Der weltberühmte Fotograf aus Wien verfügt über ein Archiv mit über 40.000 Fotos, die alle von ihm aufgenommen wurden. 1939 gelang die Flucht nach Palästina: Kibbuz, Technion und Taxifahren in Haifa waren die nächsten Stationen. Erich Lessing dokumentierte den Aufstand in Ungarn 1956 und porträtierte Größen der Politik wie Winston Churchill und Charles de Gaulle. Über seinen jüngsten Streich als Fotogalerist sprach er mit Marta S. Halpert.
wina: Ich freue mich, einem Jungunternehmer mit stolzen 88 Jahren gegenüber zu sitzen. Warum haben Sie gerade jetzt ein Straßenlokal, eine Fotogalerie, eröffnet?
Erich Lessing: Diese Idee ist aus der Überlegung entstanden, dass man die vielen Fotos, vor allem Vintage Prints der letzten 40 und 50 Jahre, die im Labor bereits abgezogen sind, sowie die Modern Prints auch über das Internet verkaufen könnte. Das hat sich durchaus bewährt, doch am wenigsten Interesse gab es aus Österreich. Meine Bilder verkaufen sich wunderbar in Frankreich und Amerika – zu den Käufern zählen auch viele ehemalige Ungarn. In der ganzen Welt gab es unzählige Ausstellungen meiner Fotoarbeiten, nur hier nicht. Die kleine Galerie liegt jetzt so zentral, dass wir es versuchen wollen.
wina: Mit welchem Programm wird die Galerie bespielt?
EL: Wir versuchen hier zweierlei: erstens vier bis fünf Ausstellungen pro Jahr zu Themen, die sich aus meinen Bildern aufdrängen. Denn mein fotografisches Leben basiert auf zwei Säulen, der Reportagefotografie aus einer sehr dichten Zeit, aus der ich Material besitze, das niemand anderer hat, nämlich aus osteuropäischen Staaten in den 1950er-Jahren. Und zweitens meine Arbeiten in Museen, die mehr als 60 Bildbände füllen. Das hier in diesen kleinen Räumen aufzuhängen ist absolut genial. Denn wir haben ganz wenig Quadratmeter, aber vier Räume.
Die aktuelle Ausstellung widmet sich Ostern. Dabei versuche ich die Gemälde aus Museen in der ganzen Welt, darunter Motive wie Leonardo da Vincis Abendmahl bis zu Salvadore Dalís gleichnamigen Werk mit Bildern der Landschaft von Jerusalem, Judäa, Jericho und Jordanien zu kombinieren. Ich habe eine einzigartige Sammlung, sowohl an Landschaften als auch an Museumsstücken, weil niemand so umfangreich fotografiert hat wie ich.
wina: Wenn junge Leute Interesse zeigen, können sie sich dann auch einen Lessing leisten?
EL: Ich hoffe das, denn die billigeren (A 4)-Drucke kosten 280 Euro, das sind Fotos, die manchmal noch einen Redaktionsstempel tragen. Die Vintage Prints fangen dann im Jahre 1950 an, solange ich schwarz-weiß fotografiert habe, also bis in die Siebzigerjahre. Wir haben die Negative, die Originale, diese kosten zwischen 1.500 und 3.000 Euro.
wina: Woran liegt es, dass es in Österreich weniger Interesse an Fotokunst gibt?
EL: Die Österreicher hören lieber Musik und gehen gerne ins Theater. Aber langsam beginnt jetzt vor allem die Dokumentarfotografie wieder modern zu werden. Die Fotos von der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrags und jene vom 1956er-Aufstand in Ungarn sind gefragt. Ob das mit einer gewissen Nostalgie zusammenhängt, so unter dem Motto „damals war alles besser, jetzt ist es schrecklich“, das wollen wir nicht näher untersuchen.
Faktum ist jedenfalls, dass meine Farbfotos in Österreich eher unbekannt sind, weil es hier keine Zeitschrift dafür gab und gibt. In Frankreich, Italien, England oder Amerika bin ich viel bekannter. Die große Zeit der Reportage, der Kunst- und Kulturmagazine ist vorbei.
wina: Kann man denn heute keine ästhetisch anspruchsvollen Geschichten mehr erzählen? Fehlt es an der Qualität?