Ach Golda, wer hätte das gedacht

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Rauchend und mit gesundem Schuhwerk. So streng Golda Meir als Politikerin auch gewesen sein mag. Als Frau war sie für viele ihrer männlichen Wegbegleiter reizvoll anziehend. Und das auch noch mit 70. / © APA Picturedesk/Ullstein-Schirner X

Eine neue Biografie Golda Meirs versucht, die Frau hinter der Grande Dame der israelischen Politik zu zeigen: eine strenge Lady mit viel Sexappeal. Von Miriam Fried

Als ich noch Arbeitsministerin war, forderte ich einmal die Entlassung eines Fahrers der Straßenbau-Abteilung, da er in seinem Lastwagen während der Arbeitszeit Liebschaften hatte. Ich bin nicht der Moralapostel des Staates Israel, aber als Fahrer für Israels Straßenbau ist er ein Verantwortungsträger des Staates Israel. Ich sage daher den Kollegen im Außenministerium: Im Inland seid ihr Bürger wie jedermann, innerhalb Israels kann jeder Staatsbürger Liebschaften haben, das geht mich nichts an, aber ein Repräsentant des Staates Israel im Ausland soll dort keine Liebschaften unterhalten. Im Ausland hat Israel keine Liebschaften.“

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So äußerte sich Golda Meir 1962 anlässlich einer Sitzung des Parlamentsausschusses für Außen- und Sicherheitspolitik. Und dieses Statement passt nur zu gut zu dem Image, das der Öffentlichkeit von Israels erster und bislang einziger Premierministerin in Erinnerung blieb. Eine strenge ältere Dame mit altmodischer Frisur, großen Handtaschen und bequemen orthopädischen Schuhen. Politisch war sie dem rechten, unnachgiebigeren Flügel der Mapai, Israels sozialistischer Partei, zuzurechnen.

In den letzten Jahren ist „Golda-Bashing“ unter Israels Historikern sehr in Mode, jeden Herbst, wenn sich das Gedenken an den Jom-Kippur-Krieg jährt, finden Zeitgeschichtler und Militärhistoriker in den Archiven neue Dokumente, die belegen sollen, dass sie eine der Hauptverantwortlichen für das Debakel von 1973 war.

Auch der israelische Geschichtsdozent Yossi Goldstein war der Überzeugung, dass sie eine besonders schlechte Premierministerin war, doch änderte er seine Meinung grundlegend, als er sich daran machte, eine neue Biografie über Golda Meir zu schreiben, die nun auf Hebräisch erschienen ist. Darin revidiert er nicht nur ihr Image als Politikerin, sondern gewährt auch Einblick in ihr Privat- und Liebesleben, das durchaus mit jenem des geschassten Lastwagenfahrers konkurrieren könnte. Sie hielt sich nicht einmal an ihren eigenen Grundsatz, dass man als RepräsentantIn des Staates Israel keine Romanzen im Ausland haben soll. Ganz im Gegensatz zu ihren moralischen Anforderungen an Lastwagenfahrer im öffentlichen Dienst, waren bei ihr Privates und Berufliches stets sehr eng miteinander verknüpft.

Die alte und die neue Welt

Golda Meir, geborene Mabowitsch, kam 1898 in Kiew zur Welt. Die fromme Familie lebte in großer Armut, und von insgesamt acht Kindern erreichten nur drei Mädchen das Erwachsenenalter. Pogrome und Hunger veranlassten die Mabowitschs 1906, in die USA auszuwandern, wo sie sich in Milwaukee niederließen. Im Gegensatz zum russischen Zarenreich, wo Mädchen oft gar keine Schule besuchten, herrschte in Amerika, zum Leidwesen von Goldas Mutter, natürlich Schulpflicht. Golda lernte gerne und gut, sodass sie nach der Grundschule mit 14 beschloss, Lehrerin zu werden. Ihre Eltern waren strikt dagegen, denn „in der alten Welt“ begann man in diesem jungen Alter bereits, einen passenden Bräutigam zu suchen und möglichst rasch eine Familie zu gründen.

Um auf das Gymnasium und danach ans Lehrerseminar zu kommen, gab Golda Nachhilfestunden, bis sie genug Geld beisammen hatte, um zu ihrer älteren Schwester nach Denver zu flüchten, die sie in ihren Bestrebungen eifrig unterstützte. Im Hause der Schwester versammelten sich regelmäßig junge jüdische Intellektuelle, die sich für Sozialismus und Zionismus begeisterten. Dort lernte die 15-jährige Golda ihren späteren Ehemann Morris Meyerson kennen, mit dem sie 1921 nach Palästina auswanderte. Doch Goldas Traum, sich zionistisch in einem Kibbutz zu verwirklichen, scheiterte am Unvermögen ihres feingeistigen introvertierten Mannes, in einer landwirtschaftlichen Kommune zu leben.

Das Paar ließ sich in Jerusalem nieder, wo ihre beiden Kinder, Menachem und Sara, zur Welt kamen. Golda, die sich schon in Amerika in der zionistisch-sozialistischen Bewegung engagiert hatte, bemühte sich auch in der neuen Heimat, politisch aktiv zu sein. 1928 wurde sie Sekretärin der Women’s Labor Union innerhalb der Gewerkschaft Histadrut, deren Vorsitzender, David Remez, damals als zweitstärkster Mann nach Ben-Gurion galt. Er hatte die junge temperamentvolle Frau ein paar Jahre zuvor kennen gelernt und sah sich als ihr politischer Ziehvater, dessen Gefühle aber nicht rein platonischer Natur waren.

