„Auf die Finger schauen“

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Die neue Medienbeobachtungsstelle Naher Osten (MENA) nimmt Berichte über den Nahen Osten unter die Lupe. Alexia Weiss sprach mit dem Politikwissenschafter und Historiker Florian Markl, der täglich die wichtigsten Medien nach Beiträgen zu Israel und der arabischen Welt durchforstet.

wina: Diesen Sommer wurden hunderte Raketen von Gaza aus nach Israel abgefeuert. Wie haben die österreichischen Medien darüber berichtet?

Florian Markl: Angefangen hat die Angelegenheit ja damit, und zwar an einem Montag, dass drei Terroristen über die Grenze am Sinai nach Israel eingedrungen sind und mit Schusswaffen Autos angegriffen haben. Dabei ist ein arabischer Israeli umgekommen. Dann kam die israelische Armee und hat zwei der drei Terroristen getötet. Darauf folgten die Raketenangriffe aus Gaza.

„Die irrationale Konzentration auf den israelisch-palästinensischen Konflikt ist ja nur die Kehrseite der völligen Vernachlässigung, was im Rest der arabischen Welt passiert.“

Der Kurier beispielsweise hat das erste Mal am Wochenende darauf darüber berichtet. Das war dann eine Kurzmeldung mit der Überschrift Nahost: Neue Angriffe auf Gaza. Und von den Raketen noch kein Wort, das war dann erst am Montag darauf Thema, nachdem bereits hunderte abgeschossen worden waren. Dieser Beitrag war Israel droht nach Verkündung von Waffenruhe betitelt. Und das ist das typische Vorgehen der Medien. Konflikte sind so lange uninteressant, bis Israel als Aggressor dargestellt werden kann. Das war beim Kurier so – und andere Zeitungen waren wenig besser.

wina: Haben Sie in Ihrer Arbeit nicht oft dieses „Und täglich grüßt das Murmeltier“-Gefühl?

FM: Ja, natürlich. Gleichzeitig versuchen wir eben, hartnäckig zu sein und etwas zu verändern. Wenn die Medien es schon nicht aus eigener Einsicht tun, dann ist es wichtig, dass es jemanden gibt, der ihnen auf die Finger schaut.

wina: Ist das die Motivation, mit der MENA gegründet wurde?

FM: Ja, ich habe schon seit Jahren in meinem Freundeskreis darüber gesprochen, dass man so etwas machen sollte. Im englischsprachigen Raum gibt es eine Reihe von Organisationen, die Medienbeobachtung mit einem ähnlichen Fokus machen. Aber in Österreich gab es das bisher nicht. Dann hat eine Freundin den Kontakt zu jemandem hergestellt, der auch über ein solches Projekt nachgedacht hatte. Und dann ist alles sehr schnell gegangen. Seit Ende letzten Jahres werte ich nun die Berichterstattung in den heimischen Medien aus.

wina: Worauf gründete sich Ihr Wunsch nach einer systematischen Beobachtung der Berichte?

FM: Es war der dauernde Ärger, wenn man die Zeitung aufschlägt und sieht, was da wieder berichtet wird – nicht nur in Bezug auf Israel, sondern auch in Bezug auf die arabische Welt. Dinge werden verzerrt, jeglicher Kontext wird weggelassen. Was zum Beispiel im profil über die arabische Welt geschrieben wird, ist oft dermaßen hahnebüchen, dass es mich jedes Mal ärgert, wenn ich montags das profil aufschlage. Ich habe vorher schon versucht, diese Dinge von Zeit zu Zeit in einem Blog aufzuzeigen. Jetzt hat sich mit MENA die Möglichkeit ergeben, das auf systematische Weise zu tun.

wina: Ihr Fokus liegt dabei nicht nur auf dem israelisch-palästinensischen Konflikt, Sie beobachten die gesamte Region.

FM: Man kann das in Wirklichkeit nicht trennen. Die vollkommen irrationale Konzentration auf den israelisch-palästinensischen Konflikt ist ja nur die Kehrseite der völligen Vernachlässigung dessen, was im Rest der arabischen Welt passiert. Wir sind aber keine Nachrichtenagentur. Was wir tun können, ist einerseits die Berichterstattung der Medien anzuschauen und zu kritisieren, so oft das leider eben nötig ist. Wir versuchen aber auch, Informationen zur Verfügung zu stellen, die in den hiesigen Medien nicht vorkommen, indem wir auf Beiträge in internationalen Publikationen hinweisen.

