Antike Konzernherren

Die Tobiaden waren eine über Jahrhunderte einflussreiche jüdische Familie von Großgrundbesitzern, Beamten und Händlern.

1934

Tobias grüßt Apollonius. Ich habe Äneas, unseren Diener, geschickt mit den Geschenken für den König: zwei Pferde, sechs Hunde, ein wildes Maultier, zwei weiße arabische Esel, zwei wilde Maultierfohlen und ein Eselsfohlen. Sie sind alle zahm.“ Der König war Ptolemäus im hellenistischen ägyptischen Alexandria, Apollonius sein höchster Hofbeamter, Tobias ein wohlhabender jüdischer Viehzüchter und Händler. Die Nachricht, geschrieben in griechischer Sprache, entstammt einem antiken Archiv in Ägypten.
„Es ist schon bemerkenswert, wie persönlich die Briefwechsel von Tobias mit dem hohen Beamten ausfallen, quasi auf Augenhöhe“, erklärt Stefan Pfeiffer, Professor für Alte Geschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. „Das heißt, dass es sich bei ihm um eine Persönlichkeit mit Gewicht gehandelt haben muss, egal ob dies wirklich freiwillige Geschenke in unserem Sinn waren oder eigentlich verpflichtende Tributzahlungen.“
Die Funde von Professor Pfeiffer aus dem so genannten Zenon-Archiv bezogen sich nicht nur auf Tobias als historische Einzelperson. Es ging bei einer zweitägigen international besetzten Tagung an der Universität Wien um „die Tobiaden AG, ein antikes multinationales Unternehmen, und seine Auswirkungen auf das Judentum“. Organisiert wurde das Symposium vom Institut für Judaistik sowie von den Professoren für Orientalistik und für Alte Geschichte und Altertumskunde, Papyrologie und Epigrafik.

Qasr el-Abd – der Palast der Tobiaden. In Iraq al-Amir im heutigen Jordanien zeugt diese massive steinerne Anlage von der Macht und der Reichtum der Familie.

„Der Begriff ‚Tobiaden AG‘ mag vielleicht etwas hoch gegriffen sein“, erklärt Professor Michael Jursa, Spezialist für die Ökonomie des assyrischen Zwischenstromlandes. „Aber wenn unsere Thesen stimmen, und wir haben dafür sowohl bib­lische als auch außenbiblische Quellen, dann waren die Tobiaden über mehrere Jahrhunderte eine überregional bedeutende jüdische Familie, in ihrer ökonomischen Stellung eigentlich einzigartig.“
Die erste Erwähnung eines Leviten Tobiyahu datiert in das neunte Jahrhundert vor der Zeitrechnung. Dass er als Angehöriger des niedrigen Priester- und Tempeldienerstandes mit der späteren Dynastie verwandt ist, die eine Tradition im Königsdienst hat, gilt als äußerst unwahrscheinlich. Jene Tobiaden, denen sich die Wissenschaftler in Wien gewidmet haben, sind in der Zeit des babylonischen Exils im 5. Jahrhundert vor Christus bereits mehrfach erwähnt, sie hatten trotz ihres Status als fremde Gefangene schon bedeutende wirtschaftliche Positionen erlangt und auch überregional Handel betrieben. Das dürften sie auch nach ihrer Rückkehr in die Levante fortgesetzt haben. Ihre wirtschaftlichen Beziehungen reichten zurück nach Mesopotamien, aber auch nach vorne zu den neuen politischen Schwergewichten der Zeit, den ptolemäischen Königen in Ägypten. Diese beherrschten damals das Gebiet des heutigen Israel, Ägypten und auch des Libanon und Syriens.

Eine der wichtigen, freilich nicht immer ganz zuverlässigen Quellen über die Macht der Tobiaden ist Flavius Josephus. In seinen Antiquitates Judicae widmet er ihnen einen ganzen Abschnitt.

