Antisemitismus muss verhandelt werden

Zwei Österreicherinnen und ein Österreicher übernehmen führende Positionen in den Jüdischen Museen Frankfurt und Augsburg sowie im NS-Dokumentationszentrum München. WINA sprach mit Barbara Staudinger, Mirjam Zadoff und Werner Hanak über ihre Pläne, aber auch den in Deutschland steigenden offenen Antisemitismus.

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Werner Hanak, geb. 1969 in Salzburg, Theaterwissenschaftler und Museologe. Seit 1992 am Jüdischen Museum Wien, zuletzt als Chefkurator. Er zeichnet für die aktuelle Dauerausstellung des Hauses (Unsere Stadt! Jüdisches Wien bis heute) verantwortlich. 2015 präsentierte er die Schau Die Universität. Eine Kampfzone, ab Herbst ist die noch von ihm konzipierte Ausstellung Leonard Bernstein. Ein New Yorker in Wien zu sehen. Für das Wien Museum gestaltete er 2006 die Präsentation der Mozartwohnung und 2009 des Haydnhauses neu. Seit Mai stellvertretender Direktor des Jüdischen Museums Frankfurt. © Daniel Shaked

Werner Hanak kennt die Arbeit an einem Jüdischen Museum sehr gut. 1992 begann er seine berufliche Laufbahn am Jüdischen Museum Wien, wo er zuletzt als Chefkurator tätig war. Er zeichnet für die aktuelle, 2013 eröffnete Dauerausstellung verantwortlich, er kuratierte 2015 die sehr politische Schau Die Universität. Eine Kampfzone. Wie aktuell das Thema ist, zeigte nicht zuletzt die neuerliche Formierung einer ÖVP-FPÖ-Regierung Ende des vergangenen Jahres. Das Thema Burschenschaften und das dort immer wieder gepflegte rechtsextreme Gedankengut macht vor allem dann Schlagzeilen, wenn es personelle Verquickungen mit der FPÖ gibt, wie etwa im Fall des niederösterreichischen freiheitlichen Politikers Udo Landbauer und der Germania zu Wiener Neustadt und ihrem einschlägigen Liederbuch.

Seit Mai ist Hanak stellvertretender Direktor des wesentlich größeren Jüdischen Museums Frankfurt, das 1988 von der Stadt im ehemaligen Rothschild-Palais am Ufer des Main eröffnet wurde. Sein Aufgabengebiet: Ausstellungen, Sammlung, Vermittlung und Kommunikation. Besonders spannend sei die Tätigkeit in Frankfurt, weil sich das Haus derzeit neu aufstelle, so Hanak. 2016 wurde die Dependance in der Frankfurter Judengasse neu eröffnet, die pro Jahr an die 30.000 Interessierte anzieht.

Dort befand sich von der frühen Neuzeit bis zur Ära Napoleons ein jüdisches Ghetto mit engstehenden Häusern und intensiver Handelstätigkeit. Bei Umbauarbeiten der Stadtwerke stieß man 1987 auf die Grundmauern der Judengasse-Häuser, im so genannten Börneplatz-Konflikt machte sich die Frankfurter Zivilgesellschaft für die Erhaltung dieser Funde stark. Das Museum Judengasse macht nicht nur diese archäologischen Funde sichtbar, sondern erzählt auch das jüdische Leben in dieser Gasse, aus der auch die Familie Rothschild kam. Mit Napoleon durften sich Juden dann auch anderswo in der Stadt ansiedeln.

»Zu begreifen, was Europa bedeutet
und was Europa für das Judentum bedeutet …«
Werner Hanak

Das Haupthaus aber ist nun bereits seit 2015 geschlossen – zuvor zählte man pro Jahr zwischen 40.000 und 60.000 Besucher und Besucherinnen und will künftig deutlich mehr Menschen erreichen. Neben dem Palais wird derzeit ein Neubau hochgezogen, in ihm sollen künftig Wechselausstellungen zu sehen sein, auch der Empfang, der Veranstaltungsraum, die Bibliothek und der Museumsshop werden darin untergebracht. Im Haupthaus formiert sich bereits die neue Dauerausstellung – die Wiedereröffnung des Hauses ist für Herbst 2019 geplant.

Einstieg in die Geschichte der Frankfurter Juden wird künftig die Zeit ab 1945 sein. Danach folgt der Blick auf die Aufklärung. Geschichte wird also rückwärts aufgerollt. Ein Teil der Schau wird auch – wie in vielen jüdischen Museen weltweit – die Religion darstellen und erläutern. Das Museum wird zudem Scheinwerfer auf Frankfurter jüdische Familien richten, darunter die Rothschilds.

