Getrennte Öffentlichkeit

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Immer mehr Ultraorthodoxe versuchen, auch im öffentlichen Leben ihr frauendiskriminierenden Grundsätze durchzusetzen. Eine langwieriger Prozess in der gesetzlichen Regulierung dieser Debatte hat erst seinen Anfang genommen. Kommentar Miriam Fried

Ein kleines Mädchen wird auf dem Schulweg von einem jüdisch-orthodoxen Extremisten angespuckt. Eine Soldatin wird von einem weiteren Prachtexemplar dieser Gattung im Autobus als „Hure“ und „Schickse“ beschimpft. Und Präsident Schimon Peres ruft zu einer Demonstration gegen die Ultraorthodoxen auf. Was ist bloß los im Heiligen Land?

Seit Wochen erhitzen sich in ganz Israel die Gemüter über „das Verdrängen der Frauen aus dem öffentlichen Raum“. Unter diesem von den Medien geprägten Begriff versteht man die Forderung der Ultraorthodoxen in Jerusalem und anderen frommen Wohnvierteln, keine Werbeplakate mit Frauenabbildungen zu achiffieren, religiöse Soldaten nicht dazu zu zwingen, weibliche Stimmen singen zu hören, und auf bestimmten Autobuslinien nach Geschlechtern getrennt zu sitzen.

Immer mehr Ultraorthodoxe in Jerusalem und anderen frommen Wohnvierteln fordern, Frauen gänzlich aus dem öffentlichen Raum zu vertreiben.

Ginge es nach den Köpfen der fanatischen Speerspitze der Orthodoxen, sollten alle öffentlichen Einrichtungen aus Gründen der Sittsamkeit streng in Männer- und Frauenbereiche getrennt sein, im Autobus wie beim Arzt oder im Supermarkt. Da aber die gesamte orthodoxe Bevölkerung Israels nur zehn Prozent beträgt und die Extremisten darunter nur ein paar Tausend ausmachen, herrschen diese fundamentalistisch strengen Vorschriften vorerst bloß in den von Charedim („Gottesfürchtigen“) bewohnten Gegenden.

Schauplatz Beit Schemesch

Die Kleinstadt Beit Schemesch liegt zwischen Tel Aviv und Jerusalem und war in den letzten Jahren immer wieder Schauplatz religiös motivierter Konflikte. Seit zwei Jahrzehnten gibt es dort einen starken Zuzug junger ultraorthodoxer Familien, die aus Jerusalems Mea-Schearim-Viertel stammen, der Hochburg der antizionistischen Charedim. Die von den Orthodoxen bewohnten Stadtteile wachsen, an den Demarkationslinien zu den Vierteln der restlichen Stadtbevölkerung kommt es immer wieder zu unfreundlichen bis gewalttätigen Zusammenstößen, wie zum Beispiel dem Vorfall mit dem kleinen Mädchen und den darauf folgenden Demonstrationen.

Jene Autobuslinien, in denen Frauen im hinteren und Männer im vorderen Teil sitzen, werden in erster Linie von streng gläubigen Fahrgästen frequentiert, und selbst wenn ein Teil von ihnen die Trennung für überflüssig hält, so wagt er nicht, dies laut auszusprechen, denn die Mehrheit der Orthodoxen ist davon überzeugt, dass fundamentalistische Strömungen notwendig sind, um den Rest bei der Stange zu halten.

Da die getrennte Sitzordnung in einem öffentlichen Verkehrsmittel gegen den in Israel gesetzlich festgeschriebenen Gleichheitsgrundsatz verstößt, die Orthodoxen dem aber entgegenhalten, dass sie die Geschlechtertrennung freiwillig vornehmen, hat der oberste Gerichtshof vorerst eine Probezeit verhängt, nach der dann endgültig entschieden wird. Im Klartext bedeutet dies ein ständiges Aufschieben der Entscheidung, die so immer wieder herausgezögert wird. Es sieht so aus, als ob keine Instanz großes Interesse hat, sich ernsthaft mit den Ultraorthodoxen anzulegen.

Nichtsdestotrotz steht die überwiegende Mehrheit der Israelis den Charedim ablehnend gegenüber. Die vorherrschende Meinung lautet, statt zu arbeiten und wie jeder andere auch Steuern zu zahlen, leben sie aus koalitionären Gründen seit der Staatsgründung auf Kosten desselben. Sie sind vom Militärdienst befreit, und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, lehnt ein Teil von ihnen diesen Staat auch noch ab, denn er wurde von Menschen und nicht vom Messias erschaffen.

Im Gegensatz zu den bisher erwähnten Konfliktherden, die gar nicht so neu sind, ist die Weigerung religiöser Soldaten, bei feierlichen Anlässen der Armee eine Frau singen zu hören, sowohl ein neues als auch ein die gesamte Öffentlichkeit betreffendes Phänomen. Für streng Orthodoxe ist weiblicher Gesang ebenso verführerisch wie der Anblick einer spärlich bekleideten Frau – und beides daher gütlichst zu vermeiden.

Die israelische Armee gilt seit Anbeginn als einziger und wichtigster Integrationsfaktor des Landes

Hier kommen alle zusammen, egal welcher politischen Gesinnung, ob religiös oder atheistisch, ob Sfarde oder Aschkenase. Hier werden aus Neueinwanderern Israelis. Auch den Militärrabbinern lag bisher mehr daran, das Gemeinsame aller Soldaten zu betonen, als auf gewisse religiöse Empfindlichkeiten einzugehen.

Doch die junge Generation der National-Religiösen entwickelte mit zunehmendem Nationalismus – sie sind zum Großteil die Kinder der Siedler in den Gebieten – auch einen wachsenden Hang zu tieferer Religiosität und einer gewollten Abschottung vom restlichen Land. Deshalb ist es ihnen auch in der Armee wichtiger, die Unterschiede zu betonen, als das Gemeinsame mit den restlichen Soldaten zu finden.

Da die Armeeführung Anfang Januar beschloss, dass die Anwesenheit bei feierlichen Anlässen, auch mit singenden Soldatinnen, Pflicht ist, legte bereits ein Militärrabbiner aus Protest sein Amt nieder.

Ein Ende des schwelenden Konflikts ist nicht abzusehen, da mit zunehmender Religiosität die Bereitschaft Kompromisse zu schließen, bekanntlich rapide abnimmt.

2 KOMMENTARE

  1. Wie man sieht, wollen extremisten eines: unfrieden stiften und anderen ihren willen aufzwingen, was ihnen auf demokratischem weg nicht gelingen könnte.

  2. „Da aber die gesamte orthodoxe Bevölkerung Israels nur zehn Prozent beträgt“

    Die orthodoxe Bevölkerung Israels beträgt 25 Prozent – Nationalreligiöse + Ultra-Orthodoxe (= Charedim).

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