Aus dem Schatten in die Sonne: Die Xuetas auf Mallorca

Als Xuetas werden die Nachfahren jener Juden auf Mallorca bezeichnet, die während der Inquisition zur Konversion gezwungen wurden. Heute entdecken sie ihr jüdisches Selbstbewusstsein und die Geschichte ihrer Vorfahren neu. Eine moderne Emanzipationsgeschichte.

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Unbekannte jüdische Geschichte. Eine Plakette am Boden beim ehemaligen jüdischen Viertel erinnert an die einstige – oft grausame – jüdische Geschichte der Stadt Palma.

Toni Piña ist ein bekannter Koch auf Mallorca, mit eigener Radioshow, er lebt in Sóller, im Nordosten der Insel. Bis vor wenigen Jahren wusste er nicht allzu viel über die Geschichte seiner Familie, was er wusste: Sie waren Xuetas, Nachfahren von Juden, die im Mittelalter zur Konversion gezwungen wurden. Die Xuetas wurden bespitzelt, unterdrückt und verfolgt. Auch Toni Piñas Familie ging es so: „Es gibt Berichte aus dem Jahr 1691, danach wurden einige Piñas durch die Inquisition beschuldigt, heimlich das Judentum zu pflegen.“ Sie mussten sich vor dem Inquisitionsgericht in Palma de Mallorca verantworten und wurden zu jahrelangem Galeerendienst verurteilt, danach war die Familie ruiniert. Allein der Verdacht, Kryptojude zu sein, reichte aus. Und der Name Piña wurde für viele Jahrhunderte zum Stigma. „Meine Mutter hat in den Fünfzigerjahren geheiratet, sie musste es um sechs Uhr morgens tun. Denn die Leute wollten nic

Jüdische Identität neu entdecken Der Koch Toni Piña (li.) beim Challe-Backen.

ht, dass sie mit einem Xueta die Ehe einging.“ Auch Toni Piña hat in seiner Jugend Ähnliches erfahren: „Wenn man als Teenager zum ersten Mal ein Mädchen traf, dann sagten viele Eltern: ‚Mit diesem Jungen gehst du nicht aus, das ist ein Xueta.‘“ Den Begriff Xueta gibt es nur auf Mallorca.
Umstritten ist, ob er hergeleitet wurde von der katalanischen Bezeichnung für Jude oder von dem katalanischen Wort für Speck oder Schweinefleisch. Das sagt Laura Miró Bonnin. Auch sie stammt von einer Familie ab, die im Mittelalter gezwungen wurde, zum Katholizismus zu konvertieren. Die Historikerin hat zu dem Thema geforscht, dabei stellte sie fest, dass sich die Schicksale vieler Familien ähnelten. Allein der Verdacht, heimlich weiter nach jüdischen Gesetzen zu leben, reichte im Mittelalter aus, um verurteilt zu werden. Vor rund 330 Jahren brannte mitten in Palma de Mallorca der letzte Scheiterhaufen, darauf starben die Geschwister Caterina und Rafael Tarongí, auch der Rabbiner Rafel Valls wurde lebend verbrannt. Sie hatten sich geweigert, ihrem Glauben abzuschwören und sich zu Jesus Christus zu bekennen. Überlieferungen zufolge sollen 30.000 Menschen zugesehen haben. Danach galt jüdisches Leben auf Mallorca als ausgelöscht. Viele Xuetas lebten besonders demonstrativ ihren katholischen Glauben, einige wurden Priester oder Nonnen. Tatsächlich aber ging die Diskriminierung weiter. Denn jeder auf Mallorca konnte schon anhand der Nachnamen erkennen, welche Familien jüdischen Ursprungs sind. Namen wie Miró, Bonnin, Aguiló, Forteza, Cortés und Piña waren Anlass genug, ausgegrenzt zu werden. „Xuetas wurden stigmatisiert, und es gab jede Menge Vorurteile. Etwa, dass sie schmutzig seien, geizig und verschlagen und nur auf ihren wirtschaftlichen Vorteil bedacht“, sagt Laura Miró Bonnin. Und noch in den 70er- und 80er-Jahren sei es vor allem im Viertel von Palma de Mallorca zu Übergriffen gekommen, in dem viele Nachfahren von Juden lebten. „Das war vor allem, als zeitgleich im spanischen Fernsehen eine Serie über den Holocaust gezeigt wurde. Es wurden Wände beschmiert, auch mit Hakenkreuzen. Das ist gerade mal rund 40 Jahre her.“ Miquel Segura Aguiló hat Bücher über die jüdische Geschichte auf Mallorca geschrieben, vieles kennt er aus eigener Anschauung. Xuetas hätten nicht jede Schule besuchen dürfen, Karrieren in der Justiz oder beim Militär seien lange unmöglich gewesen. Über das Thema „Xuetas“ habe man während der Franco-Diktatur offiziell nicht sprechen dürfen auf Mallorca, es sei unter die Pressezensur gefallen. Dennoch habe man ihn als jungen Mann noch diskriminiert: „Wenn man abends aus dem Kino kam, haben sie an den Ecken gestanden und haben dir ‚Xueta‘ oder ‚Schwein‘ hinterhergerufen. Das war eigentlich verboten.“ Und obwohl es offiziell keine Trennung gab zwischen Alt- und Neu-Christen, habe man die gesellschaftliche Spaltung überall gespürt, auch in der Kathedrale von Palma: „In der Osterwoche predigte der Priester von der Kanzel gegen die Juden, die immer noch unter uns lebten und die Jesus getötet hätten. Bis zum zweiten vatikanischen Konzil war das normal.“