Auch Barbara Staudinger übernimmt die Leitung eines Museums, das in den kommenden Jahren umgebaut und dabei die Dauerausstellung neu konzipiert wird. Das Jüdische Kulturmuseum Augsburg-Schwaben, ein Stiftungsmuseum, befindet sich in einem Gebäudekomplex, in der auch eine 1917 errichtete Synagoge angesiedelt ist. Im Jahr zählt das Museum an die 30.000 Besucherinnen und Besucher, wobei viele Schulklassen aus dem Umland nach Augsburg kommen. In dem 1985 als erstes in der damaligen BRD eröffneten Jüdischen Museum wurde bisher – die derzeitige ständige Schau stammt aus dem Jahr 2006 – die Geschichte der Augsburger jüdischen Gemeinde und jene der Landgemeinden thematisiert. „Das muss miterzählt werden, sonst kann man die Geschichte der jüdischen Gemeinde Augsburg nicht begreifen.“ Bevor es Juden nach den Vertreibungen des Mittelalters erlaubt war, innerhalb der Stadttore zu leben, siedelten sie sich in der Umgebung an.

In einer solchen ehemaligen Landgemeinde befindet sich seit 2014 eine Dependance des Hauses: In Kriegshaber kann die ehemalige Synagoge besucht werden, übrigens die älteste noch erhaltene in Bayerisch-Schwaben. Wie auch in Frankfurt werden in Augsburg der jüdische Jahreskreislauf und jüdische Lebensfeste abgedeckt. Mit dem Umbau soll voraussichtlich 2019 begonnen werden. Rekonstruiert wird dabei zudem die frühere Mikwe, die dann auch benutzt werden kann. Wie in Frankfurt wird das Museum in Augsburg ebenfalls um ein Gebäude erweitert, das künftig mehr Wechselausstellungsfläche bietet.

»Die Jugend findet es dann interessant,
wenn man sie mitnimmt,
anhand eines roten Fadens in die Tiefe geht
und einen Aha-Moment erzielt.«
Barbara Staudinger

Schon zuvor will Staudinger allerdings mit Interventionen in der derzeitigen Dauerausstellung den Fokus auf aus ihrer Sicht wichtige Fragen lenken. Ein Beispiel für eine solche Intervention? „In Deutschland wie in Österreich wird derzeit sehr viel über ‚unsere Werte‘ gesprochen. Eine Intervention darüber könnte man religionsübergreifend machen – was sind die moralischen, was sind die religiösen Werte heute?“

Staudinger will im Zug ihrer Interventionen weniger etwas dazugeben, als vielmehr Vorhandenes verändern. „Es gibt im Museum fix eingebaute Vitrinen. Ich muss mit den Architekten noch die Machbarkeit abklären, aber ich könnte mir etwa vorstellen, vorhandene Objekte mit anderen Texten zu versehen und so in einen neuen Kontext zu stellen.“ Was Staudinger dabei wichtig ist: Menschen sollen im Museum auch lachen können, sich vielleicht bei etwas ertappt fühlen, vor allem aber mit einem Aha-Gefühl das Haus wieder verlassen. „Es soll eben nicht so sein, dass ich als Besucher in eine Kulturinstitution gehe, dabei eine Stufe hinaufsteige, mich bilde und gebildeter wieder herauskomme. Ich möchte einen lockereren Zugang.“

Staudinger sieht es zudem nicht als Aufgabe jüdischer Museen, das Judentum zu erklären. „Außerdem wüsste ich nicht, wie ich das Judentum erklären soll. Mein Zugang ist der: Jüdische Museen verhandeln, was ist jüdisch. Die Antwort darauf ist: so viel. Es gibt so viele Facetten. Es gibt nicht das Judentum. Jeder und jede lebt es anders, hat einen unterschiedlichen Zugang zu Religion. Aus einer nicht-religiösen Warte stehen diese Zugänge gleichberechtigt nebeneinander. Es gibt kein richtig und kein falsch. Die Aufgabe des Museums ist zu zeigen, dass wir pluralistisch sind. Dass eine pluralistische Gesellschaft eine normale, eine gute Gesellschaft ist. Ich sehe diese Museumsleitung als gesellschaftspolitische Aufgabe. Das Liebliche, das Gefällige oder noch schlimmer Betuliche ist nicht mein Zugang. Weder zur jüdischen Geschichte noch Kultur.“

Das Thema der ersten Wechselausstellung wird daher auch ein sehr politisches sein. Noch kann Staudinger nicht viele Details verraten, aber: Es wird um das Kreuz gehen, das der bayerische Ministerpräsident Markus Söder staatlichen Stellen verordnet hat. „Ich finde, dass sich jeder Kulturbetrieb in Bayern damit auseinanderzusetzen hat.“ In Augsburg will sie mit einer künstlerischen Intervention zu Symbolpolitik antworten.

