„Alles außer Fotografie wäre schade um mein Leben.“

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ALISA DOUER hat hunderte Künstler aus Österreich, die im Exil leben, interviewt und fotografisch porträtiert. Vor vierzig Jahren wurde Wien zu ihrer Wahlheimat.

Redaktion und Fotografie: Ronnie Niedermeyer

WINA: Du bist in Tel Aviv geboren und lebst jetzt in Wien. Wie kam es dazu?

Alisa Douer: Ich kam noch im damaligen Palästina zur Welt, bin halb Sephardi, halb Aschkenasi. Nach meiner Scheidung bekam mein Exmann aufgrund eines alten jüdischen Gesetzes die Obhut über unsere zwei Söhne. Unter diesen Umständen habe ich es bevorzugt, Israel zu verlassen und zu meiner Tante nach Wien zu übersiedeln.

„Wien und ich, das war Liebe auf den ersten Blick.“

Wie ging es in Wien für dich weiter?

❙ Wien und ich, das war Liebe auf den ersten Blick. Ich bin als Tabula rasa hierher gekommen und konnte noch kein Wort Deutsch. Bald darauf gründete ich einen Import und Großhandel für Kunstgewerbe. Anfangs mussten sich meine Kunden zum Teil selbst die Bestellscheine ausfüllen, weil meine Sprachkenntnisse noch unzureichend waren. Später hatte ich eine kleine Geschenkboutique in der Mahlerstraße bei der Oper. Mein Sohn sagte zu mir: „Mama, du wirst nie Geschäftsfrau. Statt einen Gewinn zu erzielen, willst du sie zum Geschmack erziehen.“ Er hatte Recht gehabt.

Und dann wurdest du Fotografin …

❙ Zu dieser Zeit war ich schon in zweiter Ehe mit dem Kameramann Peter Rösler verheiratet. Als ich Verwandte in Südamerika besuchen wollte, gab er mir einen Fotoapparat mit. Nach meiner Rückkehr entwickelte er die Filme, kam aus der Dunkelkammer heraus und sagte: „Alles außer Fotografie wäre schade um dein Leben.“ Das war für mich der Auslöser, mich auf dieses Medium zu konzentrieren. Ich kannte die Tochter von Erika Pluhar und war dank ihrer Vermittlung zehn Jahre lang Erikas Haus- und Hof-fotografin. Durch die Coverfotos in deutschen und österreichischen Zeitschriften bekam ich viele Folgeaufträge und habe eine Zeit lang vorwiegend Schauspieler fotografiert.

Wie war es, mit Erika Pluhar zu arbeiten?

❙ Es war wunderbar. Sie war so diszipliniert, ein echter Profi. In mein Studio kam sie immer mit mehreren unterschiedlichen Kostümen, Schals und Schmuckstücken, sodass wir alle Möglichkeiten ausloten konnten. Wir haben Bücher miteinander gemacht, Plattencovers, sogar Musikvideos.

In deinem bekanntesten Projekt geht es um Künstler österreichischer Herkunft, es ist in Zusammenarbeit mit dem Literaturhaus entstanden.

❙ Genau, die Serie heißt Die Zeit gibt die Bilder. Die Initiative kam 1989 von der Germanistin Ursula Seeber, die mir sagte: „Du kommst aus Israel, bist Jüdin und Fotografin und reist auch viel herum. Was hältst du davon, hier und da auch jemanden für uns zu fotografieren?“ So begann ich damit, nach vertriebenen Schriftstellern und anderen Künstlern zu suchen, um Fotos und Interviews mit ihnen zu machen: zuerst in Israel, danach in Europa und den USA, später auch in Südamerika, Australien und Neuseeland.

Waren das vorwiegend Überlebende der Schoah?

❙ Es waren hauptsächlich Juden, Monarchisten, Kommunisten und Sozialisten, die Österreich schon vor der Nazizeit verlassen mussten. Für einige von ihnen war ich die erste Vertreterin Österreichs, mit der sie es seit ihrer Emigration zu tun hatten. Ein Drittel aller Leute, die ich kontaktierte, wollten daher zuerst gar nicht für ein österreichisches Projekt fotografiert werden. Nur dadurch, dass ich selber aus Israel stammte und mit ihnen Hebräisch sprach, ließen sie sich zur Mitwirkung überzeugen.

In Südamerika hast du ja fast alle Länder bereist. Erzähle …

❙ Ich hatte zwanzig Namen im Gepäck, davon nur drei mit Adressen, und konnte nicht einmal Spanisch. So bin ich auf gut Glück von Land zu Land gereist, traf mich überall mit den österreichischen und israelischen Botschaften, den Niederlassungen des Goethe-Instituts und diversen jüdischen Organisationen. Alle waren sehr hilfreich, ich wurde von einer Person zur nächsten gereicht, nach dem Motto: „Ach, meine Mutter hat da so eine Bridgepartie, da könnte man nachfragen …“ Letztendlich habe ich mit sechzig Kunstschaffenden österreichischer Abstammung Interviews geführt und sie porträtiert – und bin also mit zahlreichem Material nach Wien zurückgekehrt.

Wer hat das alles finanziert?

❙ Das Projekt wurde im Großen und Ganzen vom Bundeskanzleramt, vom Außenministerium, vom Unterrichtsministerium und von der Stadt Wien gesponsert.

Was ist danach mit dem Projekt geschehen?

❙ Die Interviews und Fotografien sind in mehreren Büchern erschienen. Unter dem damaligen Literaturhaus-Direktor Heinz Lunzer machten wir die erste Ausstellung, Unterrichtsminister Rudolf Scholten eröffnete sie. Einige der Porträtierten kamen sogar zur Vernissage, obwohl sie sich geschworen hatten, nie wieder einen Fuß auf österreichischen Boden zu setzen. Als sie dann da waren, stellten sie fest, dass es heute sehr schön hier ist und sie sich als Gäste wohlfühlen.

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