Heute ist das Thema Xuetas kein großes mehr auf der Ferieninsel. Wenn man Mallorquiner auf der Straße nach der Bedeutung des Begriffes fragt, können vor allem junge Leute kaum etwas damit anfangen. Ältere wissen häufig, welche Nachnamen Xueta-Namen sind, über die jüdische Geschichte der Insel weiß aber kaum jemand Bescheid. Dani Rotstein möchte das ändern. Der junge Jude aus New York bietet Touren an auf den Spuren jüdischen Lebens in Palma de Mallorca. Dabei erfährt man, dass bereits im zweiten Jahrhundert Juden auf den Balearen lebten.

 

„Wir glauben, dass es notwendig ist, die
unbekannte jüdische Geschichte Mallorcas und den
inspirierenden Widerstand der mallorquinischen Juden in traumatischen Zeiten zu erzählen.“
Dani Rotstein

 

Es gab Zeiten, in denen das Königshaus von Mallorca den Juden Schutz bot – es waren Kaufleute darunter, Kartografen, Ärzte, Seefahrer. Vor allem im späten Mittelalter jedoch gab es nur drei Optionen: Flucht, Tod oder Taufe. Das sagt auch Miquel Segura Aguiló, der seinen Stammbaum bis ins Mittelalter zurückverfolgen kann: „Bei der Kathedrale von Palma wurden sie mit einem Eimer Wasser getauft. Von diesem Moment an gab es offiziell keine Juden mehr auf Mallorca. Es gab die Konvertiten, und es wurde unterschieden zwischen Alt-Christen und Neu-Christen.“ Die katholische Kirche auf Mallorca tat ein Übriges, um die jüdische Geschichte vergessen zu machen. Dani Rotstein hat bei seiner Führung durch die Altstadt von Palma die Igelesia de Montesión erreicht – ein mächtiger heller Kirchenbau, von Jesuiten genau dort errichtet, wo zuvor die Synagoge von Palma stand. Rotstein führt die Besucher auch an der Kathedrale von Palma vorbei. Nicht weit davon ist das Gebäude, in dem im Mittelalter die Inquisition über Kryptojuden richtete. Teilnehmer der Gruppe um Dani Rotstein tragen ebenfalls Xueta-Nachnamen. Kaum einer aber ist sich der jüdischen Wurzeln ihrer Familien bewusst. „Viele der rund 20.000 Xuetas auf Mallorca sind heute sehr gläubige Katholiken und haben nicht das geringste Interesse, zum Judentum zurückzukehren“, erklärt Rotstein, „es berührt sie nicht. Sie sind katholisch aufgewachsen und wollen es auch bleiben.“ Für umso bemerkenswerter findet er, dass sich einige wenige heute zum Glauben ihrer Vorfahren bekennen. Toni Piña und Miquel Segura Aguiló zählen dazu. Sie waren mit die ersten Xuetas, die sich vom Katholizismus ab- und zum Judentum hingewandt haben. „Das ist etwas Besonderes“, erzählt Rotstein, „vielleicht fühlten sie sich von ihren Vorfahren gerufen.“

