Der israelische Kurator und Museumsdirektor Joshua Simon über den Kunstbetrieb in Kriegs- und Krisenzeiten. Interview: Thomas Edlinger
wina: Fühlen Sie sich in Israel bedroht? Wenn ja, von wem oder wovon?
Joshua Simon: Ich glaube, der Kapitalismus ist überall auf der Welt die größte Bedrohung des Lebens. Daher betrifft sie mich auf allen Ebenen in einem kapitalistischen Staat wie Israel. Die Kriegsökonomie, die Verschlechterung des Gesundheits- und des Bildungssystems und der Kultureinrichtungen, die Krise der Demokratie und das Auftauchen eines unverhohlenen Rassismus – all das rührt von der kapitalistischen Bedrohung her.
Man hört in Israel oft, das Tel Aviv eine Blase ist. Könnte man die zeitgenössische Kunst als Blase innerhalb dieser Blase bezeichnen?
❙ Ich sehe das umgekehrt. In gewisser Weise lebt der Rest des Landes außerhalb von Tel Aviv in einer Blase. Diese Blase besteht aus staatlich geförderten Siedlungen und aus Menschen, die nach dem Outsourcing der traditionellen Industrien in den 90er-Jahren auf steuerbegünstigten, militärisch gesicherten Grundstücken leben. Im Verhältnis zur sozioökonomischen Realität des Landes sehe ich die Kunstszene weder als Blase noch als bloße Reflexion dieser Blase. Ähnlich wie in anderen Weltgegenden ist die Kunstszene zum Modell der politischen Ökonomie geworden. Die Logik der Kunstwelt besteht in prekärer Arbeit von überqualifizierten Menschen. Sie hat sich in den letzten 20 Jahren in andere gesellschaftliche Bereiche und Industriezweige ausgedehnt.