Historische Themen mit aktuellen Bezügen. Politisch wird auch die erste Wechselausstellung nach der Wiedereröffnung des Haupthauses des Jüdischen Museums Frankfurt sein. Ein Forschungsprojekt zu Juden in Europa zwischen 1945 und 1950 wird hier in eine groß angelegte Schau münden. „Einerseits sprechen wir über displaced persons. Andererseits auch über die Versuche, jüdische Gemeinden wiederzugründen“, sagt Hanak. „Zuerst gab es ja einen Moment, sowohl aus amerikanischer als auch europäischer Perspektive, dass es möglich sein könnte, dass in Polen wieder ein jüdisches Leben herstellbar ist. 1946 mit den Pogromen in Polen wurde dann sehr klar, dass das in dieser Art und Weise nicht mehr möglich sein wird.“

Hanak ist zudem bewusst, dass es hier aktuelle Bezüge gibt. „Es geht um Flüchtlinge und um einen Neuanfang und auch darum zu begreifen, was Europa bedeutet und was Europa für das Judentum bedeutet. Ich habe mich in Wien ja auch stark mit dem Thema auseinandergesetzt, und das Narrativ ist ja auch in Österreich so, dass es trotzdem, obwohl die österreichische Regierung nach 1945 Jüdinnen und Juden alles andere als unterstützte, wieder eine jüdische Gemeinde gibt.“

Verändern wollen die Ausstellungsmacher aber auch den Blickwinkel. „Es wird das erste Mal sein, dass man im Westen mehr versteht, was damals in Polen, in Ungarn los war. In den östlichen Städten. Wir erzählen immer nur die Geschichte der displaced persons, die zu uns gekommen sind. Aus Polen sind fast alle Juden weggegangen. Aber man muss sehen, dass auch die Geschichte in Westeuropa, in Deutschland, in Österreich durchaus eine ziemlich polnische Geschichte ist. Es gab zwei verschiedene Ströme aus Polen: die, die in Polen versteckt oder in Lagern überlebt haben, und die, die in die Sowjetunion fliehen hatten können und eigentlich vorhatten, nach Polen zurückzukehren, aber dann einsehen mussten, dass das nicht möglich ist.“

Als Objekte werden Dokumente in dieser Schau eine wichtige Rolle spielen. „Für den Einzelnen war es damals das Um und Auf, zu Papieren zu kommen. Die Herausforderung wird sein, diesen Dokumenten die Bedeutung zuzumessen, die sie damals gehabt haben.“

Die Schau schließt damit an die NS-Zeit an, die von jüdischen Museen immer mitverhandelt werden muss, auch wenn sie sich selbst nicht als Holocaust-Gedenkstätten verstehen. Dennoch übernehmen viele Häuser Gedenk- und Aufklärungsarbeit, so auch das Frankfurter Museum. Gemeinsam mit dem Fritz Bauer Institut zur Erforschung der Geschichte und Rezeption des Holocaust unterhält das Museum das Pädagogische Zentrum Frankfurt am Main, das Bildungsarbeit an Schulen leistet. Das Programm „AntiAnti – Museum Goes School“, bei dem mit Berufsschulklassen über einen längeren Zeitraum hinweg gearbeitet wird und die Vermittler auch versuchen, Jugendliche über persönliche Diskriminierungserfahrungen an das Thema Antisemitismus heranzuführen, könne heute als Best-practice-Beispiel in diesem Bereich gesehen werden und ziehe auch immer wieder das Interesse der Politik auf sich, wenn wieder einmal die Frage im Raum stehe, was gegen Judenfeindlichkeit getan werden könne, erzählt Hanak.