„Konflikte sind so lange uninteressant, bis Israel als Aggressor dargestellt werden kann.“

wina: Was war etwa in österreichischen Medien nicht zu lesen?

FM: Ein Beispiel: Rund um die ägyptischen Präsidentschaftswahlen wurde der nun gewählte Präsident Mohammed Mursi hier überall als moderater Kandidat der Muslimbrüder präsentiert. Das stimmt einfach nicht. Es gibt ein gutes Porträt, das in den Vereinigten Staaten erschienen ist. Und da sagen wir dann, seht euch das an, hier kann keine Rede von gemäßigt sein. Hinweise auf solche Quellen ermöglichen eine realistischere Einschätzung.

wina: Wie aber kommen österreichische Medien zu so einer fast schon gleichgeschaltenen falschen Einschätzung? Kaum ein Medium – mit Ausnahme des ORF – hat heute noch einen Korrespondenten in der Region.

FM: Auch einige Zeitungen haben noch Korrespondenten. Aber das allein ist ja noch kein Garant für Qualität. Der ORF brachte beispielsweise unlängst ein als „Lokalaugenschein in den Palästinensergebieten“ präsentiertes Journal Panorama, das höchst einseitg und sehr problematisch war.

wina: Warum werden fundamentalistische Politiker im arabischen Raum von hiesigen Journalisten verharmlost?

FM: Da muss man allgemein die Frage stellen: Warum weigert sich eine politische Öffentlichkeit in Europa und auch in den USA, sich auf realistische Weise mit den Vorgängen im Nahen Osten auseinanderzusetzen? Das hat auch mit Angst zu tun – erinnern Sie sich an die Mohammed-Karikaturen. Das kann man ja auch ein bisschen nachvollziehen. Im Moment gibt es ja wieder den Fall einer Todesdrohung gegen einen iranischen Rapper, der nun in Deutschland lebt, Shahin Najafi. Er wurde von iranischen Geistlichen wegen Verhöhnung der Religion mit einer Todesstrafe belegt, und es wurde ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt. Wenn man das mit dem Fall Salman Rushdie vergleicht, da haben Politiker Position bezogen, da gab es eine ganze Reihe von Künstlern, die sich solidarisch gezeigt haben. Aber wo ist heute die Solidarität mit Najafi? Es gibt heute in Europa eine ganze Reihe von Intellektuellen, die unter permanenter Todesdrohung und daher unter ständigem Polizeischutz leben. Aber über sie wird so gut wie nicht berichtet.

wina: Extremismus im arabischen Raum wird also in den Medien heruntergespielt, aus Angst vor Gewalt und Terrorismus?

FM: Ja. Das ist die eine Seite. Dann gibt es aber auch durchaus Übereinstimmungen der Feindbilder. Die Feinde der Islamisten sind die USA und Israel. Und wer sind die Feinde der Linken in Europa? Hier gibt es eine nicht ausgesprochene, aber doch auffällige Übereinstimmung.

wina: Da kommen Rechte, Linke und Islamisten also auf einen Nenner?

FM: Unter US-Präsident Barak Obama hat sich das ein bisschen gelegt, aber unter George W. Bush war das völlig klar ersichtlich. Wenn man sich die Berichterstattung über den Irak-Krieg ansieht: da ist die Rede von 100.000 Toten. Aber keiner sagt, wie viele davon gestorben sind, weil sie von Islamisten in die Luft gesprengt wurden.

wina: Das heißt, der 11. September hat auch einen Kurswechsel in der Berichterstattung ausgelöst?

FM: Der 11. September noch nicht, aber das, was danach passiert ist. Auf politischer Ebene gab es zunächst Solidarität mit den USA. Aber unterhalb dieser offiziellen Ebene gab es sehr viel Kritik, das ging in die Richtung, sie haben das verdient, die sind ja selbst schuld, so, wie die sich aufführen in der Welt. In der arabischen Welt haben sich ja auch mit Ausnahme Saddam Husseins und des Iran zunächst die meisten Staatsführungen solidarisch mit den USA erklärt. Aber die Menschen haben gefeiert, auch in den Palästinensergebieten. Jassir Arafat hat damals noch versucht, die Medienberichtserstattung darüber zu unterdrücken. In den österreichischen Medien ist auch fast nichts darüber berichtet worden. Und dann ging recht rasch alles in die Richtung, dass der Westen ja seit 100 Jahren eigentlich die arabische Welt nur für sich kolonial ausbeute. Und Israel wird als ein Vorposten des Westens gesehen. Das hat sich dann auf die Sichtweise des israelisch-arabischen Konflikts übertragen.

wina: In welchen heimischen Medien ist die anti-israelische Haltung am deutlichsten spürbar?