Jüdische Identität neu entdecken: Dani Rotstein bei seiner Stadtführung
durch Palma und das Ehepaar Ag

Der Kreis schließt sich. Für Xuetas auf Mallorca gilt eine Sonderregel: Wenn sie nachweisen können, dass die Mütter in ihrem Stammbaum jüdisch waren, dann müssen sie nicht konvertieren, sie kehren ohne rabbinische Prüfung zurück zum Judentum. Für Toni Piña hat sich damit ein Kreis geschlossen: Seit Generationen gab es in der Familie Gewohnheiten, die er sich nicht erklären konnte: Bei einem Todesfall etwa wurden die Spiegel im Haus verhängt, auch wurde bereits an Freitagen geputzt und nicht, wie bei den Nachbarn üblich, erst am Samstag. Auch habe er von seiner Großmutter ein Messer geerbt, von dem er heute weiß, dass es ein Schächtmesser ist. Der Koch hat sich dem Glauben auch über die Küche und die Tora genähert: „Hier findet man, was man essen und wie man es zubereiten soll. Und während ich die Tora las und mir die Schwierigkeiten meiner Vorfahren auf Mallorca vorstellte, wurde in mir eine Spiritualität geweckt, die ich vorher nicht gekannt hatte.“ Auch seine Frau hat den Glauben ihrer Vorfahren angenommen, sie haben ihr Eheversprechen vor einem Rabbiner in Israel wiederholt. Piña ist sicher: Heute handelt und denkt er anders als früher, ist auf andere Weise glücklich, der Blick auf das Leben habe sich geändert. Dass seine Kinder und Enkel katholisch geblieben sind, ist für ihn kein Problem. Ähnlich wie Miquel Segura Aguiló zählt er heute zu den festen Mitgliedern der jüdischen Gemeinde auf Mallorca. Seit sich nach der Franco-Diktatur in den 1970er-Jahren die Insel für den Tourismus immer mehr geöffnet hat, ist die Gruppe gläubiger Juden auf den Balearen angewachsen. In der Nähe des Jachthafens von Palma de Mallorca, in der Carrer de Monsenyor Palmer, liegt hinter einem unauffälligen schmiedeeisernen Tor mit zwei Davidsternen die Inselsynagoge. Es ist ein großer Raum im Erdgeschoß eines unscheinbaren Mehrfamilienhauses, und man muss schon wissen, dass zwischen Cafés und hinter einem Parkplatz der Gebetsraum zu finden ist. Miquel Segura Aguiló ist im Vorstand der Synagoge, mit seiner Frau feiert er dort regelmäßig Schabbat und die hohen jüdischen Feiertage. Ihr Leben habe sich geändert, und ihre katholischen Kinder wüssten das: „Weihnachten gibt es für meine Frau und mich nicht mehr, und meinen Enkeln sage ich: Das sind keine Weihnachtsgeschenke, sondern Geschenke zu Chanukka. Und ihnen“, sagt er lachend, „ihnen ist das egal.“

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