Besondere Beziehungen

León de Castillo veranstaltet heuer bereits zum sechsten Mal das Primavera Festival Wien, bei dem Menschenrechte im Mittelpunkt stehen. Erinnert wird dabei vor allem daran, dass Mexiko 1938 das einzige Land war, das Protest gegen den „Anschluss“ Österreichs an Hitler-Deutschland einlegte. Das Thema liegt dem Tenor, der sich auf Grund seiner Herkunft beiden Ländern verbunden fühlt, am Herzen.

1959
Hier laufen die Themen Flucht und Exil – aber eben auch Künstler und vor allem Musikschaffende im Exil – zusammen. © Daniel Shaked

León de Castillo heißt nicht wirklich so, doch frei erfunden ist der Name auch nicht: Es sind die Nachnamen seiner mexikanischen Mutter – der Großvater hieß Léon, die Großmutter Castillo. Der Name mache aber manches leichter, erzählt der an der Musikuniversität Wien ausgebildete klassische Sänger. Die Klassik sei „sehr rechts“, bedauert er. Auf Grund seines Aussehens in Verbindung mit dem Namen, der in seinen offiziellen Papieren steht und auf Basis dessen Menschen jemand anderen erwarten, habe er immer wieder Diskriminierung erfahren. Letztendlich bewog ihn das auch – trotz eines Angebots eines fixen Engagements an der Oper Hamburg –, einen anderen Weg zu beschreiten.

León de Castillo, der laut Geburtsurkunde Christian Kostal-Leon heißt, gründete das Kammermusikensemble Valsassina, widmet sich in Programmen der Musik von Exilkomponisten oder gestaltet Abende mit politischer Botschaft. So entstand auch das Primavera Festival: Zum 75. Jahrestages des Protests Mexikos gegen die Fusion von Österreich und Deutschland am 12. März 1938 organisierte er hier eine Diskussionsrunde mit Musikprogramm.

Auch das heurige Primavera Festival eröffnet am 12. März mit einer Diskussionsrunde zum Thema „80 Jahre nach dem ‚Anschluss‘“ und einem Konzert in der Diplomatischen Akademie. Ein weiteres Highlight ist zudem wie jedes Jahr am 17. Mai anlässlich des Internationalen Tages gegen Homophobie, Biphobie und Transphobie (Idaho Day) eine Veranstaltung im Schlosstheater Schönbrunn. Verfemt, verfolgt, vergessen? stellt unbekannte Werke der Schönberg-Schülerin Vilma von Webenau vor.

Unterstützung bekommt er bei Projekten wie dem Primavera Festival von einem, der einst selbst als Kind mit seinen Eltern im Zug des Jugoslawien-Kriegs als Flüchtling nach Österreich kam: dem Anwalt Slaviša Žeželj, dessen Kanzlei Slavijus nicht nur Vereinsadresse von Castillos Kulturprojekten ist, sondern diesen auch organisatorisch und finanziell massiv unter die Arme greift.

Hier laufen die Themen Flucht und Exil –
aber eben auch Künstler und vor allem Musikschaffende im
Exil – zusammen.

Mexiko, Österreich, Migration, aber auch Flucht, Exil: Das sind Themen, die León de Castillo seit seiner Jugend begleiten. Die Eltern hatten einander in Wien kennengelernt, dann gingen sie jedoch vor der Geburt der beiden Söhne für einige Jahre nach Mexiko, wo der österreichische Vater – er ist Geologe und Kartograf – sowohl an einer Universität forschte als auch als Kartograf für das Archäologieministerium tätig war. León wurde 1985 in Merida in Yucatan geboren und debütierte dort auch als Fünfjähriger in einem Kinderchor. Doch als es an die Einschulung ging, entschieden die Eltern, nach Österreich zurückzukehren. León und sein Bruder sollten im hiesigen Bildungssystem groß werden.

