Ziel ist das Erarbeiten konkreter Strategien, wie Schulen im Anlassfall besser mit Antisemitismus umgehen, aber auch wie sie präventiv dagegen arbeiten können. Diese Woche wurden die ersten Zwischenergebnisse der Studie präsentiert. Sie zeigen, dass Antisemitismus in all seinen Formen für jüdische Jugendliche an öffentlichen Schulen sehr präsent ist. Der 7. Oktober 2023 führte für sie zu einer Zunahme antisemitischer Angriffe.
Die Studie stellt erstmals die Perspektive der Schüler und Schülerinnen ins Zentrum und versucht, sich dem Thema möglichst differenziert zu nähern: Eingesetzt wird daher ein Methoden-Mix, um die Komplexität und Vielschichtigkeit des alltäglichen Erlebens von Antisemitismus in der Schule möglichst präzise abzubilden, erläutert Karin Liebhart vom Institut für Konfliktforschung.
Bereits durchgeführt wurden 27 qualitative Interviews mit jüdischen Schülern und Schülerinnen, die in Wien eine öffentliche Schule besuchen, sowie Familienangehörigen dieser Jugendlichen. Sie besuchen noch oder besuchten bis zum vergangenen Schuljahr eine AHS-Oberstufe oder eine berufsbildende höhere Schule. Ergänzend wurde eine quantitative Online-Befragung unter Schülern und Schülerinnen, darunter auch ehemalige, Eltern sowie Lehrender gemacht.
Noch im Laufen sind Photovoice-Workshops in österreichweit neun Schulklassen, hier wurden auch Berufsschulen und Polytechnische Klassen einbezogen. In die Ausarbeitung konkreter Handlungsempfehlungen für Schulen werden zudem zwei Fokusgruppen mit Lehrpersonen, Schulleitern und -leiterinnen sowie Experten und Expertinnen einbezogen. Die empfohlenen Strategien werden ab Februar auch konkret an Schulen getestet.
Die bereits geführten Interviews mit jüdischen Jugendlichen zeichnen ein klares und durchaus erschreckendes Bild, betont Liebhart. Zum einen sei der Israel-bezogene Antisemitismus nach dem 7. Oktober 2023, dem Tag des terroristischen Überfalls der Hamas auf Israel mit über 1.200 Ermordeten, auch im Schulalltag gestiegen. „Die interviewten Schüler und Schülerinnen und Eltern sprechen von einer deutlichen Zunahme antisemitischer Angriffe in der Schule, der Freizeit sowie online.“
Andererseits hätten die Interviews aber gezeigt, dass der traditionelle Antisemitismus nach wie vor sehr präsent sei. „Da haben wir dann gehört, das ist der Antisemitismus, der sowieso immer da ist. Das sagt sehr viel aus über die politische Kultur in Österreich. Da geht es um Verschwörungstheorien, den Vorwurf des Gottesmordes, Stereotypisierungen wie alle Juden sind reich.“
Auf das Veröffentlichen konkreter Zitate oder anonymisierter Fallgeschichten verzichten die Studienautoren in diesem Fall. „Sobald wir eine Geschichte konkret erzählen, würde hier relativ leicht nachvollziehbar, um welche Schule oder welchen Schüler, welche Schülerin es geht“, so Liebhart. Daher werde das zum Schutz der Interviewpartner und -partnerinnen nicht gemacht. Sie unterstreicht zudem, dass sich der Befund nicht wesentlich von Schule zu Schule unterscheide. Es handle sich um ein gesellschaftliches Problem, das sich auch in der Schule spiegle.
Was die interviewten Jugendliche erzählten, lässt sich so zusammenfassen: die erlebten antisemitischen Angriffe umfassen alle Formen von Mobbing über Beschimpfungen bis hin zu tätlichen Angriffen, wobei verbale Attacken und Hassrede hier zahlenmäßig massiv überwiegen. Das würden auch die bereits ausgewerteten Fragebögen zeigen.
Eine zentrale Rolle für Diffamierung und Bedrohung spielen die Sozialen Netzwerke. Israel-bezogenen Antisemitismus erleben jüdische Jugendliche an öffentlichen Schulen vor allem von Mitschülern und -schülerinnen, die als muslimisch oder links gelesen werden, in seltenen Fällen sei dies auch seitens Lehrender der Fall. Was sich ebenfalls durch die Interviews gezogen habe: die Jugendlichen fühlten sich durch die Schulleitung sowie Lehrpersonen nicht ausreichend vor antisemitischen Angriffen geschützt und damit auch nicht sicher.
Befragt wurden die Jugendlichen sowie deren Angehörige auch, was sie sich zur Verbesserung der Situation wünschen. Hier sei von vielen kommuniziert worden, dass die Schule deutlich machen soll, dass antisemitische verbale und andere Gewalt sowie Gewalt generell nicht akzeptiert wird. Konsequenzen bei Antisemitismus sollten transparent gehandhabt werden, Betroffene wünschen sich hier, dass sie auch darüber informiert werden, welche Schritte die Schule dann setzt.
Ein dringendes Anliegen zudem: Schulen sollen die Verwobenheit von online/offline Lebenswelten anerkennen und auch online geäußerte Drohungen entsprechend behandeln. „Die Jugendlichen nehmen hier vor allem seitens vieler Lehrender und Schulleiter und -leiterinnen Ratlosigkeit wahr.“ Das Thema Soziale Medien müsse daher auch mehr in den Unterricht hineingeholt werden, so Liebhart.
Weitere Wünsche der befragten Jugendlichen: ein Buddy-System unter Schülern und Schülerinnen, mehr Angebote wie Outdoor-Wochen, da diese zu einem besseren Klassenzusammenhalt und einer besseren Diskussionskultur in der Klasse beitragen, aber auch Schutzmaßnahmen, die allerdings auch ambivalent gesehen werden: mehr Schutz bedeute mehr Sicherheit, gleichzeitig aber auch Gefahr weiterer Stigmatisierung.
Die Studie läuft bis August 2025. Die bis dahin erarbeiteten und mit ausgewählten Partnerschulen bereits getesteten Handlungsanleitungen sollen dann in Form eines Handbuchs publiziert und allen Schulen in Österreich zur Verfügung gestellt werden, betont Liebhart. Eine interaktive Online-Plattform wird begleitend den Austausch über die Erfahrungen mit den Strategien sowie über Verbesserungsvorschläge ermöglichen.
Finanziert wird die Studie vom Finanzministerium über die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG). Dem Projektteam gehören neben dem Institut für Konfliktforschung, der IKG und dem DÖW auch das Bildungsministerium, das Programm erinnern:at vom OeAD – Agentur für Bildung und Internationalisierung sowie ZARA Zivilcourage & Anti-Rassismus-Arbeit an.