Immer wieder zerbrechen sich Experten den Kopf, wie man Jugendliche über die Gefahren von Extremismus aufklärt. Hanna Herbst macht es in ihren erfrischenden Beiträgen zu ernsten Themen auf VICE Austria vor.
Von Alexia Weiss
Wenn Hanna Herbst über Recherchen zu ihren Texten erzählt, spürt man, dass ihr jede einzelne Geschichte am Herzen lag und liegt. Viel hat sie in den vergangenen Jahren über die rechten Ecken in Österreichs Gesellschaft geschrieben. Ihr Medium: das Onlinemagazin VICE. Hier gibt es zwar keine Blattlinie, aber doch eine klare Haltung: „Unser Credo ist, wir stellen uns gegen Sexismus, Rassismus, Homophobie und so weiter“, sagt sie im Interview mit WINA.
VICE ist ein Medium, das nicht mit althergebrachten journalistischen Formen arbeitet (was nicht bedeutet, dass nicht recherchiert wird). Berichtet wird, was für das junge Zielpublikum interessant sein könnte. Provokation ist da durchaus ein Stilmittel und Aktualität keine zwingende Vorgabe. Die Themenvielfalt reicht von unkonventionellen Fragen zum Thema Sex bis eben zu Politik. Herbst schreibt ihre Geschichten, „so wie ich will, so wie es Sinn macht“. Oft bettet sie dabei Screenshots aus sozialen Medien ein. „Wir haben bei VICE jede Freiheit.“
Die Titel von Herbsts Texten sind Programm: Dieser rechtspopulistische Politiker möchte Sexualstraftäter mit Ziegelsteinen kastrieren, Ein falscher Polizist fordert auf Facebook Vergewaltigungen und KZs für Van-der-Bellen-Wähler, Was passiert, wenn einen die Polizei eines Landes aufhält, an dessen Existenz man nicht glaubt? oder Weshalb wünschen österreichische Rechte Frauen Vergewaltigungen durch Flüchtlinge?.
In dem Beitrag Keep Calm and Sieg Heil zeigte sie Anfang dieses Jahres auf, dass Google bei vielen Suchanfragen die rechtsradikale Seite Metapedia auf der ersten Ergebnisseite listet. Und dass es in Deutschland möglich war zu erreichen, dass die Seite zwar nicht gesperrt, aber zumindest von Google nicht mehr angezeigt wird – im Gegensatz zu Österreich. Wie sie auf diese Geschichte stieß? „Einfach, indem ich etwas gegoogelt hab. Und dabei ist es mir aufgefallen.“ Herbst ist überzeugt: „Wenn du aufmerksam durch den Alltag gehst, sind überall solche Sachen.“
An anderen Tagen geht die junge Journalistin aber auch ganz bewusst zu einem einschlägigen Event. Zu einer Pegida-Demonstration etwa, in der Anfangsphase der Bewegung, denn inzwischen, sagt Herbst, sei Pegida in Österreich tot. Und damals hat ein besonders eifriger Ewiggestriger sie als „linke Zecke“ beschimpft und ihr zugerufen, „ihr lügt immer“. Bei der nächsten Kundgebung hat er sie dann wissen lassen, „ich darf zu Hause ein Hakenkreuz haben, nur dass du es weißt,“ und „ich darf ein SS-Zeichen tätowiert haben.“ So sei sie mit ihm ins Gespräch gekommen, und dann habe sie sich auch ein paar Mal mit ihm getroffen. Dass sie ihn als Neonazi bezeichnete, habe ihn gekränkt. „Er hat gesagt, er hänge dem Parteiprogramm von 1933 an – er ist einfach Nationalsozialist.“
„DIE IDENTITÄREN SIND SICHER ANSPRECHEND FÜR JUNGE LEUTE, DIE NICHT WISSEN, WO SIE HINGEHÖREN. ABER DANN SIND SIE AUCH WIEDER SO EINE TRAURIGE GRUPPE, BEI DER MAN SICH DENKT, WIE SCHLECHT MUSS ES DENEN EIGENTLICH GEHEN?“ – HANNA HERBST
In diesen Gesprächen hat sie in eine andere Welt hineingeschnuppert. So habe sie von diesem Mittvierziger zum Beispiel gehört, man könne kein Nazi sein, wenn das alles so passiert wäre, wie die Leute glauben, dass es passiert sei. „Aber da der Holocaust für ihn nie passiert ist, kann er seiner Logik nach natürlich Nationalsozialist sein“, so Herbst. „Ich fand spannend, dass diese Welt existiert. Dass es wirklich diese Leute gibt, die sagen, der Holocaust hat nicht stattgefunden. Die waren in der Schule wie wir, die sind mit ähnlichen Menschen aufgewachsen wie wir.“
Mehr Zukunft sieht Herbst für die identitäre Bewegung. „Das sind die jungen Intellektuellen, die studiert haben, die viel gelesen haben. Pegida ist mehr Wutbürger.“ Anfangs seien die Identitären auch eher elitär aufgetreten, als eine Gruppe, die mit Schlägern oder eben Pegida-Anhängern nichts zu tun haben wolle. Inzwischen seien aber auch solche Anhänger in ihren Reihen zu finden, „sie hatten nicht mehr großen Zuwachs und sind daher über jedes neue Gesicht froh.“
