„AUFGEBEN IST KEINE OPTION“

Die Wiener Dramaturgin Susanne Höhne initiiert seit bald 30 Jahren Projekte zu jüdischen Themen und Persönlichkeiten. Im Gespräch mit WINA erzählt sie über lang geplante Projekte, die seit der Covid-19-Pandemie „auf Eis“ liegen, und warum Aufgeben angesichts ungebrochen brennender Themen und zahlreicher neuer Projektideen auf keinen Fall eine Option ist.

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Susanne Höhne entwickelt seit fast drei Dekaden Theaterabende zu jüdischen Themen und Menschen. © Verein Beseder; privat

Susanne Höhne studiert ursprünglich Geschichte, arbeitet bereits während des Studiums für kurze Zeit im Archiv des ORF und gründet Anfang der 1990erJahre gemeinsam mit ihrem damaligen Mann, dem Schweizer jüdischen Regisseur Frederic Lion, die freie Gruppe „Theater Transit“. „Wir haben Anfang 1994, kurz nach der Gründung, auch gleich ein Stück herausgebracht, das an einen Song von Frank Zappa anschloss: Die Morde der jüdischen Prinzessin (Meurtres de la Princesse Juive) von Armando Llamas“, erinnert sich die Dramaturgin an ihre Theateranfänge, die rasch von nachhaltigen Erfolgen der gemeinsam realisierten Projekte belohnt werden. Rund eine Dekade in den aufregenden Jahren des Theateraufbruchs der „freien Szene“ in Wien später kommt es zur privaten Trennung des Künstlerpaars, und Höhne geht für zwei Jahre nach Italien, wo sie für Festivals als Dramaturgin, Übersetzerin und Regisseurin arbeitet. Doch 2008 ruft Lion erneut bei ihr an, dieses Mal als Kollege, und lädt Höhne ein, am neu aufzubauenden „Theater Nestroyhof Hamakom“ auf dem Leopoldstädter Nestroyplatz 1 mitzuwirken, dem 1899 gegründeten „Etablissement Nestroy-Säle“ und späteren „Intimen Theater“, dessen Räume zuletzt als Supermarkt-Filiale genutzt worden waren, eher der nunmehrige „Leerstand“ auf eine Wiederbelebung wartete. „In dieser Zeit ging es auch meiner Mutter schon recht schlecht, und so habe ich mich schweren Herzens wieder von Italien verabschiedet“, berichtet Höhne über ihre gar nicht so leichte Rückkehr nach Wien. Umso herausfordernder werden die folgenden Jahren, in denen sie an der Seite der beiden Co-Leiter:innen Frederic Lion und Amira Bibawy das neue Theater an einer der traditionellsten Theaterstraßen der Stadt etablieren darf: der Praterstraße, an der einst, neben Carltheater und Rolandbühne, zahlreiche jüdische Bühnen und Ensembles ihre künstlerische Heimat hatten. Höhnes zentrale Aufgabe in dieser Zeit werden Projekte zur jüdischen Geschichte des Ortes, die Begegnung mit Zeitzeug:innen und die Kommunikation mit dem Publikum. „Ich wollte unbedingt, dass die Jüdische Gemeinde und andere jüdische Institutionen in Wien aktiv eingebunden werden in diesen Aufbauprozess. Und auch die Tafel, die heute in der Marc-Aurel-Straße zu finden ist, haben wir noch gemeinsam mit Ari Rath initiiert und umgesetzt.“ Im Theater Nestroyhof Hamakom realisiert die damalige Chefdramaturgin des Hauses zahlreiche Gedenkveranstaltungen mit inzwischen verstorbenen Zeitzeugen, darunter Ari Rath, Leo Luster und Martin Vogel, Lesungen sowie öffentliche Diskussionen zu gesellschaftlich relevanten Themen.

