Begegnung auf Arabisch

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Der israelische Schriftsteller Sami Michael ist einer persönlichen Einladung des palästinensischen Präsidenten gefolgt und hat mit seiner Frau zwei Tage Urlaub in Ramallah gemacht. Protokoll eines orientalischen Flüchtlingstreffens.     Von Gisela Dachs

Die guten Nachrichten muss man in diesen Tagen mit einer Pinzette aufspüren. Deshalb haftet manchen Begegnungen, allein schon weil sie überhaupt stattfinden, etwas Hoffnungsvolles an. Auch wenn die Protagonisten alt sind und kaum die Zukunft repräsentieren.

Nicht viele Israelis würden heute freiwillig in die heimliche Palästinenserhauptstadt fahren. Sami Michael aber freute sich.

Sami Michael, 90, lebt im achten Stock eines Hochhauses auf dem Karmel-Berg in Haifa. Der Ausblick von seinem Wohnzimmer ist atemberaubend. Unten erstrecken sich das blaue Mittelmeer, die Wälder von Galiäa und in der Ferne die libanesischen Berge. Hier erreichte den Schriftsteller kürzlich ein Anruf aus dem palästinensischen Präsidentenbüro mit einer Einladung nach Ramallah.

Bis dorthin sind es von Haifa aus zwei Autostunden. Dazwischen liegen Welten. Nicht viele Israelis würden heute freiwillig in die heimliche Palästinenserhauptstadt fahren. Sami Michael aber freute sich und stieg zwei Wochen später mit seiner Frau Rachel zunächst in ein Taxi bis zum Checkpoint Kalandiya und dann in ein weiteres, das sie in ihr Hotel in Ramallah brachte.

Das Treffen selbst fand in der Mukata statt, dem offiziellen Amtssitz des Präsidenten. Es war Sami Michaels zweite Begegnung mit Mahmud Abbas. Kennen gelernt hatten die beiden Männer einander vor dreißig Jahren in Toledo, auch damals schon nicht mehr ganz jung, auf einer Konferenz, die Juden aus arabischen Ländern mit PLO-Vertretern aus Tunis zusammenbrachte. Auch der palästinensische Dichter Mahmud Darwish war damals mit dabei, erinnert sich Sami Michael. Er selbst wiederum habe zu den wenigen Juden gehört, die aus Israel kamen (damals waren Begegungen mit PLO-Vertretern für Israelis zudem noch verboten). Was alle einte, war die gemeinsame Muttesprache – Arabisch. Sami Michael stammt aus Bagdad. Dort spielen auch manche seiner Romane.

Und so betonte Sami Michael, dass Israels Unabhängigkeit erst dann erreicht sein werde, wenn es nebenan einen unabhängigen Palästinenserstaat gebe.

So plauderten nun Mahmud Abbas und Sami Michael auch in Ramallah wieder auf Arabisch miteinander. Das schafft unweigerlich eine sprachliche Nähe, wie sie sonst nicht üblich ist bei palästinensisch-israelischen Begegnungen. Meistens wird auf Englisch geredet oder auf Hebräisch, vor allem wenn Palästinenser involviert sind, die früher im israelischen Gefängnis saßen.

Abbas und Michael fanden aber noch weitere prägende Parallelen in ihren Biografien – den Heimatverlust – und tauschten sich darüber aus. Die Familie des Palästinenserpräsidenten war 1948 aus Zfatt geflohen, das heute zu Israel gehört. Sami Michael wurde zur selben Zeit „als Jude und Kommunist“ aus dem Irak vertrieben. Als er damals vor seinen Verfolgern im Iran Schutz suchte, wo er ständig Angst haben musste, zurückgeschickt zu werden, so erzählte er nun Abbas, sei er jeden Tag nahe zur Grenze seiner verlorenen Heimat gegangen und habe Tränen vergossen. 1949 ging er ins israelische Exil, ein Land, das erst später sein zweites Zuhause werden sollte.

