Von Marta S. Halpert
Gemeinsam ist ihnen das Land der Geburt sowie die leidenschaftliche Liebe zur Musik. Mit Disziplin, Fleiß, Ehrgeiz und dem Mut, in die Fremde zu gehen, schafften sie es an die größten Opernbühnen dieser Welt. Das Talent, das ihnen internationale Anerkennung und Erfolg beschert, haben sie geschenkt bekommen. Doch was sie daraus gemacht haben, ringt einem große Anerkennung ab. Trotz dieser zahlreichen Gemeinsamkeiten könnten die hier porträtierten fünf israelischen Sängerinnen nicht unterschiedlicher sein: individuelle Künstlerpersönlichkeiten, die manchmal wegen der gleichen Stimmlage auch zu Konkurrentinnen um eine Rolle werden könnten. Und das ausgerechnet in Wien, denn allen fünf ist diese Stadt zur künstlerischen Heimat geworden: Drei von ihnen sind Ensemblemitglieder der Wiener Staatsoper; die beiden anderen freischaffend sowie im Theater an der Wien/Kammeroper engagiert.
Hila Fahima und Chen Reiss
Als theoretisches Beispiel für einen fruchtbaren Wettstreit könnten hier die beiden Sopranistinnen Hila Fahima und Chen Reiss angeführt werden. Beide haben lyrische und Koloraturpartien in ihrem Repertoire, beide singen unter anderem die „Adele“ (Fledermaus), die „Rosina“ (Barbier von Sevilla), die „Olympia“ (Hofmanns Erzählungen) die „Servilia“ (La Clemenza die Tito) und die „Gilda“ in Giuseppe Verdis Rigoletto. Trotzdem kamen sich diese Künstlerinnen noch nicht in die Quere, denn die 34-jährige Chen Reiss hatte ihr Debüt an der Staatsoper bereits 2009 als „Sophie“ im Rosenkavalier, nachdem sie Direktor Holender vorgesungen hatte. Als Dominique Meyer sie dann 2010 als „Nannetta“ (Falstaff) am Théâtre des Champs-Elysées in Paris hörte, engagierte er sie sofort für seine erste Spielzeit: Reiss sang bereits 2011 die „Gilda“.
Die 28-jährige Hila Fahima hingegen absolvierte ihr Rollendebüt als „Gilda“ erst zum Saisonende 2015 in Wien. „Diese Partie ist schicksalshaft für mich“, erzählt die in Karmi’el geborene Israelin, „Rigoletto war die erste Oper, die ich mit 16 Jahren gehört habe – und da wusste ich sofort, dass ich Opernsängerin werden will. Dass ich die Rolle einmal an der Wiener Staatsoper singen würde, hätte ich nie zu träumen gewagt.“ Das Debüt war mehr als gelungen und das Lob der Wiener Kritiker überschwänglich: „Die Überraschung des Abends war das Rollendebüt von Hila Fahima als Gilda: Zuerst ein Hingucker, wieder eine der Schönheiten aus der Meyer-Auslese (Typ: Sparkling Jewish Princess), aber auch ein idealer Gilda-Typ, das zarte junge Mädchen mit den tiefen Gefühlen. Aber es ist die Stimme, die ehrlich beeindruckt, ein heller, schöner, leichter Koloratursopran, der in den höchsten Lagen nicht schrillt, sondern leuchtet. Das Publikum schloss Hila Fahima jedenfalls geradezu stürmisch ins Herz.“
Musik gehörte in Hilas sefardischen Familie zum Alltag. Ihr Vater stammt aus Frankreich, seine Eltern kamen aus Portugal und Marokko; ihre Mutter hat jemenitische Vorfahren. Hilas Großeltern gehörten im Jahr 1964 zur Gründergeneration von Karmi’el, einer Kleinstadt unweit von Akko. „Meine ältere Schwester, Yifat Fahima Weisskopf, ist ein Mezzosopran und hat mich von klein auf zum Singen motiviert.“ Auch die Lehrerin erkannte das Talent der Zehnjährigen im Kinderchor und überredete die Eltern, ihr eine Gesangsausbildung zu ermöglichen. „Mit 12 erhielt ich dann Stipendien der America-Israel Cultural Foundation, die mich die nächsten sechs Jahre unterstützten.“
Die Geschwister absolvierten die Jerusalem Rubin Academy of Music and Dance, und Hila trat schon während ihres Studiums in mehreren Produktionen auf. Im Jahr 2010 gewann sie den ersten Preis des europäischen Gesangswettbewerbs DEBUT, gleich darauf erhielt sie mit nur 23 Jahren einen Dreijahresvertrag an die Deutsche Oper Berlin. Hier sang sie unter anderem die anspruchsvolle Koloraturpartie der Königin der Nacht in Mozarts Zauberflöte. „Im November 2012 habe ich bei Direktor Meyer vorgesungen und einen Vertrag für die Saisonen 2013/14 bzw. 2014/15 erhalten. In der Zwischenzeit wurde mein Vertrag bis 2017 verlängert, was mich sehr freut, da ich diese Stadt liebe, seitdem ich sie als Kind mit meinen Eltern zum ersten Mal besucht habe.“
Auch Chen Reiss entdeckte ihre Affinität zur Musik sehr früh, war sie doch familiär vorbelastet. „Meine Mutter war selbst Opernsängerin und Gesangslehrerin. Ich habe mit 14 Jahren zu singen begonnen, da habe ich schon längst Klavier gespielt.“ In Tel Aviv besuchte sie ein Gymnasium, das den Schwerpunkt auf darstellende Kunst legte. Den Militärdienst absolvierte sie großteils als Solistin des Zahal-Orchesters. „Ich habe dort alles gesungen, von Opernarien über Chansons, von Edith Piaf bis zu israelischer Popmusik.“ Für das Studium in New York verließ sie das beschützende Elternhaus, das ethnisch so bunt ist wie das ganze Land. „Meine Eltern sind zwar schon in Israel geboren, aber meine Großeltern väterlicherseits kamen beide aus Ungarn, die Eltern meiner Mutter aus der Türkei und Syrien.“