Barbarella macht Selfies‏

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Die erfahrene Puppenspezialistin Laurie Simmons stellt im Jewish Museum in New York neue Fotografien aus. Von Thomas Edlinger.

Man sieht es jede Woche in Heidi Klums TV-Tribunal über Zicken im Zirkus: Auch Models sind nicht perfekt. Sie nerven, heulen und machen Blödsinn – Teenager im Hormonstau eben. Selfies treiben die jungen Narzisstinnen in die Magersucht, das Fernsehen schürt Konflikte, die es ohne Kamera gar nicht geben würde. Wäre es da nicht schöner, eine Puppe zu sein?

Puppen faszinieren bis heute die Looks von Jugend- und Popkulturen. In Japan, einem Land, das einen besonderen Sinn für Kostümspiele (Cosplay) hat, demonstriert die Kigurumi-Kultur die Lust an Rollenspielen. Männer und Frauen, Erwachsene und Jugendliche statten sich in eigenen Kigurumi-Shops mit Masken, Bodysuits und Ähnlichem aus. Dargestellt werden auch Comic-Figuren, gern im Stil von Anime-Figuren aus dem Computer oder in Manga-Comic-Ästhetik, oft mit übergroßen Kindchenschema-Augen.

Puppen schwitzen nicht, haben keine Pickel, keine Depressionen, werden nicht fett und brauchen keinen Freund an ihrer Seite.

Lindsay (Gold), 2015, Pigment Print.
Lindsay (Gold), 2015, Pigment Print.

Die New Yorker Künstlerin Laurie Simmons hat sich in der Serie Love Doll 2014 mit dieser japanischen Spielart der popkulturellen Puppenfaszination beschäftigt. Nun stellt sie im Jewish Museum in New York sechs neue Arbeiten vor. Sie zeigen Fotografien von entrückt ins Nichts blickenden jungen Models vor neonfarben leuchtenden Vorhängen, deren Licht eine surreal-technoide Atmosphäre schafft. Etwas stimmt nicht an dem unverwandten und fast selbstbewussten Blick der Frauen. Die Augen sind auf die geschlossenen Lider aufgemalt – eine Technik, die auch die reale, so genannte Doll-Girls-Szene selbst anwendet, um sich nach dem Vorbild von Barbie und anderen Plastik-Rolemodels zu stylen und zu porträtieren. Die Bilder von Simmons zitieren zudem auch das Genre der prestigeorientierten Highschool-Porträts. Dabei posieren betont Schülerinnen vor Vorhängen und werden von den Schultern aufwärts aufgenommen.

How We See zeigt Bilder, die aufwändig gemachte Selfies sein könnten. Sie könnte um Likes in den sozialen Netzwerken buhlen. Mädchen, die sich als Doll Girls inszenieren, scheinen mit der Ambivalenz der Gefälligkeit zu spielen. Sie strahlen eine populäre, modische Niedlichkeit aus, die so gar nichts mit einer feministischen Selbstbestimmtheit zu tun hat; zugleich aber wirken sie auch wie übermenschliche Fabelwesen aus der Welt der Superheldinnen.

Links: Ajak (Violet),  2015, Pigment Print.
Links: Ajak (Violet),
2015, Pigment Print.

Puppen sind zwar nicht lebendig, aber sie sind auch bigger than life. Niemand kann ihnen etwas anhaben. Sie schwitzen nicht, haben keine Pickel, keine Depressionen, werden nicht fett und brauchen keinen Freund an ihrer Seite. Zudem rufen die Bilder menschlicher Puppen in Lebensgröße eine Bildtradition des Unheimlichen wach, die von den ersten mechanischen Automaten über die Marionetten und Puppen bis zu den Robotern, den Cyborgs in den Science-Fiction-Filmen und den biotechnikfaszinierten Self-Enhancement-Gurus von heute reicht. Unheimlich ist nach Freud das, was einst vertraut war und plötzlich fremd erscheint, bzw. das, was fremd ist und einem plötzlich zu nahe, zu echt und zu vertraut erscheint. Das ist der Grund, wieso Wiedergänger, Doppelgänger und humanoide Replikanten den Betrachter eher verunsichern als reine Ausgeburten der Phantasie. Diese kommen dem instabilen Ich nicht zu nahe.

Simmons’ Landsmann, der 2012 verstorbene Installationskünstler und Musiker Mike Kelley, hatte einst gemeinsam mit Paul McCarthy die populäre Schweizer Kinderbuchfigur Heidi zum puppenhaften Objekt von Spekulationen über Traumata und den Horror des Familienlebens gemacht. 2004 verdichtete Kelley sein Interesse am Devianten im Populären und der Kunst zu einer von ihm kuratierten thematischen Gruppenausstellung im Wiener Mumok. Sie hieß The Uncanny. Ein Hosenbein ragte aus dem Nichts des White Cube, eine in SM-Latexmoden gehüllte Plastiksexpuppe krümmte sich am Boden, um den Untersatz für einen Beistelltisch abzugeben. Auch die berühmten wulstigen Torsos von Hans Bellmer fehlten nicht.

Laurie Simmons hingegen bietet keine offensichtlichen Deformationen in der Tradition des kritischen Modernismus oder der derzeit beliebten Outsider-Art an. Ihr fotografischer Blick auf ihre Doll Girls erscheint steril, vielleicht ironisch, vielleicht auch ähnlich überaffirmativ wie die antikisierenden Inszenie­rungen jugendlicher Endzeit-Fantasywelten des russischen Kollektivs AES plus F. Es sind Bilder, die auch die Positionen ihrer kongenialen Kollegenschaft aus der so genannten Pictures-Generation kennzeichnen: Bilder, die auf Medienbilder reagieren, also auf Chimären. Sie handeln auch von Verführung und  (Selbst-)Betrug.

Laurie Simmons
Die New Yorkerin Laurie Simmons wurde 1949 in Far Rockaway geboren und arbeitet als Fotografin und Filmkünstlerin. Ihre Ausstellung How We See ist im Jewish Museum in New York bis 9. August zu sehen.

Bilder: © Laurie Simmons and Salon 94 /The Jewish Museum

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