Bitte keine Marihuana-Witze!

In Israel entsteht gerade ein staatlich gefördetes Eco-System für die Regulierung und Standarisierung von Cannabioniden.

2724
Yuval Landschaft, Direktor der Israeli Medical Cannabis Agency. © Gisela Dachs

Ein neuer Laden in der Dizengoffstraße heißt „Cannabis Museum Shop“. Dass es so etwas bereits woanders – nämlich in Holland – gibt, darauf wird mit kleinen hebräischen Buchstaben hingewiesen. Die Regale sind voller Öle, Salben und schlanker Glasgefäße. „Alles, was ihr in Amsterdam gesucht habt, gibt es jetzt auch hier in Tel Aviv“, steht auf der Facebook-Seite des internationalen Betreibers City Seed Bank. Es ist kein Geheimnis, dass viele Israelis gerne kiffen. Das Zeug dazu lässt sich unproblematisch an allen möglichen Kiosken erwerben. Neu aber ist diese quasi offizielle Niederlassung. Sie passt zum Zeitgeist, auch wenn der Konsum von Hanfblüten zum Vergnügen weiterhin verboten ist.
Für die Legalisierung von Cannabis machen sich schon lange verschiedene Gruppierungen stark. Die Grüne-Blatt-Partei gibt es seit 1999, mit einer festen Stammwählerschaft, auch wenn sie es bisher nicht in die Knesset geschafft hat. Bei der jüngsten Wahl war sie nicht angetreten. Dafür machte in Tel Aviv ausgerechnet Moshe Feiglin mit seiner stramm rechten Identitätspartei von sich reden, weil er sich das Thema mit auf die Fahnen geschrieben hatte.
Genau darum aber geht es all den neuen professionellen Züchtern im Land aber nicht. Sie wollen Cannabis allein zu medizinischen Zwecken herstellen und exportieren. Marihuana-Witze sind in dieser aufsteigenden Branche tabu. Ihre Produkte heißen auch nicht „Weißer Traum“, sondern haben neutrale, seriöse Bezeichnungen. Noch wird gestritten, ob der Hype gerechtfertigt ist, aber wer Rang und Namen hat, interessiert sich längst dafür.
Zu den prominentesten Figuren gehört der ehemalige Premierminister Ehud Barak, heute Vorsitzender von Canndoc/Intercure. In seiner Eröffnungsrede auf der 4. CannaTech-Konferenz Anfang April lobte er Israel als das „Land von Milch, Honig und Cannabis“. Barak schätzte den Markt weltweit auf 17 Milliarden Dollar, mit riesigem Entwicklungspotenzial. In nicht allzu langer Zukunft, prophezeite er, werde einer von drei Menschen auf dem Planeten irgendeine Art von Cannabinoiden einnehmen.

In Israel wurde bereits 2016 eine Gesetzesreform verabschiedet, die Cannabis für den medizinischen
Gebrauch legalisiert.

In Israel wurde bereits 2016 eine Gesetzesreform verabschiedet, die Cannabis für den medizinischen Gebrauch legalisiert. Nun ist es gerade in Kraft getreten. Ärzte sollen fortan auf unbürokratische Weise Rezepte ausstellen dürfen, für bedürftige Patienten ist das ein Segen. 35.000 Israelis verfügen über eine staatliche Cannabis-Erlaubnis, doch die Wege zum Medikament waren oft hürdenreich. Noch fehlt es an ausreichenden wissenschaftlichen Studien, sagen die Experten, aber der Stoff hat sich bei der Behandlung von Krebs, posttraumatischen Belastungsstörungen, Autismus, Alzheimer und Epilepsie bewährt.

