2024 erneut Zunahme gemeldeter antisemitischer Vorfälle – Sowohl Täter als auch Opfer werden immer jünger

464

 IKG-Präsident Oskar Deutsch und IKG-Generalsekretär Benjamin Nägele präsentierten am Mittwoch den Bericht der Antisemitismus-Meldestelle über antisemitische Vorfälle in Österreich im Jah 2024. Verzeichnet wurde die traurige Rekordzahl von 1.520 gemeldeten Fällen. Das bedeutet gegenüber dem Vorjahr einen Anstieg um 32,5 Prozent, wobei Nägele auch betonte: auf Grund der Resignation vieler Gemeindemitglieder, überhaupt zu melden, gehe man von einer hohen Dunkelziffer aus.

Die Zahlen sind mehr als ernüchternd. 2024 wurde der Antisemitismus-Meldestelle von 1.520 antisemitische Vorfällen berichtet, die dann von dieser auch als solche verifiziert wurden. 2023 waren es 1.147 gewesen (mit einem allerdings massiven Anstieg nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023), 2022 719. Von diesen 1.520 Vorfällen waren 24 tätliche Angriffe (2023: 18), 38 Bedrohungen (2023: 18), 216 Sachbeschädigungen (2023: 149), 626 Fälle von verletzendem Verhalten gegenüber einer konkreten Person oder Institution (2023: 426) sowie 616 Massenzuschriften (2023: 536). Sie richten sich an mindestens zwei Adressaten oder zielen überhaupt auf einen breiten Empfängerkreis ab.

Verlauf der Zahl der Meldungen 2009–2014. (c). IKG/Ch. Schmidl

Ideologisch ließen sich von den 1.520 Vorfällen 453 und damit 29,8 Prozent muslimischen Tätern zuordnen, 376 oder 24,7 Prozent kamen aus einem linken Umfeld, 223 oder 14,7 Prozent hatten einen rechten Hintergrund. 468 Taten (30,8 Prozent) waren nicht zuordenbar. Sieht man sich die 24 gemeldeten Angriffe an, zeigt sich: 13 von ihnen – und damit fast die Hälfte – wurden von Muslimen begangen. Ein ähnliches Bild zeigt sich in der Kategorie Bedrohungen: hier gingen 17 der 38 Vorfälle auf das Konto von Muslimen. Bei der Einordnung, ob ein Vorfall als antisemitisch zu werten ist oder nicht, stützt sich die Meldestelle auf die Antisemitismus-Definition der IHRA (International Holocaust Remembrance Association).

Wir sind Österreicher, wir leben gerne hier und
wir wollen auch unser jüdisches Leben hier leben.
IKG-Präsident Oskar Deutsch

Oskar Deutsch sprach bei der Präsentation angesichts dieser Zahlen von einem „neuen traurigen Negativ-Rekord“ und einer neuen Realität, die aus Sorgen, Angst und massiven Sicherheitsvorkehrungen bestehe. Er schilderte drei Vorfälle, die auch im Bericht zu finden sind: in einem überquerten drei Schüler im Pflichtschulalter die Straße, dabei näherten sich zwei ältere Jugendliche, stießen eines der jüdischen Kinder zu Boden und brüllten „Free Palestine“. In einem anderen Fall verließ ein Vater mit seinen zwei Kindern nach dem Abendgebet eine Synagoge. Auf dem Heimweg wurden sie von älteren Jugendlichen attackiert, die Schläge andeuteten und sie beschimpften. Und an einem Schabbat schlugen junge Männer einem Mann, der auf dem Weg in die Synagoge war, den Streimel vom Kopf.

Deutsch berichtete darüber hinaus aber auch von einem Buben, der seit Monaten am Schulweg drangsaliert und antisemitisch beschimpft werde. Er sei nun in Behandlung bei ESRA, dem psychosozialen Zentrum der IKG. Insgesamt habe sich ESRA seit dem 7. Oktober 2023 um rund 500 Personen gekümmert, die von Antisemitismus betroffen waren – eine, wie Deutsch unterstrich, bei einer Gemeinde von an die 8.000 Mitgliedern hohe Zahl.

Was der Gemeindeführung zudem Sorgen macht: sowohl Täter als auch Opfer werden zunehmend jünger. Es seien immer mehr Kinder und Jugendliche von antisemitischen Übergriffen betroffen, so Nägele. Im Bericht ist hier nachzulesen: die schockhafte Welle antisemitischer Vorfälle gegen jüdische Schüler und Schülerinnen nach dem 7. Oktober 2023 sei zwar Anfang 2024 abgeebbt. „Jedoch liegt das auch daran, dass zahlreiche betroffene Kinder und Jugendliche die Schule wechseln mussten. Antisemitismus an Schulen und anderen Bildungseinrichtungen ist seither nicht verschwunden, er richtet sich jedoch seltener unmittelbar gegen Jüdinnen und Juden.“

Nägele meinte dazu am Mittwoch: „Es gehen immer weniger jüdische Kinder an nicht-jüdische Schulen.“ Jüdisches Leben werde insgesamt aus der nicht-jüdischen Öffentlichkeit verdrängt.

Jüdinnen und Juden fühlen sich in der Öffentlichkeit nicht mehr wohl,
nicht mehr sicher und ziehen sich zurück in geschützte Orte.

Generalsekretär Benjamin Nägele

Umso wichtiger sei es, weiterhin als Gemeinde Präsenz im öffentlichen Raum zu zeigen, betonte Deutsch. Denn eine der Waffen im Kampf gegen Antisemitismus sei zu zeigen, dass es jüdisches Leben gebe. Als Beispiele nannte er hier das jährlich stattfindende jüdische Straßenfest, den Tag der Offenen Türen in Stadttempel und Gemeindezentrum sowie das umfangreiche Kulturprogramm der Wiener Gemeinde. „Wir sind Österreicher, wir leben gerne hier und wir wollen auch unser jüdisches Leben hier leben.“

Man werde als jüdische Gemeinde auch weiterhin alles tun, um gegen das „Krebsgeschwür Antisemitismus“ anzukämpfen, dazu brauche es aber auch die Unterstützung durch die Zivilgesellschaft. Dennoch müsse man wohl auch sehen: der Antisemitismus werde sich auf diesem hohen Niveau einpendeln. Das eine sei, der Realität ins Auge zu schauen, aber: „Daran gewöhnen werden wir uns nie.“ Deutsch betonte zudem: es gehe hier ja nicht um Zahlen, sondern um die Menschen, die betroffen sind. Und diesen sei es auch egal, aus welcher Richtung sie angegriffen würden. Er appellierte aber sowohl an politisch rechte als auch linke Kreise sowie Muslime, innerhalb ihrer eigenen Reihen dafür zu sorgen, dass Antisemitismus eingedämmt werde.

https://www.antisemitismus-meldestelle.at/berichte

Über die jährliche Antisemitismusstudie, die unter Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), der sich in der vergangenen Legislaturperiode insgesamt für die Bekämpfung von Antisemitismus stark machte, eingeführt wurde, lesen Sie hier. Die Studie wurde bislang im Rahmen einer Pressekonferenz im Parlament präsentiert. Heuer blieb eine öffentlichkeitswirksame Präsentation durch den amtierenden Nationalratspräsidenten aus.

 

 

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here