Einat Wilf ist eine Frau der deutlichen Worte. Vielen bekannt ist sie durch ihr klares Aufzeigen, dass Antizionismus am Ende doch nichts anderes ist als Antisemitismus. Unermüdlich zeigt sie den roten Faden von den „Protokollen der Weisen von Zion“, entstanden im zaristischen Russland, in der Sowjetunion weiter promotet und bis heute in der ganzen Welt bekannt, vor allem aber in der arabischen Welt populär, bis hin zu den heute in Teilen der westlichen Academia, in Menschenrechtsorganisationen, vor allem aber in der UNO gehegten Konstrukten von Israel als kolonialem Bösewicht, als Unterdrücker, als Imperialist auf.
In den Mittelpunkt von Anti-Israel- Plakaten und -Slogans werde dabei der Zionismus gestellt. Die Strategie dahinter sei die Umkehrung der Realität. Die einzig wahre Definition wäre: „Zionismus ist die Bewegung für Selbstbestimmung und Befreiung des jüdischen Volkes in seiner angestammten Heimat.“ Stattdessen erfolge eine – auch grafisch sehr eingängige – Gleichung mit verschiedensten Begriffen: Zionismus = Imperialismus, Zionismus = ethnische Säuberung, Zionismus = Völkermord, Zionismus = Holocaust. So erhalte der Antisemitismus als Antizionismus „seine respektable Maske“ – und sei inzwischen „eine ganze akademische Disziplin“. Unterm Strich bleibe die Botschaft, der Zionismus sei das Böse.
Mit dem 7. Oktober 2023 habe sich hier eine Message dazugesellt, so Wilf: „Haltet die Welt sauber.“ Grafisch umgesetzt habe sie diese auf Plakaten so gesehen: Ein Davidstern oder eine israelische Flagge landet in einem Mistkübel. „Und das ist es. Das ist der Höhepunkt der Strategie, die Endstation. Was macht man mit dem Bösen? Verhandelt man mit dem Bösen? Nein. Man rottet es aus. Das bedeutet nämlich, die Welt sauber zu halten.“

Hier sieht sie auch den Grund für die weithin fehlende Empathie für jene, die Opfer der Gräueltaten vom 7. Oktober wurden, die ermordet, gefoltert, entführt wurden. Und, so ihr trauriger Schluss: All das habe nichts mit Israel zu tun. Es sei vielmehr die perfekte Strategie, um „uns“, die Juden und Jüdinnen, auf Trab zu halten. „Das ist der jüdische Zustand.“
Juden und Jüdinnen würden alles tun, um gegen das Bullshit-Asymmetrie- Prinzip, 2013 vom italienischen Informatiker Alberto Brandolini erstmals formuliert, anzukommen: „Sie werfen uns Apartheid, Rassismus und Völkermord vor, und wir rennen los, um Bücher zu schreiben, Vorträge zu halten und zu erklären: Das stimmt nicht. Wir geben uns all diese Mühe – aber es geht weder um Israel noch um die Palästinenser.“
Kein Ort mehr, an dem man sich sicher fühlt. Palästina sei vielmehr zu einem abstrakten Marker für eine Utopie geworden. So wie Israel mit lauter negativen Begriffen besetzt werde, werde Palästina mit positiven konnotiert: Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit, Rechte. Und wenn man verstehe, dass Palästina eben zur globalen abstrakten Markierung der Utopie geworden sei, dann würden „Queers for Palestine“, „Trans people for Palestine“, „Palästina ist Klimawandel“ in dieser Logik Sinn machen. In der Realität allerdings wisse man, wie etwa Homosexuelle in Gaza behandelt würden. Das sei aber in dieser Gedankenwelt gar nicht von Belang. „Diese Ideologie hat globale Dominanz – und Respektabilität – erlangt.“
Wie aber komme man da heraus? Man müsse sich auf den Wald und nicht auf die Bäume konzentrieren. Ein Baum sei hier eine weitere UNO-Resolution gegen Israel. Der Wald aber sei die Ideologie, die Welt sauber halten zu wollen. Und das bedeute: gegen Juden zu sein. Und gegen einen jüdischen Staat. Und auch wenn viele heute ihren Antisemitismus als Antizionismus maskieren und empört seien, als Antisemiten bezeichnet zu werden: „Was passiert mit Juden in jenen Ländern, auf jenen Unis, in den politischen Parteien, in denen der Antizionismus zur institutionalisierten Ideologie wird? Es geschehen dann zwei Dinge: Erstens wird die Umgebung feindselig gegenüber jüdischem Leben. Und wenn das dann nicht gestoppt wird, gibt es letztendlich keine Juden mehr.“