Heute ist das Theater Nestroyhof Hamakom aus der Wiener Theaterlandschaft nicht mehr wegzudenken. Seine Kinder- und Jugendjahre durfte Susanne Höhne wesentlich mit prägen. Zuletzt mit ihrem Festival Israel.Stücke.Aktuell, bei dem sie sowohl mit israelischen Gegenwartsautor:innen persönlich zusammenarbeitet wie auch mit Wiener Schauspielschulen, dem Reinhardt Seminar ebenso wie der MUK – Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien.

Einladung in die „Kulturkampfarena“. Bereits während ihrer Jahre am Theater Nestroyhof Hamakom gründet Susanne Höhne einen eigenen Verein, um künstlerisch, aber auch finanziell unabhängig von einem fixen Auftraggeber vermehrt Projekte zu jüdischer Geschichte, Literatur und Leben zu entwickeln. „Schon in der Schule hat mir etwas an der Betrachtungsweise jüdischer Geschichte gefehlt, und so war es von Anfang meiner künstlerischen Laufbahn klar, dass das mein Schwerpunkt werden würde“, erklärt Höhne ihr lebenslanges Interesse an jüdischen Themen. 2008 gründet sie „Beseder – Verein für darstellende und bildende Kunst“ gemeinsam mit der Schauspielerin Dagmar Schwarz. Das hebräische Wort, erläutert die Website des Vereins, heißt auf Deutsch so viel wie „ok“ oder „alles (ist) in Ordnung“ und reflektiert so nicht zuletzt bewusst ironisch die Tatsache, dass noch lange nicht alles „in Ordnung“ ist und ein Kulturverein dieses Namens sich eben jenen gesellschaftspolitischen Fragen stellen muss, auf die es noch kein einfaches „Ok“ gibt.

Zehn Jahre und zahlreiche Projekte später, die Höhne und Schwarz bis 2016 meist am Hamakom und von da an als ortsunabhängiger Verein realisieren, stößt Schauspielerin, Sängerin und Regisseurin Tania Golden dazu und löst Schwarz als Co-Leiterin neben Höhne freundschaftlich ab. Gemeinsam entwickeln die beiden starken weiblichen Wiener Künstlerinnen den Begriff „Kulturkampfarena“ und damit eine neue Programmschiene, die den je gemeinsamen Ort der Auseinandersetzungen selbst in den Fokus rückt und verstärkt auch das Publikum mit einbezieht.

Hauptsache koscher mit Shlomit Butbul und Tania Golden zählt zu den bislang erfolgreichsten Projekten des Vereins Beseder. © Verein Beseder

Neue Räume werden von nun an gesucht und bespielt, neue, oft auch experimentelle, diskursive Programme entwickelt, in deren Zentrum „die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problemen“ steht – von denen nicht wenige heute wie eh und je mit jüdischem Leben zu tun haben. Bereits ab 2017 und vermehrt mit Goldens Eintritt in den Vorstand des Vereins arbeiten die Theaterfrauen im alternativen Margaretener „ArenaBarVariétetheater“. Realisiert werden in rascher Folge die Projekte Typisch Wien, Jüdisches in Margareten, Hiob oder Gespräche mit Gott mit Tania Golden und Hubsi Kramar und das Kabarettprogramm Hauptsache koscher mit den beiden

 

„Für mich ist es eine Freude und, ja, auch
ein ,Luxus‘, wenn ich in fremde Welten eintauchen darf.“
Susanne Höhne

 

Publikumslieblingen Golden und Eduard Wildner. So erfolgreich die ersten Jahre des neuen Theatervereins sind, so abrupt endet im Zuge der Covid-19-Pandemie die Zusammenarbeit mit der Arena Bar, nachdem das 1959 gegründete beliebte Nachtcafé für immer schließen muss und dessen Gründerin Helene Wanne zuletzt Mitte November 2022 mit 95 Jahren stirbt. Ein schwerer Schlag für das frei flotierende Ensemble, das seither kontinuierlich um Spielorte, Partner:innen und Fördergelder ringt. Neue Orte, neue Projekte. Bereits 2018 gasiert das freie Ensemble anlässlich der Feierlichkeiten „70 Jahre Israel“ mit Äpfel aus der Wüste, einer Koproduktion mit der Österreichisch-Israelischen Gesellschaft, im Wiener Rathaus, bei der gleich drei wunderbare Darstellerinnen zu sehen sind: Tamara Stern, Tania Golden und Dagmar Schwarz. Noch im selben Jahr wird in Erinnerung an die Pogrome des Novembers 1938 die Zeitzeugin Helga Kinsky zum Gespräch mit Peter Huemer in die Wiener Urania eingeladen.