Hier zeichnet sich auch ein Paradigmenwechsel ab. Seit der Gründung von jüdischen Museen ab den 1980er-Jahren gab es im deutschsprachigen Raum die Linie, Antisemitismus nicht vorrangig zu thematisieren, so Hanak, weil „Antisemitismus per se nichts mit dem Judentum zu tun hat, er erzählt ja über die Welt der Antisemiten.“ Aber: „Vielen ist bewusst geworden, dass hier aktiv gehandelt werden muss, wenn kaum eine Woche vergeht, in der nicht medial über einen antisemitischen Übergriff im öffentlichen Raum oder über neue unerfreuliche Umfragen berichtet wird.“ Das Museum in Frankfurt habe sich mit seinem Vermittlungsprogramm hier bereits zu einem Kompetenzzentrum entwickelt.

Barbara Staudinger, geb. 1974 in Wien, Historikerin, Theaterwissenschaftlerin und Judaistin. Studium an der Universität Wien, danach am Institut für jüdische Geschichte Österreichs in St. Pölten tätig. Viele Jahre freie Kuratorin, an zahlreichen Ausstellungen im Jüdischen Museum München, im Österreichischen Museum für Volkskunde, im Weltmuseum Wien und im Jüdischen Museum Wien beteiligt. Zuletzt Mitkuratorin der Ausstellung Entfernung. Österreich und Auschwitz in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau sowie der Schau Die Stadt ohne. Juden Muslime Flüchtlinge Ausländer im Filmarchiv Austria. Jetzt neue Direktorin des Jüdischen Kulturmuseums Augsburg-Schwaben. © Daniel Shaked

Haltung zeigen. Staudinger sieht den Kampf gegen Antisemitismus als eine der drei Leitlinien der künftigen Dauerausstellung des Augsburger Museums. „Ich glaube, dass sich da ein Museum nicht rumdrücken kann, sondern ganz offensiv vorgehen muss, sich einbringen muss in die deutsche Gesellschaft. Und es gibt eine Renaissance des Religiösen. Eine Überhöhung des Religiösen, eine politische Nutzung des Religiösen. Und auch da hat ein jüdisches Museum Stellung zu nehmen.“ Die dritte Leitlinie Staudingers, die ab diesem Herbst die Direktion des Museums übernimmt: Das Museum sei nicht nur ein Gebäude, in das man hineingehe und wieder herauskomme. Sie will einerseits durch Kooperationen und Interventionen auch im öffentlichen Raum nach außen gehen, aber auch die Webpräsentation sowie das Agieren in sozialen Medien neu gestalten. Ähnliches hat man auch in Frankfurt vor.

Was Hanak zum Thema Antisemitismus ebenfalls klar festhält: Es müsse auch andere Einrichtungen geben, die sich des Themas annehmen. Anders als in Österreich, wo sich nun erst das Haus der Geschichte etabliere, gebe es in Deutschland mit der Topografie des Terrors in Berlin und dem 2015 eröffneten NS-Dokumentationszentrum in München auch dafür vorgesehene Orte. Die Münchner Einrichtung, deren Schwerpunkt auf Zeitgeschichte und jüdischer Geschichte liegt, wird von der Historikerin Mirjam Zadoff geleitet.

Ihr ist es wichtig, einen Ort des Austausches und der produktiven Auseinandersetzung zu schaffen, sie setzt daher auf verschiedene Vermittlungswege: Wissenschaft, Kunst und Hochkultur ebenso wie Populärkultur. Das Zentrum werde von vielen jungen Menschen besucht, daher sei auch Partizipation sehr wichtig. Bis zu 30 Gruppen seien täglich im Haus und damit das Interesse groß, wenn auch nicht vergleichbar mit dem Andrang der ersten zweieinhalb Monate nach Eröffnung des Zentrums, in denen 100.000 Menschen kamen.

Auch am NS-Dokumentationszentrum wird an einer Erweiterung gearbeitet. In der künftigen Dependance Ehrenbürgstraße wird das Gelände eines ehemaligen NS-Zwangsarbeiterlagers erschlossen. Da der Ort auch wegen seiner Nachnutzung spannend und einzigartig sei – es waren dort nach 1945 eine Künstler- und Handwerkerkolonie und mehrere Kinder- und Jugendeinrichtungen untergebracht –, eigne er sich besonders, um neue Formen des Gedenkens und der Beschäftigung mit Geschichte auszuprobieren, so Zadoff.