Die arabische Kultur hat Sami Michael tief geprägt. Er hat sie nie abgelegt oder von sich gewiesen. Über sein Leben unter Muslimen hat er mir einmal im Interview erzählt: „Die Araber in Bagdad sahen in uns Juden kein fremdes Element. Im Gegenteil: Die Juden waren ja schon vorher dagewesen. Aber der Islam machte aus uns Bürger zweiter Klasse. Das hinderte uns aber nicht, kulturell vorne zu sein. Nur der politischen Elite durfte man nicht angehören. Ich bin in einer gemischten Nachbarschaft aufgewachsen, mit Christen und Muslimen. Die Ironie war, dass sich der Einfluss der Nazis auch auf unser Zusammenleben auswirkte. Ich galt als ein beliebter Jugendführer, und auf einmal war ich in den Augen der anderen zum schmutzigen, feigen Juden geworden, so wie ihn Hitler haben wollte.“

In Israel war er lange Zeit der einzige Schriftsteller orientalischer Herkunft. Diese Figur habe er dann ebenso wie den arabischen Intellektuellen als Helden in die hebräische Literatur eingeführt. „Das war neu. In Tel Aviv kannte man nur Ahmed, den armen Arbeiter, aber keine gebildeten Araber. So war das auch in der Literatur.“

Sami Michael war auch der Erste, der Werke des späteren ägyptischen Literaturnobelpreisträgers Nagib Machfus in eine andere Sprache übertrug – ins Hebräische. An jenem Tag, an dem er sich ins Taxi nach Ramallah setzte, wurde die arabische Ausgabe seines jüngsten hebräischen Kinderbuchs ausgeliefert. Tipa ve tiponet (Ein Tropfen und ein Tröpfchen) erzählt die Geschichte von zwei Wassertropfen, die sich trennen müssen. Einer geht in den Wolken auf, der andere im Meer, am Ende treffen sie einander wieder in einer Flasche. Ein druckfrisches arabisches Exemplar dieses Büchleins liegt nun im Kinderzimmer von Mahmud Abbas’ Enkel. Sami Michael hat es ihm gewidmet.

Dass der 81-jährige Abbas ausgerechnet Sami Michael zu seinem Gast auserkoren hat, um sich, wie er sagte, der israelischen Gesellschaft wieder ein bisschen anzunähern, ist kein Zufall. Mit einem Israeli wie ihm gibt es einiges, was verbindet. Sami Michael aber ist zudem – und das unterscheidet ihn von vielen anderen Orientalen in seinem Land, die eher zum rechten Lager neigen – ein bekennender Linker und langjähriger Vorsitzender der israelischen Vereinigung für Zivilrechte.

So haben beide natürlich auch über den abwesenden Friedenprozess geredet. Und so betonte Sami Michael, dass Israels Unabhängigkeit erst dann erreicht sein werde, wenn es nebenan einen unabhängigen Palästinenserstaat gebe. Als Abbas von der Notwendigkeit eines Endes der Besatzung sprach, erinnerte ihn aber Sami Michael auch daran, dass die palästinensischen Messerattacken die Israelis seit Monaten in Angst und Schrecken versetzten und bloß Hass schürten, was eine Versöhnung in noch weitere Ferne rücken ließe.

Mahmud Abbas wiederum versicherte, dass er in jedem Fall weiter an der Sicherheitskooperation mit Israel festhalten wolle, auch wenn ihm das den Ruf eines Kollaborateurs eintragen würde. Vielleicht aber macht er das ja auch, möchte man hinzufügen, um im Amt zu bleiben, weil die Unterstützung in seinem Volk nicht mehr groß ist für den Präsidenten und die Hamas im Westjordanland immer populärer wird. Genau kann man das aber nicht wissen, da die letzten Wahlen elf Jahre zurückliegen.

Eine gute Stunde dauerte das Treffen. Am Ende gelobte man einander, die persönlichen Bande weiterzupflegen. Es gab auch Geschenke, eine Damenjacke mit palästinensischen Stickereien für Rachel und ein handgefertigtes Mosaik, das einen Olivenbaum darstellt, für Sami. Dann machten sich die Gäste aus Israel auf zu einer weiteren Begegnung mit palästinensischen Intellektuellen und Schriftstellern in Ramallah.

Nach zwei Nächten in dieser Welt machten sie sich dann wieder auf den Weg zurück in die ihre – eine Fahrt vorbei an palästinensischen Flüchtlingslagern und jüdischen Siedlungen und begleitet von Radioberichten über einen weiteren Terroranschlag auf Israelis.

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