Die Hinwendung zur Musik ist dem Vater und Großvater geschuldet. Beide waren bei den Wiener Sängerknaben. Doch die Mutter war dagegen, ihren Sohn in ein Internat zu schicken. So suchte sie nach Alternativen und stieß auf die Mozartsängerknaben. Die Kinder dieses Chores gingen in die verschiedensten Schulen und trafen einander nachmittags zu Proben. Anders als bei den Wiener Sängerknaben bedeutete der Stimmbruch nicht das Aus: Castillo sang bis zum Alter von 20 Jahren in dem Chor, mit dem er auch international auftrat – von Japan bis Chile.

Flucht und Exil. Mit der NS-Zeit, aber auch dem Exil von Jüdinnen und Juden in Mexiko begann sich Castillo bereits in der Schulzeit auseinanderzusetzen. Die Faszination für das Jüdische ist seiner Taufpatin geschuldet – einer NS-Überlebenden mit tragischer Geschichte. Via Glück war die Tochter des Filmproduzenten Oskar Glück. Er und seine Frau waren vor den Nazis in die USA geflohen. Das auf der Flucht noch in Europa geborene Baby ließen sie allerdings bei einer Familie in Paris zurück. Als sie die Tochter nach Kriegsende holten, glaubte diese, Französin und Katholikin zu sein. So begann sich Castillo auch schon sehr früh mit der deutschsprachigen Exilgemeinde in Mexiko auseinanderzusetzen.

Heute sei die Menschenrechtssituation in Mexiko „furchtbar“. Doch damals habe das Land seine Türen für Geflüchtete geöffnet. Der Komponist Hanns Eisler habe beispielsweise in Mexiko Asyl erhalten, aber auch sein Kollege Marcel Rubin oder Egon Neumann. Letzter komponierte Wiener Lieder, Operetten, Revuenummern, ist aber heute unbekannt. Er verübte 1948 im Exil Selbstmord. Anna Seghers gründete in Mexiko-City den Heinrich-Heine-Klub. Sie war wie so viele andere Emigranten auch mit Hilfe des mexikanischen Konsuls in Marseille, Gilberto Bosques, nach Mittelamerika gelangt.

Hier laufen die Themen Flucht und Exil – aber eben auch Künstler und vor allem Musikschaffende im Exil – zusammen. Wie sich erst kürzlich herausstellte, gibt es hier auch Parallelen zur eigenen Familiengeschichte Castillos. Irgendetwas sei in seiner mexikanischen Familie immer seltsam gewesen: etwa dass die Familie samstags und nicht sonntags zusammengekommen sei. Oder dass die Frauen stets das Sagen gehabt hätten. Seine Großmutter, inzwischen verstorben, werde bis heute in der Gegend rund um die Hacienda der Familie, etwa 50 Kilometer von Merida entfernt, für ihre Wohltätigkeit verehrt. Sie habe vielen armen Familien geholfen, Kindern und Jugendlichen Bildung ermöglicht, aber auch Kirchen bauen lassen. Dennoch sei die Familie, in Mexiko unüblich, nie wirklich tiefkatholisch gewesen. Als sich León de Castillo nun auf Spurensuche in Sachen Familiengeschichte machte, stieß er in dem Dorf, in dem sich die Hacienda befindet, auf eine an die 90-jährige Frau, die bereits erblindet sei. „Haben Sie die Familie Castillo gekannt?“, habe er sie gefragt. „Ah, los sefarditos“, habe sie geantwortet. Los sefarditos – Sefarden also, wohl einst aus Spanien hierher geflüchtet. Es stellte sich heraus, dass sowohl die Mutter als auch ihre Schwestern (also die Frauen der Familie) über den sefardischen Background der Familie Bescheid wussten, doch wenn man sie näher befragt, geben sie sich schweigsam. León de Castillo erklärt sich das mit der Geschichte des Antisemitismus, der Verfolgung von Juden, der prononciert christlichen Gesellschaft. So fischt er hinsichtlich der eigenen Familiengeschichte derzeit noch im Trüben, will aber nicht locker lassen. Für Konzerte oder Projekte hält er sich immer wieder in Mexiko auf. Es wird also Gelegenheit für weitere diesbezügliche Recherchen geben.
primaverafestival.at

 

 

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here