Was eine Einrichtung wie das NS-Dokumentationszentrum leisten könne? „Sensibilisierung. Der Blick darauf, wie Demokratien sich in Diktaturen verwandeln können, ist in der heutigen Situation ungeheuer wichtig, um zu erkennen, wo gesellschaftliche Freiheit unter Beschuss gerät oder gar abgeschafft zu werden droht. Und zugleich auch die positiven Aspekte hervorheben, die Wichtigkeit von politischer Aufmerksamkeit und Feingefühl zu vermitteln, Empowerment statt Resignation“, betont Zadoff. Das gehe am besten, indem man Teens und Twens nicht erziehe, sondern um ihre Meinung frage und ihren Ideen zuhöre: „Sie haben viel zu sagen.“

Aus der (NS-)Geschichte lernen: Ist dieses Ziel erreicht worden? „Erinnerung und Gedenken funktionieren ja leider so gar nicht auf der Ebene von ‚geschafft und abgehakt‘ “, sagt die Leiterin des NS-Dokumentationszentrums, „sondern nur durch permanentes Überdenken, Neuanknüpfen und wieder von vorne beginnen. Texte und Quellen aus dem Bücherregal ziehen und etwa darüber lesen, wie Victor Klemperer in seinem LTI (Lingua Tertii Imperii, Anm.) akribisch die Sprache des Dritten Reiches beschreibt, deren Verrohung und Verharmlosung, und ihren Einfluss auf das Denken und Handeln der Menschen.“ Der Blick auf die Vergangenheit sei immer von der Zeit und Welt abhängig, aus der man auf diese schaue. „Also haben wir etwas gelernt? Vieles, und es hat Deutschland und Österreich zu den Ländern gemacht, die sie heute in großen Teilen noch sind. Aber mehr und mehr Menschen vergessen, wo der Luxus, in dem wir leben, seine Wurzeln hat: in der liberalen Demokratie, der europäischen Einigkeit, in stabilem Frieden und Menschenrechten – das ist alles nach den beiden Weltkriegen und vor allem nach Auschwitz entstanden.“

Mirjam Zadoff, geb. 1974 in Innsbruck, Historikerin. Studium an der Universität Wien, 2001/02 Mitglied der Österreichischen Historikerkommission zur Erforschung von Vermögensentzug in der NS-Zeit und Entschädigung nach 1945, danach bis 2005 Doktorandin der German-Israeli Foundation for Scientific Research for Development. 2003 bis 2014 Lehrtätigkeit am Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität München, dort 2013 auch Habilitation. 2014 bis April 2018 Professorin für Geschichte und Inhaberin des Alvin H. Rosenfeld Lehrstuhls für Jüdische Studien an der Indiana University Bloomington. Gastprofessuren an der ETH Zürich und an der Uni Augsburg. Nun Direktorin des NS-Dokumentationszentrums München. © Orla Connolly | NS-Dokumentationszentrum München

Zum Thema Antisemitismus meint Zadoff, es gebe ein wachsendes Unsicherheitsgefühl in den jüdischen Gemeinden. Die „Ausgrenzungsgesellschaft“, die politisch inszeniert werde, laufe Gefahr, reale Gestalt anzunehmen. „Ist der Antisemitismus nur ein Aspekt des wachsenden Rassismus, der nicht-funktionierenden Integration, der zunehmenden Abschottung – oder ist er ein isoliertes Phänomen, das über die Jahrhunderte hinweg jenseits von Geschichte und Kontext existiert, wie manche argumentieren? Als Historikerin kann ich Letzteres nicht bestätigen. Antisemitismus hat viel mit allgemeinen gesellschaftlichen Strukturen und Problemen zu tun – weshalb seine Bekämpfung eben so kompliziert ist und alle in die Pflicht nimmt.“

Die Arbeit mit Jugendlichen und Schulen hat jedenfalls an allen drei Häusern in Frankfurt, Augsburg und München einen hohen Stellenwert. Wenn man die Kinder erreiche, erreiche man auch ihre Eltern, ist Hanak überzeugt. Und Staudinger meint, „die Jugend findet es dann interessant, wenn man sie mitnimmt, wenn man sie nicht zumüllt mit Informationen, sondern anhand eines roten Fadens in die Tiefe geht und einen Aha-Moment erzielt. Und wenn dann diskutiert wird, hat man schon gewonnen. Junge Menschen sind stark an Diskussionen interessiert, und sie lassen sich auch überzeugen.“ 


INFO:
NS-Dokumentationszentrum München
ns-dokuzentrum-muenchen.de
Jüdisches Kulturmuseum Augsburg-Schwaben
jkmas.de
Jüdisches Museum Frankfurt
juedischesmuseum.de

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