Gesundheitsminister Rabbiner Litzmann überzeugt. Hier wird nun mit staatlicher Unterstützung weitergeforscht. Um sicherzustellen, dass nur hochqualitative Pflanzenextrakte konsumiert werden, soll die Herstellung stärker kontrolliert werden. Yuval Landschaft, Direktor der Israeli Medical Cannabis Agency, nennt es ein „staatlich geförderten Eco-System für Regulierung und Standardisierung von Cannabioniden“. Auch er mag keine Marihuana-Witze. Dafür erzählt er lieber, wie er den Gesundheitsminister, Rabbiner Yaakov Litzmann, von der Notwendigkeit der Reform überzeugt hat. „Wir haben ihm versprochen, eine Thora für Cannabis zu schreiben.“ Das hat ihn überzeugt.
Die Voraussetzungen für die Produktion solcher Medikamente sind ideal in Israel: Es gibt ein warmes Klima, eine seit Jahrzehnten hoch entwickelte Landwirtschaft und die stete Bereitschaft zur Innovation. In Revadim bei Rehovot entstand so eine der größten legalen Cannabis-Farmen der Welt. Hier betreibt BOL Pharma ein riesiges Gewächshaus. Schwer bewaffnete Sicherheitsleute bewachen den Eingang. Hinein darf man nur mit gewaschenen Händen und einem Schutzanzug. Schleusen entfernen die Keime von den Schuhen. Dann sieht man Blumentöpfe soweit das Auge reicht, mit grünen Pflänzchen in allen Längen und Größen. Die Forscher erklären und zeigen anschließend, wie die Cannabis-Blüten nach der Ernte in einer Lagerhalle getrocknet, verpackt und in einen stählernen Safe verfrachtet werden.
Natürlich ist Israel nicht der einzige Staat, in dem Cannabis unter offizieller Aufsicht blüht, aber die neuen Start-ups spielen eine wichtige Rolle in allen wichtigen Forschungsfeldern, sei es die Pharma-, Bio- oder Agrartechnologie. So wurde gerade ein Robotersystem für die autonome Pflanzenzucht entwickelt, das ohne menschliche Berührung auskommt. Hochfliegende Pläne gibt es genug: Man will in Zukunft EU-Länder mit Cannabis-Produkten versorgen und die Ärzte dort fachgerecht schulen. Der alte Kontinent steckt in dieser Hinsicht zwar noch in den Kinderschuhen, aber die Nachfrage ist riesengroß. Israel sei das das einzige Land, das sich der Kluft bewusst sei zwischen aktuellem Gebrauch und der richtigen Verschreibung und Anwendung von Cannabis, sagt Hinanit Koltai, Professorin am Volcani-Forschungszentrum.

Man will in Zukunft EU-Länder mit
Cannabis-Produkten versorgen und die Ärzte
dort fachgerecht schulen.

Dass die Cannabis-Industrie gerade so aufblüht, hat sie Raphael Mechoulam zu verdanken. Der fast 90-jährige Professor forscht bis heute in seinem Labor an der Hebräischen Universität Jerusalem.1964 hatte er als Chemiker am Weizmann-Institut nach einem Forschungsthema gesucht, das ihm international einen Namen verschaffen konnte und das zwei Kriterien erfüllte: Es durfte nicht viel kosten und sollte soziale Relevanz haben. Mechoulam entschied sich für die wissenschaftliche Untersuchung der Cannabis-Pflanze. Er extrahierte daraus das Tetrahydrocannabinol, den psychoaktiven Wirkstoff der Hanfpflanze. Seither erschienen hunderte von Publikationen unter seinem Namen und Dutzende von Patenten. Ihm und seinen Nachfolgern in Forschung und Industrie geht es um die Herstellung verlässlicher Medikamente. Dazu braucht es Expertise. Denn die Hanfpflanze beherbergt gut 400 Stoffe, deren Verhältnis mehr oder weniger von der Laune der Natur bestimmt wird.
Sollte an dem Hype etwas dran sein, könnte dies das Leben vieler Patienten verändern, auch weit über Israel hinaus. In den Cannabis-Museumsshops werden sie dann allerdings nicht geschickt werden. Weder in Amsterdam noch in Tel Aviv.

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here