Perfekte Idylle ringsum, das Meer ist wieder türkisblau und ruhig, der letzte verheerende Sturm, der Bäume entwurzelt und Häuser zerstört hat, liegt ein paar Wochen zurück und ist so gut wie vergessen. Große, bunte Schmetterlinge flattern von Blüte zu Blüte, ein schwarzer Hund mit kurzen Beinen liegt im Schatten eines Banyan Trees. Ein Helikopter fliegt eine Schneise; dann wieder Stille.
Wir befinden uns auf Forschungsreise auf einer kleinen Insel in Südostasien, zwischen Thailand und Kambodscha. Die Nutzung des Internets ist uns kaum beziehungsweise nur sehr beschränkt möglich. Zumeist gibt es kein Wifi, und wenn, ist die Verbindung sehr instabil, bisweilen ist sie eingeschränkt möglich, um dann wieder abrupt abzubrechen. Was sich schon nach Kurzem zeigt, ist, wie sehr die Gewöhnung an die permanenten Dosen des News-Wahnsinns den Organismus prägen – bleiben sie aus, zeigen sich regelrechte Entzugserscheinungen. Der Geist wandert in einem fort, unstet, entflieht pausenlos einer Gegenwart, die von Frieden, eindrucksvoller Schönheit und Harmonie geprägt ist. Der Monkey Mind verlangt nach fortgesetztem Konsum von News-Flashes, möchte ständig neue Texte und Analysen lesen, Fotos anschauen, Videos sichten, immer weiter reflektieren. Was zunimmt, sind die Unruhe und die Befürchtung, etwas zu versäumen, nicht am aktuellen Stand des Weltgeschehens zu sein – gerade in Zeiten wie diesen. Manchmal zeigt sich ein zarter Balken am Display des Smartphones, die Hoffnung wächst. Im nächsten Augenblick wieder: null Empfang. Und es scheint, so viel lässt sich sagen, einen großen Unterschied zu geben zwischen selbstverordnetem stundenweisem Digital-Detox und unfreiwilliger, von äußeren Umständen bewirkter Netzabgeschiedenheit.
„Selten lebten wir in Zeiten ähnlich großer
Dauererregung. Ein kollektiver Zustand, der
verhindert, klar zu denken und sich der
Probleme bewusst zu werden, die unseren
Alltag direkt beeinflussen.“
(Sybille Berg)
Abends, sofern es nicht gewittert, wird ab und an eine sehr langsame Verbindung zur virtuellen Medienwelten möglich. Mit einem Mal erklingt ein Nachhall im Hinterkopf: die Signaltöne beim Aufbau der Leitung – wie damals bei der Telefoneinwahl per analogem Modem. Seiten laden in Zeitlupe, erstarren unvermittelt, Typos wirbeln durcheinander, Meldungen erscheinen ohne Bilder. Alles Weltgeschehen ist bruchstückhaft, noch zerstückelter als für gewöhnlich. Es zeigt sich nun noch deutlicher als riesenhafte Baustelle des Rätselhaften und Unbegreiflichen, mit einander disparat Verbundenen und zunehmend desperat Wahrgenommenen.
Die jungen Israelis, Nachbarn in der Hütte nebenan, von morgens bis abends umgeben von dicken Ganja-Wolken, hören orientalische Musik; melancholische Tunes. Später spielen sie ein Computergame. Wir sehen Fischerboote draußen auf dem Meer und Wetterleuchten.
Kurzes News-Flackern … Der Mann ohne Hemmungen hat also die Wahl gewonnen. Was so viel bedeutet wie: Bahn frei für das Unberechenbare, das Rücksichtslose und Unverantwortliche der Marke Trump. Und jede Kritik, jede Persiflage, jedes kursierende Meme stärkt bloß das Image der perfiden Selfmade-Milliardär-als-Macher-PräsidentNarration, die sich alles einverleibt. – Wie auch andernorts machen aktuell – mehr denn je – die von wahrer Humanität (der Verbundenheit mit allem Leben) und Intellektualität (dem Ballast des Wissens, der Gewissheit des Nichtwissens) nicht Gebremsten die Welt auf unterschiedlichste Art und Weise ordentlich platt.
Wieder, ein paar Sekunden: Datenempfang … Historisches aus dem Jahr 1938? – Nein, Bilder aus Amsterdam, 2024: Das Video, das eine französisch-israelische Freundin als Erste teilt, lädt langsam. Die Aufnahmen holpern, stocken, frieren dann abrupt ein; Verbindungsprobleme. Was bereits sichtbar ist: Enthemmung; Unterschätztes und Verdrängtes dringt an die Oberfläche, entlädt sich in Gewaltakten, gezielten Attacken. Nur zum Schein Überwundenes, in der Vergangenheit Liegendes ist wieder brandaktuell, von der Gegenwart radikal eingeholt.
Unsere Nachbarn hören jetzt Westcoast-Rap der 1990er; California Love, 2Pac ft. Dr. Dre. Aus den Boxen klingt: „California knows how to party, California knows how to party (Yes, they do)!“ Der Duft des Weeds zieht herüber, beruhigt irgendwie – spukhafte Fernwirkung? –, lässt mit einem Mal die Umgebung wieder bewusster wahrnehmen.
Die Dunkelheit ist warm, das Meer ist ruhig, der Datenstrom versiegt. Eine Fledermaus kreist über unseren Köpfen.