In Goldas Augen war er nicht nur ein ebenso gebildeter Denker wie ihr Mann, sondern im Gegensatz zu Morris auch tatkräftig und voller Durchsetzungsvermögen. Und so bahnte sich in den Gewerkschaftsräumen ein Techtelmechtel an, noch bevor sich Golda 1928 von Morris trennte und mit ihren beiden Kindern nach Tel Aviv übersiedelte. Golda blieb ihrem Mann aber weiterhin freundschaftlich eng verbunden und ließ sich von ihm bis zu seinem Tod 1951 nicht offiziell scheiden.

Glaubt man den Gerüchten jener Zeit, so machten Golda in den 20er- und 30er-Jahren etliche Männer aus ihrem politischen Umfeld mehr oder minder erfolgreich den Hof. Einige Affären sind durch Briefe belegt, so etwa ihr langjähriges Verhältnis mit dem späteren Präsidenten Israels Salman Schasar, das sie anfangs parallel zu jenem mit David Remez führte. Für einige Zeit gab sie zu Remez’ Leidwesen Schasar den Vorzug, bis dieser allerdings auf eine gemeinsame Zukunft und Ehe drängte, worauf Golda sich von ihm zurückzog.

Die Romanze mit Remez flammte wieder auf, und wie in den Staatsarchiven erhaltene Notizzettel belegen, hatten die beiden eine stürmische, von Eifersucht nicht ganz freie Beziehung. Er wollte genau wissen, wo, weshalb und mit wem sich Golda außerhalb des Büros traf, und sie beschwerte sich bitterlich, wenn er zwei Tage nichts von sich hören ließ. Angesichts der Tatsache, dass so gut wie alle Liebhaber Goldas verheiratet waren und neben ihr auch andere Liebschaften hatten, ist die misstrauische Zettelwirtschaft verständlich. Weniger verständlich ist allerdings, weshalb diese kleinen Nachrichten statt im Papierkorb im Archiv landeten …

„... obwohl Israel im Ausland doch keine Liebschaften haben sollte.“

Goldas Karriere führte über etliche Gewerkschafts- und Parteiposten in den engeren Kreis rund um den Staatsgründer und ersten Premierminister Israels, David Ben-Gurion, der sie sehr schätzte. Kurz vor der Unabhängigkeitserklärung entsandte er sie in die USA, um Spenden für die Aufrüstung des entstehenden Heeres zu sammeln. Ganz gegen ihre pessimistischen Erwartungen schaffte sie es nicht nur, die erforderlichen 30 Millionen Dollar aufzutreiben, sondern kehrte sogar mit 50 Millionen heim. Begleitet wurde sie auf ihrer Schnorr-Tour von Henry Montor, einem hochrangigen Funktionär jüdischer Organisationen in den USA. Die 50-jährige Golda und ihr amerikanischer Begleiter kamen ei­nander auch romantisch näher, obwohl „Israel im Ausland doch keine Liebschaften haben sollte“. Das Verhältnis dauerte rund zehn Jahre und wurde besonders eng, nachdem 1951 binnen einer Woche sowohl ihr Ehemann Morris als auch der langjährige Freund und Geliebte David Remez verstarben. Golda hielt Montor auch noch die Stange, als Israels Regierung und amerikanisch-jüdische Funktionäre wegen ständiger Streitereien seinen Rücktritt als Vorsitzender des Israeli Bonds forderten, der schließlich 1955 gegen Goldas massiven Widerstand erfolgte.

Nach der Staatsgründung bekleidete Golda Meir mehrere Ministerposten, bis sie schließlich 1969 Premierministerin wurde. 1971 machten Gerüchte die Runde, dass die 73-Jährige eine neue Romanze hat, und zwar mit dem jüdisch-amerikanischen Millionär Louis Boyar. Im Gegensatz zu früher bemühte sich Golda gar nicht mehr, ihre enge Beziehung zu Boyar geheimzuhalten.

Die Jahre 1972/73 waren wohl die schwärzesten in Golda Meirs Karriere

Der zunehmende palästinensische Terrorismus fand im Anschlag auf Israels Mannschaft bei den Olympischen Sommerspielen in München 1972 einen vorläufigen grausamen Höhepunkt, im Jahr darauf folgte zu Jom Kippur der Überraschungsangriff Syriens, Ägyptens und derer Verbündeter. Das Trauma jenes Krieges wirkt bis heute nach. 1974 trat Golda Meir deshalb als Premierministerin zurück und verstarb vier Jahre später an Lymphdrüsenkrebs.

Ihr politisches Wirken und ihre Verantwortung für das Debakel des Jom-Kippur-Krieges bleiben nach wie vor umstritten. Doch aus Goldsteins Golda-Biografie geht nur zu deutlich hervor, dass die strenge Lady mit den unmodischen Schuhen offensichtlich ganz schön Sexappeal hatte.

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