
Einen passenderen Ort für diese Ausstellung hätte man nicht finden können: Bis 10. Dezember ist am Heldenplatz die Freiluftschau Das Wiener Modell der Radikalisierung. Österreich und die Shoah zu sehen. Das gemeinsame Projekt vom Haus der Geschichte Österreich, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Hier wird greifbar, wie willkommen in Österreich die judenfeindliche Politik der Nazis war. Adolf Eichmann richtete im von den Nationalsozialisten zuvor enteigneten Wiener Palais Rothschild die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ ein. Im ersten Schritt ihrer Verfolgungspolitik wollten die Nazis so viele Juden wie möglich dazu bringen, das Land zu verlassen. Von den etwas mehr als 200.000 österreichischen Juden und Jüdinnen verließen innerhalb eines Jahres mehr als 100.000 das Land. In Eichmanns „Zentralstelle“ wurde darauf geschaut, dass sie möglichst wenig Hab und Gut mitnehmen konnten. Sowohl Enteignung wie auch Vertreibung wurden hier effizient organisiert. Eichmann sollte das nicht zum Nachteil gereichen. Sein „Wiener Modell“ hinterließ Eindruck, er wurde in das Reichssicherhauptamt in Berlin berufen.
In Wien wurde die Abwicklung der Deportationszüge erprobt,
die Stadt sollte als erste im nationalsozialistischen
Unrechtsstaat „judenrein“ werden

Wie Vieh in den Zug. Die „Zentralstelle“ wurde indessen zum Schalthebel in der nächsten Stufe der Verfolgung: Ab 1941 ging es darum, Juden und Jüdinnen in ein Lager oder – wie etwa im Fall der Transporte in Vernichtungsstätten wie Maly Trostinec – zum Ort ihrer sofortigen Ermordung zu verbringen. In Wien wurde dabei die Abwicklung dieser Deportationszüge erprobt, die Stadt sollte als erste im nationalsozialistischen Unrechtsstaat „judenrein“ werden. Menschen, die hier aus rassischen Gründen nicht mehr erwünscht waren, wurden zunächst in eigens eingerichteten Sammellagern im zweiten Bezirk interniert. Dann wurden immer rund 1.000 Personen am Aspangbahnhof wie Vieh in einen Zug verladen, in dem sie dann unter menschenunwürdigen Bedingungen ihre meist letzte Reise antraten. Fünf solcher Transporte organisierte die Wiener Zentralstelle im Februar und März 1941. Das Modell schien sich aus Sicht der Nationalsozialisten zu bewähren. Im Oktober 1941 begannen die reichsweiten Transporte vom Aspangbahnhof aus und ging in das Ghetto in Łódź. Der erste von ihnen startete am 15. Oktober 1941 und damit vor 80 Jahren. Von den rund 1.000 an diesem Tag deportierten Menschen überlebten schließlich nur einige wenige. Ohne etwas zu beschönigen führen die Kuratorinnen dieser Ausstellung, Michaela Raggam-Blesch, Heidemarie Uhl und Isolde Vogel, vor, wie Wien als Motor der Radikalisierung des Antisemitismus im NS-Staat fungierte. Österreich wurde zum Experimentierfeld nationalsozialistischer Verfolgungspolitik. Das just an jenem Platz zu thematisieren, an dem Adolf Hitler nach dem Einmarsch der NSTruppen in Österreich jubelnd empfangen wurde, ist nicht nur stimmig. Eine solche Ausstellung im öffentlichen Raum bringt dieses Narrativ, das den Opfermythos schon lange hinter sich gelassen hat, vielleicht auch näher an jene Menschen, die sich normalerweise nicht eingehend mit Zeitgeschichte befassen.

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