Eine der wichtigen, freilich nicht immer ganz zuverlässigen Quellen über die Macht der Tobiaden ist Flavius Josephus, bekannt vor allem für sein Werk zum Jüdischen Krieg. In seinen Antiquitates Judicae widmet er einen ganzen Abschnitt den Tobiaden. Unter anderem beschreibt er einen besonders erfolgreichen Joseph aus dem Klan, der sich angeblich bei König Ptolomäus erfolgreich um eine Steuerpacht beworben hatte, diese erlangte und dann 22 Jahre lang ausübte. Es ging dabei um vergleichsweise große Gebiete: Judäa und Samaria, Syrien und Phönizien.
„Steuerpachten waren damals die Norm“, erklärt der Orientalist Jursa. „Heute würde man es eventuell als PPP-Modell bezeichnet, als Public Private Partnership. Der Staat wälzte dabei das Risiko auf Private ab, ersparte sich auch die Mühen der Steuereintreibung. Die Privaten wiederum konnten oft einen Extragewinn herausholen, mussten aber in schlechten Jahren mit ihrem Privatvermögen haften.“
Bernhard Palme, Professor für Alte Geschichte an der Universität Wien, wägt die Glaubwürdigkeit des Berichts von Josephus vorsichtig ab, immerhin wurde er deutlich später verfasst, im ersten Jahrhundert nach Christus. „Das System der ägyptischen Steuerpacht wird gut beschrieben, auch die Art der Auktionen, in denen diese Pachten vergeben wurden.“ Skeptisch zeigt sich Palme zur langen Dauer von 22 Jahren und auch zu den großen Gebieten, in denen der Tobiade Joseph eingetrieben haben soll. „Meist waren es nur einzelne Städte, deren Notablen die Steuerpacht erhielten.“ In den von Ägypten ferneren Provinzen könnte das System freilich auch etwas anders gehandhabt worden sein.

Festung oder Lustschloss. Ein massives steinernes Argument für die Macht und den Reichtum der Familie der Tobia­den steht im heutigen Jordanien, westlich von Amman, auf dem Weg nach Jericho. In Iraq al-Amir ließ sich Hyrcanus, Sohn des Josephus, einen gewaltigen Palast errichten mit einem zweistöckigen Hauptgebäude, weitläufigen Gärten und einem Wassergraben und Mauern um das gesamte Anwesen. „Ob es eine Festung war oder eher ein Lustschloss, lässt sich heute nicht mehr genau sagen“, berichtet die Archäologin Theresa Bürge von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. „Man hat es lange Zeit für einen Tempel gehalten, aber das stimmt sicher nicht.“


Generationen von Archäologen – Engländer, Franzosen, Amerikaner – haben an dem Palast gegraben und geforscht, Teile wurden auch wieder aufgebaut. „Französische Wissenschaftler konnten das nach den Löchern für die Verbindungsdübel in den Blöcken rekonstruieren. Wir wissen daher ziemlich genau, wie die Außenmauer aussahen – inklusive riesiger steinerner Löwen, Adler und Leoparden an den Fassaden. Über die Raumaufteilung im Inneren weiß man so gut wie nichts.“ Vermutet wird, dass sich im Erdgeschoß Lager und Küchen befanden, im über zwei Treppen erreichbaren Obergeschoß Empfangs- und Privaträume.
„Offensichtlich ist, dass man einen derartigen Palast nicht aus einer lokalen Landwirtschaft finanzieren kann“, erklärt Professor Jursa. Die ökonomische Grundlage der Tobiaden muss also der überregionale Handel gewesen sein: mit Vieh, Sklaven, Luxusgütern wie Harzen, etwa Weihrauch. Und Jursa verweist auf die – heute so in unserer Gesellschaft undenkbare – klebrige Verknüpfung zwischen Ämtern und wirtschaftlichen Interessen. Die Geschenke an den König, die der höchste regionale Steuerbeamte geschickt hat, kann man ebenso als Bestechungen lesen wie als vorgeschriebene Tributleistungen.
Ob der Palast je fertiggestellt wurde, weiß man nicht, meint die Archäologin Bürge. Aber er kann durchaus benutzt und bewohnt worden sein, selbst wenn die Steinmetze noch arbeiteten. Sein Besitzer, Hyrcanus, soll sich als Letzter des Klans das Leben genommen haben, als die politische Großwetterlage wechselte. Die aus Syrien stammenden Seleukiden waren die neuen Herrscher der Region und verdrängten die Ptolemäer, zu denen die Tobiaden gute, gewinnbringende Beziehungen gepflegt hatten. Es kann durchaus sein, dass Hyrcanus Angst vor der Rache jener arabischen Stämme hatte, die er zuvor bekämpft oder als Steuereintreiber übermäßig ausgequetscht hatte.

© Teresa Bürge, Österreichische Akademie der Wissenschaften

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