wien alle: „Du gehst nach Linz? Da stinkt’s.“ [In Anspielung auf die Schwerindustrie in der Stadt; Anm. d. Red.] Das war ihre einzige Assoziation. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass Kulturhauptstadt nicht Kunsthauptstadt bedeutet, sondern man muss eine ganze Stadt dazu bringen, anders zu denken.

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wina: Finden Sie, dass dieses Mega-Event die Stadt Linz nachhaltig verändert hat?

AB: Auf jeden Fall. Die Linzer sehen ihre Stadt heute als Industrie- UND Kulturstadt. Die Tourismuszahlen belegen, dass Linz in den Fokus der Reisenden gekommen ist. Letztes Jahr gab es mehr Touristen als 2009. Und in Wien gibt es jetzt auch andere Assoziationen mit Linz.

wina: Seit Anfang dieses Jahres leiten Sie zusammen mit Rainer Kern in Mannheim das Büro 2020, das die Stadt Mannheim und die gesamte Metropolregion Rhein-Neckar auf eine Bewerbung als europäische Kulturhauptstadt vorbereitet. Wie ist Ihr erster Eindruck von Mannheim?

AB: Das Zentrum ist in Quadrate eingeteilt. Ich bin allerdings dafür, dass man da noch ein paar Kreise um die Quadrate macht, denn nur quadratisch zu denken engt ein. Aber Spaß beiseite. Ich mag in dieser Stadt die Kombination aus Licht und Wasser. Ich liebe meinen Fußweg ins Büro von meiner Wohnung in der Neckarstadt West, wo viele unterschiedliche Kulturen leben, wo es Reibung gibt, über die Neckar-Brücke, vorbei an der Moschee. In manchen Stadtteilen ist es richtig „abgefuckt“. Ich mag, dass nicht alles schön ist. Es gibt hier unterschiedliche Atmosphären, was ich eigentlich nur aus Großstädten kenne. Kulturell ist hier viel los. Man sieht aber auch die schrecklichen Folgen des Krieges in der Architektur. Hier fehlt der Mut zu etwas anderem, Herausragendem. Obwohl sonst der Mut zu vielen kulturellen Dingen da ist.

wina: Ihr Interesse im Rahmen Ihrer Theaterarbeit galt immer auch der Politik und der Intervention im öffentlichen Raum. Was ist Theater für Sie?

AB: Theater ist etwas Lokales für mich. Ich kann mich nur da, wo ich lebe, in die Politik einmischen, etwas bewegen. Während meiner Intendanz am Wiener Schauspielhaus haben wir unter anderem immer auch Vorstellungen für Gehörlose und Blinde angeboten. So etwas muss normal werden. Für mich war das immer selbstverständlich. Es gibt aber nach wie vor zu viele geschlossene Theateranstalten. Für mich sind die spannendsten Projekte die, wo man rausgeht zu den Menschen, das Theater öffnet.

Zur Person

Airan Berg, 1961 inIsrael geboren, studierte in den USA Theaterwissenschaft. Er war für die Salzburger Festspiele und mehrere Theater in Düsseldorf, Wien und Berlin tätig. Von 2001 bis 2007 war er künstlerischer Leiter des Schauspielhauses Wien. 2007 wurde er in Linz künstlerischer Leiter für darstellende Kunst der europäischen Kulturhauptstadt 2009. Am 1. Januar 2012 übernahm er die Geschäftsführung Projektmanagement bei der Vorbereitung der Bewerbung der Stadt Mannheim und der Metropolregion um den Titel „Europäische Kulturhauptstadt“.

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