In der Spielzeit 2018–2019 entwickeln Höhne und Golden die Collage Noch immer die alten Affen mit Texten von Erich Kästner, für deren Realisierung sie Vera Borek, erneut Eduard Wildner sowie Peter Kaizar und Toni Burger gewinnen können; gespielt wird im Wiedner Theater Akzent und im Kabinetttheater auf dem Alsergrund. 2019 werden im neu eröffneten TheaterArche sehr zum Bedauern von Höhne nur zwei Aufführungen des Theaterstücks Unter der Haut des jungen israelischen Autors Yonatan Calderon möglich.

Ende und (Neu-)Anfang. Doch mit März 2020 endet die produktive Arbeitsreihe. Eine letzte Live-Vorstellung von Hauptsache koscher, bei der Schauspielkollegin Shlomit Butbul die Rolle von Eduard Wildner übernimmt, findet in den kurzen Wochen im Oktober dieses Jahres im Bezirksmuseum Josefstadt statt. Dank der Hilfe von André und Svetli Wanne ist zuletzt noch ein im ArenaBarVariétetheater aufgezeichneter Stream des Kabarettabends auf W24 und bei 4 Gamechangers möglich. Danach werden alle laufenden Projekte „auf Eis gelegt“. Eine schwere Zeit für Höhne, Golden und für tausende anderer frei – und das heißt immer: ohne finanziellen Boden – arbeitender Künstlerinnen und Künstler beginnt.

Doch es wären keine „Kulturkämpferinnen“, wenn die beiden Theaterfrauen nicht auch diese Zeit mit Erfolg meistern:
In der Saison 2020–2021 folgen mehrere Streaming-Formate: Äpfel aus der Wüste als neues Videoformat, nun als musikalische Lesung mit Golden und Butbul, und Moderne Sheherezaden mit Tania Golden und Nina Gabriel, schließlich muss auch die viel beachtete Lesung Spielräume mit Texten von Elfriede Gerstl, an der Erni Mangold, Tania Golden und Shlomit Butbul sowie Anna Starzinger am Violoncello beteiligt sind, im Theater Drachengasse gestreamt werden. „Dieses Projekt liegt mir bis heute sehr am Herzen“, verrät Höhne, die das rasche Ende der Aufführungsserie gerade dieses Abends bis heute schmerzt.

Seit einigen Monaten geht es wieder „bergauf“. Doch die Arbeit ist seit der Pandemie wesentlich schwieriger geworden. So fehlen vor allem längerfristige künstlerische Partnerschaften und Spielorte, aber auch die finanzielle Situation hat sich nur wenig entspannt, und das, obwohl Beseder, ist Höhne dankbar, seit einigen Jahren immer wieder aus dem dezentralen Kulturbudget der Stadt Wien, vom Bundesministerium sowie aus dem Fördertopf des Zukunftsfonds unterstützt wird. „Theaterförderung erhält der Verein hingegen nicht“, betont sie.

Jaschka Lämmer (li.) und Anna Starzinger in Susanne Höhnes aktuellem Programm Jura Soyfer und das Rote Wien. © Verein Beseder

„Wir sind ein kleiner Verein, und es ist wesentlich schwerer als für große, feste Institutionen, nachhaltig Stabilität, künstlerische wie finanzielle, zu erreichen. Auf uns ,Kleine‘ wird eben nicht so genau geschaut wie etwa auf das Burgtheater“, hält Höhne auch kritische Beobachtungen zur aktuellen Situation frei produzierender Theaterkünstler:innen nicht zurück.