FM: Da hat es für mich einige Überraschungen gegeben. Die Zeitung, in der am meisten Berichte vorkommen, die aus meiner Sicht haarsträubend sind, ist der Kurier. „Israelische Armee bombardiert Gaza“ – das ist eine typische Kurier-Headline. Es gibt aber auch andere Überraschungen. In Zusammenhang mit der Diskussion um das Grass-Gedicht gab es auf der Seite zwei der Kronen Zeitung Zustimmung und hinten hat dann Michael Jeannée ganz klar gegen Grass und für Israel Partei ergriffen. Beim Standard habe ich das Gefühl, dass ein bisschen ein Umdenken stattgefunden hat. Da ist die Berichterstattung ganz maßgeblich von Gudrun Harrer geprägt. Die letzten eineinhalb Jahre, die arabischen Aufstände, scheinen ihre Sichtweise geändert zu haben. Sie war weit weniger euphorisch als andere Journalisten. Sie ist momentan sehr zurückhaltend und ausgewogener, als sie das früher gewesen ist. Die sinnvollsten Kommentare erscheinen im Moment in der Presse. Dort ist es Christian Ultsch, der immer wieder Positionen vertritt, die man sonst so in Österreich nicht findet.

wina: Welche Medien beobachten Sie ständig?

FM: Die Presse, den Standard, den Kurier, die Kleine Zeitung und die Kronen Zeitung. Dazu kommen noch die Wochenmagazine News und profil.

wina: Die Gratisblätter lassen Sie aus?

FM: Wir schauen sie auch an, aber nicht auf einer systematischen Basis. Das ist auch eine Frage der Kapazität.

wina: Und wie sieht es mit elektronischen Medien aus?

FM: Ich versuche mir auch über die ORF-Berichte und online einen Überblick zu verschaffen, aber das ist schwierig, es erscheint vieles und verschwindet auch bald wieder. Bei den elektronischen Medien ist es eher interessant, die Postings darunter anzusehen.

wina: MENA beobachtet aber nicht nur, sondern wendet sich auch an Medien, um auf Fehler in der Berichterstattung aufmerksam zu machen. Wie sieht da die Resonanz aus?

FM: Das ist unterschiedlich. Einige Journalisten schreiben gleich zurück, sagen, ja, Sie haben Recht, das war ein Irrtum. Andere melden sich gar nicht. Wieder andere mailen einmal, sind aber nicht an einer Diskussion interessiert. Und mit manchen entwickelt sich ein längerer Mailverkehr, der spannend und auch ergiebig ist.

„Die Zeitung, in der am meisten Berichte vorkommen, die aus meiner Sicht haarsträubend sind, ist der Kurier.“

wina: Was hat MENA bisher erreicht?

FM: Das ist schwer zu sagen. Wir bekommen eine Menge Zuschriften, ausschließlich positive Reaktionen. Die Zahl der Leser unseres Newsletters sowie unserer facebook– und Twitter-Seiten steigt kontinuierlich. Es gibt also ein Pub­likum, das gut findet, was wir machen. Manche unserer Anmerkungen werden als Kommentar der anderen oder Leserbrief abgedruckt. Unser Anspruch ist es zu erreichen, dass österreichische Medien objektiv über die arabische Welt und den Nahost-Konflikt berichten.

Zur Person

Florian Markl, geb. 1975 in Wien, Studium der Politikwissenschaft, Geschichte und Philosophie. Zivildienst im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW), danach als Archivar und später als Historiker im Allgemeinen Entschädigungsfonds tätig. Seit Ende 2011 für MENA tätig.

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MENA

Die Medienbeobachtungsstelle Naher Osten (MENA) wurde Ende 2011 vom Unternehmer Erwin Javor gegründet und wird auch von ihm finanziert. MENA beobachtet die Nahost-Berichterstattung in österreichischen Medien und versucht, durch kritische Einsprüche auf Fehler aufmerksam zu machen. Der MENA-Newsletter kann über die Website des Vereins abonniert werden. MENA ist zudem auf Facebook vertreten.

mena-watch.com

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