Bis zum Himalaya

Michel Kretzer musste zahlreiche Berufe in mehreren Ländern testen, bis er seinen Platz gefunden hat: als Yogalehrer mit meditativem Charakter.

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©Reinhard Engel

Heute liebt er seine Arbeit, und er strahlt das auch aus. Der durchtrainierte schlanke Mann sucht fröhlich Augenkontakt, seine Aufmerksamkeit und Körperspannung lassen auch während eines längeren Gesprächs nie nach. Doch waren weite Reisen notwendig, bis Michel Kretzer in seinem Berufsleben seinen Platz finden konnte, Reisen an fremde Meere und auf hohe Berge.
Schon als Gymnasiast hatte der 1964 in Wien Geborene im Sommer als Lifeguard im italienischen Trentino gejobbt, am Strand des malerischen Alpensees Lago di Lavarone. Nach dem Bundesheer führte er für die American European Students Union junge US-Touristen quer durch Europa. Dann inskribierte er an der Uni Wien Biologie und Ökologie, aber nach sechs Semestern ließ sich das Fernweh nicht mehr länger unterdrücken.
Lauda Air verpflichtete ihn als Flugbegleiter, und zwar auf der Langstrecke. „Ich bin etwa nach Malé auf die Malediven und nach Colombo auf Sri Lanka geflogen, mit einer Woche Aufenthalt vor dem Rückflug. Das war für einen jungen Menschen schon toll.“ Auf ein Jahr Arbeit als Steward folgten dann eineinhalb Jahre als Tour Operator, also Reiseleiter, für Lauda Tours. Diesmal betreute er österreichische Urlauber auf Ferieninseln wie Mykonos oder Ibiza – und wieder auf den Malediven. „Da empfängt man die Leute und sagt ihnen, wo es eventuell Gefahren gibt und worauf sie aufpassen sollen, vom Tauchen bis zur Müllvermeidung.“
Nach seiner Rückkehr führte er in Wien kurzzeitig einen Pizzaversand, „aber die Gastronomie, hat sich herausgestellt, war nicht so meines“, erzählt er im Rückblick. Dann ergab sich ein Glücksfall. Seine Beraterin im AMS, er war inzwischen arbeitslos gemeldet

Michel Kretzer traf im Norden Indiesn einen Wandermönch, einen ehemaligen Techniker der indischen Luftwaffe, der ausgestiegen war und ihn in seine Hütte in den Bergen einlud.

und auf der Suche nach einer beruflichen Ausbildung, erlaubte ihm, das Arbeitslosengeld auch im Ausland zu beziehen. „Ich bin dieser Frau noch heute dankbar, aber man hat mir ihre Kontaktdaten nicht gegeben, damit ich mich hätte persönlich bedanken können.“
Kretzer belegte in Südindien einen Kurs im Ashram von Swami Gitananda Giri, wurde dort zum Yogalehrer ausgebildet – und sollte damit seinen Platz im Berufsleben finden. „Ich habe dann gleich in Wien zu arbeiten begonnen, aber diese Art von Yoga, die ich dort gelernt hatte, hat mir nicht ganz gelegen. Es war zu religiös, und ich bin weder ein Hindu, noch wollte ich einer sein.“

Versteckt im französischen Zentralmassiv. Kretzer kommt auch aus einer ganz anderen familiären Welt. Er ist zwar getauft – und hat dann die katholische Kirche später verlassen –, doch seine Mutter ist Jüdin. Die Großeltern mütterlicherseits, Edith Heimann und Max Wallner, waren mit ihr als Baby vor den Nazis über die Schweiz nach Frankreich geflohen. „Sie haben dort auch die deutsche Besetzung überlebt, in einem kleinen Ort im Zentralmassiv, versteckt von einem katholischen Franzosen. Alle dort haben es gewusst, aber niemand hat sie verraten.“ Im ehrenden Angedenken an diesen Lebensretter bekam Michel auch noch den weiteren Vornamen Lucien.
Mit der jüdischen Religion und Kultur hatte er als Sohn eines österreichischen Katholiken und Leiters der Wirtschaftsabteilung der Bundesforste nicht viel Kontakt. Nur bei der Oma bekam er mit, dass diese fastete und in den Tempel ging, zumindest zu den hohen Feiertagen.

»Ich habe mich da sehr verändert.
Früher einmal wollte ich meinen Job schnell machen und mich dann meiner Freizeit widmen.
Inzwischen ist das ganz anders.«

Michel Kretzer

Seine Arbeit als Yogalehrer in Fitness-studios wie John Harris und Stars Fitness machte ihm Freude, und auch in der Ordination einer Wiener Hautärztin wurde er als Therapeut angestellt. Doch er wollte mehr wissen über die höheren Formen des Yoga und reiste abermals nach Indien, diesmal in den Norden. Dort traf er einen Wandermönch, einen ehemaligen Techniker der indischen Luftwaffe, der ausgestiegen war und ihn in seine Hütte in den Bergen einlud. Er ging mit, ließ sich einige Wochen von ihm in die Meditation einführen. „Das hat mich tief berührt“, erzählt er. Es ging darum, in Stille in sich hineinzuhören, Energie in einer anderen Form zu erleben, loszulassen.
Trotz dieses Ruhens in sich selbst blieb er weiterhin aktiv in mehrere Richtungen. So ließ er sich zum professionellen Sprecher beim ORF ausbilden und las fünf Jahre lang Nachrichten auf Ö1. Er trug beim Wifi vor, etwa Yoga und Ayurveda für Fitnesstrainer und Gesundheitsberater.
Heute geht er es wohl etwas ruhiger an, er ist mit einer Psychologin am Wiener Krankenanstaltenverbund KAV verheiratet, sie haben eine zehnjährige Tochter. Aber beruflich steht er dennoch weiterhin auf mehreren Beinen. Er unterstützt die Ärztin, bei der er einst angestellt war, als selbstständiger Energetiker. Er gibt in einem Wiener Fitness-Center der Stars-Fitness-Gruppe Yoga-Kurse. Und er bietet solche auch einzelnen Gruppen oder Kunden selbstständig an, mietet dafür etwa speziell Räume.
„Ich halte das eher klein, eine Gruppe sollte nicht größer als 15 sein, dann kann man sich noch mit jedem und jeder individuell auseinandersetzen. Im Fitness-Center geht das manchmal nicht, da kann man niemanden wegschicken.“ Während des Höhepunkts der Corona-Krise im Frühjahr war er zwei Monate ohne Arbeit, aber mittlerweile sind seine Kurse wieder angelaufen. „Man muss halt zwei Meter Abstand halten, die Fenster offen haben, und bei manchen Atemübungen drehe ich die Leute bewusst voneinander weg.“
Gefragt, ob diese Arbeit für ihn nur ein Job oder Berufung ist, antwortet er: „Ich habe mich da sehr verändert. Früher einmal wollte ich meinen Job schnell machen und mich dann meiner Freizeit widmen. Inzwischen ist das ganz anders. Ich habe mir überlegt: Jetzt bin ich schon einmal da, dann kann ich es gleich ordentlich machen. Und es ergibt nur Sinn, wenn man seine Arbeit ordentlich macht. Sonst ist es eine Zeitverschwendung.“

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