Aktuelle Projekte und Pläne für die Zukunft. Zu den aktuellen Projekten des Vereins zählen zwei Programme – die Lesung Jura Soyfer und das Rote Wien, erneut mit der Musikerin Anna Starzinger sowie Schauspielerin Jaschka Lämmert, die zuletzt im Dezember 2022 an mehreren Spielorten in Wien endlich wieder live gezeigt werden konnte. „Diese Collage zusammenzustellen, hat mir besondere Freude gemacht“, erzählt Höhne. Die erste Version des Abends fand noch während der Pandemie statt, danach musste auch dieses Projekt lange pausieren, für weitere Vorstellungen 2023 ist Höhne derzeit intensiv an der Planung und auf der Suche nach interessierten Spielstätten.

 

„Man muss sich gerade sehr anstrengen,
und es dauert zurzeit
auch lange,
bis Projekte wirklich stehen.“

Susanne Höhne

 

Das andere Großprojekt, an dem Höhne seit fast zwei Jahren gemeinsam mit Tania Golden arbeitet, ist das „historische Stationentheater“ Unmögliche Interviews, dessen Uraufführung im Herbst 2022 im Spektakel Wien stattfand. Neben Golden, die bei diesem Projekt sowohl für die Regie verantwortlich zeichnet wie auch die Moderation übernimmt, sind hier eine Reihe von Nachwuchskolleg:innen zu entdecken. Susanne Höhne beschäftig sich in den von ihr als „kleine Miniaturen“ bezeichneten Textcollagen mit Leben und Werk von Eugenie Schwarzwald, Grete Wiesenthal, Adelheid Popp, Sigmund Freud und Robert Musil – aber auch Karl Lueger. Das Publikum wandert dabei am jeweiligen Spielort „von Raum zu Raum und begibt sich auf einen lebendigen Streifzug durch die Welt von gestern“, verrät der Flyer für das Projekt – die jüdische wie eben auch die antisemitische Welt vom Fin de Siècle bis zum „Anschluss“, müsste man ergänzen, über die die ausgewählten Persönlichkeiten im direkten Gespräch mit dem Publikum Antworten geben, und das gleichermaßen auf bekannte und nie gestellte Fragen.

„Für mich ist es eine Freude und, ja, auch ein ,Luxus‘, wenn ich in fremde Welten eintauchen darf“, erzählt Höhne über die schönen Seiten ihre Arbeit als freie Dramaturgin und Kulturproduzentin. Unmögliche Interviews ist aber vor allem auch ein sehr aufwändiges Projekt, weiß Höhne, das für jeden Spielort szenisch neu konzipiert werden muss. So ist der nächste Schritt, diese beiden Projekte, die bislang noch zu wenig sichtbar gemacht werden konnten, noch eine Reihe weiterer Male öffentlich zeigen zu dürfen. „Man muss sich gerade sehr anstrengen, und es dauert zurzeit auch lange, bis Projekte wirklich stehen.“ Wer Susanne Höhne trifft, ist sofort begeistert von ihrem wachen Geist, ihren flirrenden Gedankenwelten und ihrer ungebrochen mutigen Haltung. Dass das Leben so manche Überraschung und noch mehr Hürden für die Dramaturgin gebracht hat, wird rasch klar. Aber auch, dass sowas eine Vollbluttheaterfrau wie Höhne nicht so schnell verzweifeln lässt. Was sie sich angesichts der harten Jahre, auf die sie zurückblickt, am meisten wünscht? „Was ich mir wünschen würde, ist, abgesicherter zu arbeiten“, gesteht Susanne Höhne so ehrlich wie kämpferisch am Ende des Gesprächs. Als „nicht mehr so junge“ freischaffende Theatermacherin ist das Leben eben nicht mehr so einfach. Und es braucht unglaublichen Mut, Projekte zu realisieren, auf die keine:r „gewartet“ und nach denen keine:r „gefragt“ hat, die aber in der viel zitierten Luft liegen und umso mehr brennen. „Man muss das tun, was man muss“, weiß Höhne, „oder man gibt auf. Und das ist auch keine Option.“

beseder-theater.com

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