61 ist gut, 61 plus ist besser

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Es ist Benjamin Netanjahus vierte Amtszeit als Regierungschef. Mit einer Koalition so rechts und religiös wie nie. Allein schon das Überleben an ihrer Spitze wird ihn viel Energie kosten. Aber darin ist er ohnehin besser geübt als im Gestalten von Politik.

61 Sitze von 120. Eine Koalitionsmehrheit von nur einer Stimme also. So hatte sich Benjamin Netanjahu das nicht gedacht. Wollte er doch mit seinem Entscheid für vorgezogene Neuwahlen einen stabileren politischen Spielraum für sich schaffen, weniger abhängig von den Launen und Wünschen der einzelnen Partner. Der überraschend große Sieg seiner Likud-Partei (30 Sitze) aber ließ sich von ihm nicht ummünzen. Jetzt kann theoretisch jeder einzelne Hinterbänkler im Parlament damit drohen, die Regierung zu stürzen. 61 sei gut, sagte Netanjahu kleinlaut, 61 plus wäre besser. Damit hat er die Fragilität des neuen Parteienbündnisses gleich selber unterstrichen und die Türen weit aufgemacht für weitere Partner.

Politiker ändern ja bekanntlich ihre Meinungen. In Israel vielleicht sogar noch mehr als anderswo.

Vorerst aber wird nun Israel von einer schmalen rechts-religiösen Koalition aus fünf Parteien regiert werden. Netanjahu mag ein pfiffiger Wahlkampfstratege sein, Verhandlungsgeschick bei der Regierungsbildung gehört nicht zu seinen Stärken. Er verspricht allen im Vorfeld viel, kann sich dann aber nicht daran halten. Entscheidung zögert er hinaus, bis er unter Druck handeln muss. Naftali Bennett hat sich diese Schwäche seines ehemaligen Mentors zunutzegemacht: Mit nur acht Knessetsitzen stellt sein „Jüdisches Haus“ gleich drei wichtige Ministerposten. Netanjahu wird auch nachgesagt, dass er nicht zwischen wahren und falschen Freunden unterscheiden könne. In die letztere Kategorie gehört mit Sicherheit sein anderer einstiger Zögling, Avigdor Liebermann, der seine „Israel Beitenu“-Partei im letzten Moment aus dem Rennen gezogen hatte.

Um dennoch eine Koalition zustandezubringen, hat Netanjahu eine der größten Errungenschaften der vorherigen Koalition gleich wieder rückgängig gemacht, nämlich die Beschränkung der Ministerzahl auf 18. Schon sind wir wieder bei den alten Verhältnissen angelangt mit einem aufgeblähten Apparat, der vor allem dazu dient, aufgebrachte Likud-Mitglieder mit Posten zu besänftigen.

Netanjahu mag ein pfiffiger Wahlkampfstratege sein, Verhandlungsgeschick bei der Regierungsbildung gehört nicht zu seinen
Stärken.

Jetzt hat Netanjahu zwar eine Regierung (und eine vierte Amtszeit), aber ohne Vertrauen in seine unmittelbaren Partner und ohne jegliches Wohlwollen der internationalen Gemeinschaft. Im letzteren Kreis ist seine Absage an einen Palästinenserstaat am Wahlabend noch nicht verhallt, auch wenn er seither schon wieder ein wenig zurückgerudert ist. In seinem neuen Bündnis sitzt nun auch keine Zipi Livni mehr, die von ihrem Bestreben nach einem Ausgleich mit den Palästinensern zumindest unermüdlich geredet hat. Eine Regierung ohne Feigenblatt. Allerdings sind die meisten Israelis in dieser Hinsicht von den regionalen Verhältnissen ernüchtert genug, um zu wissen, dass auch eine Koalition angeführt von Jitzchak Herzog weder einen Durchbruch wirklich anstreben noch erzielen würde.

Was ihnen bleibt, ist die vage Hoffnung auf billigere Wohnungen und niedrigere Lebenskosten, wie es der neue Finanzminister Moshe Kahlon versprochen hat. Der allerdings muss sich nun fragen, woher das Budget kommen soll. Die Loyalität der zwei ultraorthodoxen Parteien hat ihren Preis.

Das Regieren wird für Netanjahu also sicherlich nicht leichter werden. Weder nach innen noch nach außen. Beobachter sahen seine Koalitionsbildung in letzter Minute deshalb lediglich als ein Manöver, um die nötige Zeit für eine breitere Regierungsbasis zu gewinnen. Spätestens wenn der Haushaltsetat verabschiedet ist, könnte Netanjahu demnach eine Erweiterung der Regierung anstreben. Nach jüngsten Rechnungen könnte sich die Abstimmung über das Budget aber sogar bis Mitte November hinausziehen. Und dann?

Der wichtigste Partner für eine große Koalition wäre das zionistische Lager. Dort ist man in dieser Hinsicht allerdings gespalten – und hat zudem seine Forderungen. Voraussetzung wäre die Wiederaufnahme von Verhandlungen mit den Palästinensern, der Ausschluss des „Jüdischen Hauses“ aus der Regierung sowie eine gemeinsame Führung bestehend aus Netanjahu und dem jetzigen Oppositionschef Jitzchak Herzog. Die Gegner schlagen indes vor, lieber zu warten, bis die jetzige Regierung auf Grund gelaufen ist. Zu ihnen gehört auch Herzog selbst, der sich gerade deutlich gegen eine Beteiligung an der Regierung ausgesprochen hat. Aber Politiker ändern ja bekanntlich ihre Meinungen. In Israel vielleicht sogar noch mehr als anderswo.

Und auch die Opposition muss sich die Frage stellen, wie denn eine Regierung unter Herzog überhaupt aussehen könnte oder würde. Ohne Beteiligung des Likud wäre eine solche Koalition ebenso fragil wie die jetzige. Auch erneute Wahlen würden vermutlich nichts an diesen Gegebenheiten ändern. Für bessere Bedingungen bräuchte es eine Reform des Wahlgesetzes – nach italienischem Modell. Damit würde der Chef der größten Partei automatisch zum Premier ernannt und nicht erst, nachdem er es geschafft hat, eine Regierung auf die Beine zu stellen.

Das Außenministerium hat Netanjahu vorerst noch für sich behalten. Als möglicherweise letzten Trumpf in einem Spiel, das für ihn nach der Wahl noch unberechenbarer als vorher geworden ist. Oder einfach bloß, weil er sich bei der Vergabe des Postens noch zusätzlich mit all jenen anlegen würde, denen er Hoffnung da-rauf gemacht hatte.

Bild: © flash 90/Miriam Alster

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