Wenn sie hier Juden sage, meine sie das Kollektiv. „Die jüdische Gemeinde in Venezuela ist verschwunden. Aber sie ist nun sehr glücklich im Miami.“ Kollektiv gebe es kein blühendes jüdisches Leben mehr, wo immer der Antizionismus zur dominierenden Ideologie aufsteige. Umgekehrt würden Juden und Jüdinnen in prozionistischen Gesellschaften aufblühen. Daher, siehe die Frage weiter oben: Herauskommen könne man aus dieser Situation nur, wenn es Unterstützung von außen gebe. „Die Juden können es allein nicht schaffen. Wir sind ein zu kleines Volk.“ Es brauche also Verbündete. „Letztendlich müssen die Nichtjuden aufstehen und sagen: Nicht hier! Und so lange das nicht geschieht, müssen wir auf uns selbst aufpassen.“
Warum vor allem der linke, dieser akademische Antisemitismus, der auch seitens diverser NGOs immer wieder komme, so schmerze? Der Antisemitismus von rechts, der liege außerhalb der eigenen Welt. Aber der Antizionismus, der sei wie häusliche Gewalt. „Er greift dich an Orten an, an denen man sich sicher und zuhause fühlt.“ Die meisten Juden seien nicht Mitglied des Ku-Klux-Klans oder anderer Organisationen dieser Art. „Aber sie sind in der akademischen Welt, im Journalismus, an den Orten, an denen diese Angriffe zunehmen, prominent, auch in Menschenrechtsorganisationen, die teilweise von ihnen gegründet wurden – und hier werden sie nun attackiert.“ Und wenn das auch noch respektabel werde, „dann wird es unangenehm“.
Ein Kernproblem: Die Gründung des Staates Israel wird oft als Geschenk des schuldigen Europa nach der Shoah dargestellt. Dabei wird das Bemühen der Juden um einen eigenen Staat, das – Stichwort Theodor Herzl – lange vor den Gräueln im Nationalsozialismus begann, verleugnet. „Hätten wir Juden nicht gehandelt, und zwar bewusst und kontinuierlich, um ihren Staat zu gründen, hätte es keinen Staat gegeben.“

Frieden im Nahen Osten werde es jedenfalls erst geben, „wenn die Araber und vor allem die Palästinenser ihren Krieg gegen den Zionismus beenden und beschließen, neben einem jüdischen Staat zu leben.“ Was es in der aktuellen Situation brauche: dass der Hamas und den Menschen in Gaza klar gemacht werde, dass sie besiegt wurden, dass sie eine Niederlage erlitten haben. Die Alliierten hätten von den Deutschen am Ende des Zweiten Weltkriegs eine umfassende Kapitulation gefordert. Nur so konnte auch Verantwortung übernommen werden.
„Es braucht eine Anerkennung von Ursache und Wirkung. Es braucht diesen Moment des Ruins. Und so lange das nicht anerkannt wird, sollte kein Dollar für Wiederaufbau überwiesen werden.“ Das, was die UNRWA tue, folge dagegen immer demselben Muster: „Dass Araber niemals verlieren oder eine Niederlage anerkennen und Juden niemals gewinnen dürfen. Wir müssen dieses Muster durchbrechen.“