Herbst hat insgesamt keine Scheu, auch mit Vertretern sehr extremer Gruppierungen in Kontakt zu treten. So weiß sie, wie die Identitären neue Mitglieder an sich binden. Sie gehen zum Beispiel in ein Lokal, von dem bekannt ist, dass die Antifa-Szene dort verkehrt. So wird die Identitären-Gruppe angefeindet, und genau dieses Angefeindetwerden schweiße dann zusammen. Frei nach dem Motto: „Wir haben einen Feind und gegen den müssen wir ankämpfen.“
Durch diese direkten Gespräche nimmt sie dann aber eben auch Perspektiven ein, die anderen vielleicht so nicht in den Sinn kämen. „Die Identitären sind sicher ansprechend für junge Leute, die nicht wissen, wo sie hingehören. Aber dann sind sie auch wieder so eine traurige Gruppe, bei der man sich denkt, wie schlecht muss es denen eigentlich gehen? Die glauben ja, da findet der große Bevölkerungsaustausch statt. Was geht in ihnen vor, wenn sie eine Frau mit Kopftuch sehen? Ist das Panik? Das muss ja schrecklich sein. Und deshalb sind sie eben auch eine traurige Gruppe. Aber sie fühlen sich märtyrerisch, weil sie sind die Kämpfer, die uns alle retten und die wir nicht verstehen. Sie retten uns vor Überfremdung und vor Islamisierung. Davon sind sie überzeugt.“
Herbst kennzeichnet alle Artikel mit ihrem Namen. Angst, dass ihr jemand einmal vor ihrer Türe auflauert, hat sie nicht. Bedrohungen gab es schon, zum Beispiel nach der Eiernockerlgeschichte. Aber das halte sich alles im Rahmen. Eiernockerln sollen das Lieblingsgericht Adolf Hitlers gewesen seien. Am 20. April, dessen Geburtstag, servieren bis heute Wiener Lokale diese vegetarische Hausmannskost – Lokale, die Eiernockerln allerdings nicht auf ihrer täglichen Speisekarte haben. Am 20. April 2016 hat sich Herbst daher auf die Suche nach solchen Lokalen gemacht – und wurde fündig. Teils wurde das Sondermenü sogar ganz offen auf den Facebook-Seiten der Beisln beworben. Und als Herbst dann anrief und sich erkundigte, bekam sie sofort zu hören: „Das ist aber nicht wegen dem Hitler.“ Obwohl sie noch gar nicht danach gefragt hatte.
Es sind Geschichten wie diese, die so manchem die Augen aufgehen lassen. Man sieht: Es ist immer noch viel brauner Bodensatz da. Herbsts wichtigste Ressource, diesen sichtbar zu machen, sind die sozialen Medien. „Die sind eine Fundgrube.“ Gerade FPÖ-Seiten böten da sehr viel Material. „Mir macht es Spaß, da alte Postings herauszusuchen, von denen sie gar nicht mehr wissen, dass sie die damals gemacht haben.“ So stieß sie zum Beispiel auf einen Eintrag aus dem Jahr 2012, in dem einem Holocaust-Leugner gratuliert wurde. Wieder ein Stein mehr in dem großen Puzzle, das Herbst nach und nach zusammensetzt.
Und hofft sie, mit ihren Texten etwas zu bewirken? „Irgendwie hab’ ich schon so den Messiaskomplex“, sagt sie da. „Ich denke mir, bitte, kann ich wenigstens ein paar überzeugen.“ Dass die FPÖ so massentauglich sei, mache sie „fertig“. Auch hier bleibt die Hoffnung, dem einen oder anderen die Augen zu öffnen. Denn auch solche Erlebnisse gibt es. Vor etwa einem Jahr habe sie ein ehemaliger Identitärer mit einem Mail überrascht, in dem er sie fragte, ob sie vielleicht einen Job für einen syrischen Flüchtling wüsste. „Der setzt sich jetzt für Flüchtlinge ein. Der weiß jetzt, er war vorher auf einem falschen Weg. Das sind dann die Momente, in denen ich mir denke, fein. Andere wieder würden in ihrem Leben nicht daran denken zu sagen, was ich tue, ist falsch.“
Solche Menschen kennt Herbst auch aus der eigenen Familie. Ihr Urgroßvater war schon vor der Machtübernahme Hitlers illegales NSDAP-Mitglied und dann von 1938 bis 1945 Bürgermeister in einem Dorf im Pinzgau. „Mein Opa war bis zum Schluss FPÖ-Wähler – was ich ja gar nicht wusste. Ich habe ihn kennengelernt als voll lieben Opa.“ Auch die Großeltern mütterlicherseits seien sehr konservativ. Dass ihre Eltern sich für einen gänzlich anderen Weg entschieden haben, findet Herbst „beeindruckend“. Als sie ihren Vater einmal fragte, was er wählen würde, bekam sie die Antwort: „Im Zweifelsfall links.“ Sie selbst wolle vor allem „ein offener Mensch sein, der jeden anderen Menschen akzeptiert als das, was er ist“. Nachsatz: „Außer vielleicht einen Nazi.“
Bild: © Daniel Shaked