„Ablenkung schaffen, um das Schicksal zu verkraften“

Als Spross einer Musikerfamilie verbrachte Ronald Leopoldi seine Kindheit auf der Bühne. Heute hält er das Erbe seiner Eltern, der Sängerin Helly Möslein und des Komponisten Hermann Leopoldi, am Leben.

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© Ronnie Niedermeyer

WINA: Ihr Vater entkam den Schrecken des Dritten Reichs und lernte in den USA seine zukünftige Frau kennen, Ihre Mutter. Doch wie kam sie, das nichtjüdische Wiener Mädel, in die USA?
Ronald Leopoldi: Meine Familie mütterlicherseits wanderte als Wirtschaftsflüchtlinge nach Amerika aus, als meine Mutter noch ein kleines Kind war. Sobald sie erwachsen war, zog sie alleine nach Wien zurück und studierte bis 1933 am Musikkonservatorium Gesang und Klavier. Im selben Jahr bekam sie ein Engagement als Operettensoubrette in Troppau und war gerade dort, als Hitler in Deutschland einmarschierte. Ihr sozialistischer Vater, der voraussehen konnte, was sich da anbahnte, bestand auf ihrer sofortigen Rückkehr nach Chicago. In Europa, so ließ er sie wissen, habe sie nichts mehr verloren.

»Wenn Heintje nicht verfügbar war,
wurde ich geholt.«

Ihre Mutter scheint ein Vorbild für Sie gewesen zu sein: Auch Sie haben Ihr Gesangstudium am Musikkonservatorium absolviert.
Als mein Vater starb, ging es uns nicht gut. Er hatte ja nichts hinterlassen, das ganze Geld wurde auf Tournee ausgegeben und verspielt. Als ich 1955 auf die Welt kam, war er schon 67, und bei seinem Tod war ich gerade einmal vier Jahre alt. Meine Mutter brauchte natürlich einen neuen Bühnenpartner. Es gab einige Angebote, das funktionierte aber nie besonders gut. Irgendwann fiel die Idee, dass ich mit ihr auftreten sollte. Wir waren gerade in Ernstbrunn, inzwischen war ich acht. Da musste ich nicht lange darüber nachdenken: Als Kind stellt man sich halt hin und singt. Es war ein ziemlicher Erfolg; von da an sind wir zwei bis drei Mal pro Woche aufgetreten. Mit neun durfte ich schon 5.000 Leute in der Wiener Stadthalle unterhalten. Den „kleinen Leopoldi“ nannte man mich. Immer, wenn Heintje nicht verfügbar war, wurde ich geholt.

Was waren die Hintergründe dafür, dass Hermann Leopoldi so sorglos mit Geld umging?
Nachdem mein Vater das KZ Buchenwald überlebte und in die USA fliehen konnte, holte ihn der damalige Kulturstadtrat Viktor Matejka 1947 unter großen Mühen nach Österreich zurück. „Den Leopoldi brauchen wir, der macht im zerbombten Wien mit seinen Liedern gute Stimmung“, hieß es. Obwohl der Bruder meines Vater von den Nazis ermordet wurde und er selbst nur knapp dem gleichen Schicksal entrinnen konnte, taten die Österreicher so, als sei er vom Erholungsurlaub zurückgekommen. „Der Leopoldi ist wieder da!“ Es gab ein riesiges Tamtam im Konzerthaus, aber vom Konzentrationslager wollte niemand etwas wissen. Und um das zu verkraften, hat er sich wohl im Casino ablenken müssen. Hätte er zu viel nachgedacht, wäre er wahrscheinlich übergeschnappt. Es hat lange gedauert, bis ich das begreifen konnte.

Emigration war für beide Eltern ein Thema. Welche Sensibilitäten brachten sie aus dieser Zeit mit?
Fast alle, die flüchten mussten, konnten lange nicht darüber sprechen; da war mein Vater keine Ausnahme. Ein Freund, der mit ihm in Dachau und Buchenwald war, kümmerte sich nach dem Tod meines Vaters sehr um mich. Das war der Vater des Pressefotografen Harry Weber. Viel später erlebte ich, wie er in seinen letzten Lebensjahren fast überschnappte. Sobald er weniger intensiv beschäftigt war, kamen Erinnerungen hoch, die er nicht verkraften konnte.

Was beschäftigt Sie gerade?
Vor einigen Jahren war ich bei einer Veranstaltung im österreichischen Kulturinstitut in New York und lernte dort den Sohn Kurt Schuschniggs kennen, der in dieser Stadt wohnte. Unsere Väter waren miteinander befreundet, mittlerweile sind wir es auch. Er lud mich zu sich nach Hause ein, seine Frau machte Palatschinken. Und dann erzählte er mir etwas, das mir momentan nicht aus dem Kopf geht. „Der größte Fehler meines Vaters“ – so Schuschnigg – „war, Arthur Seyß-Inquart zum Innenminister zu machen. Er dachte, damit könne er die Nazis beschwichtigen.“ Angesichts der heutigen politischen Lage ist dem nichts hinzuzufügen.

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