
Der Wiener Paul Weis wurde von den Nationalsozialisten verfolgt, deshalb widmete er sein Leben dem Schutz geflüchteter Menschen. Er prägte das internationale Asylrecht – dennoch findet sich sein Gesicht in keinem österreichischen Schulbuch“, moniert Schauspielerin Katharina Stemberger, Initiatorin und Vorsitzende von Courage – Mut zur Menschlichkeit. Courage ist eine breite, zivilgesellschaftliche Initiative*, die sich für legale und sichere Fluchtwege von Geflüchteten einsetzt, und nahm ihren Anfang in den griechischen Flüchtlingslagern.
„Wir leben in einer sehr aufgeheizten Stimmung, weil die Menschenrechte heute wieder massiv unter Druck stehen, doch sie haben noch immer viele mutige Beschützer“, lächelt Stemberger bei der Gala in der Jugendstilhalle der ehemaligen Postsparkasse, wo zum zweiten Mal der Paul-Weis-Preis für Verdienste um die Menschenrechte vergeben wurden. Die Verleihung fand in Kooperation mit der Universität für angewandte Kunst Wien statt, rund 200 Gäste würdigten hier die internationalen Preisträgerinnen und Preisträger. Für die literarische Begleitung sorgte Schauspieler und Courage-Mitglied Cornelius Obonya.
Der Historiker und Autor Doron Rabinovici würdigte das Leben und Wirken von Paul Weis und ließ dabei bewusst wichtige Fragen offen: „Würde, so frage ich mich anhand aktueller Politik und Hetze, dem Dachauer Häftling Paul Weis heute die Einreise nach England gewährt werden? Könnte er auf Asyl hoffen? Würde er nicht abgewiesen werden, solange der Massenmord nicht eindeutig bewiesen wäre?“ Der Namensgeber ist heute vielen überhaupt nicht bekannt, obwohl uns sein Betätigungsfeld fast täglich beschäftigt: Für die UNHCR (Flüchtlingshilfe der UNO) gilt Weis als „Gründungsvater des Schutzes“.
Geboren wurde Paul Weis 1907 als Sohn einer jüdischen Unternehmerfamilie im zehnten Bezirk in Wien. Er studierte u. a. bei Hans Kelsen, einem der bedeutendsten Rechtswissenschaftler des 20. Jahrhunderts, und promovierte mit nur 23 Jahren in internationalem Recht.
„Die Rettung von Menschen ist ein wichtiger Schritt in diese
Richtung – weil es ein Ende des Wegschauens bedeutet.“
Katharina Stemberger
Nach dem Tod seines Vaters übernahm er 1934 dessen Betrieb zur Erzeugung von Spirituosen, Essig und Fruchtsäften – aber dieses gutbürgerliche Leben währte nicht lange. Als die Nationalsozialisten 1938 an die Macht kamen, wurde Weis gemeinsam mit seiner Familie ins Konzentrationslager Dachau deportiert. Im April 1939 gelang ihm mit Ausreisepapieren die Flucht nach England, wo er als Enemy Alien („feindlicher Ausländer“) fast ein Jahr interniert war. Seine beiden älteren Schwestern Ella und Frieda schafften es nicht mehr: Sie wurden 1942 aus der Sammelwohnung im ersten Bezirk, Salzgries 12, abgeholt und im polnischen Sobibor ermordet. Die Mutter konnte nicht mehr ausreisen, sie starb 1943 im jüdischen Altenheim Seegasse am Alsergrund.
Verfolgt, vertrieben, grundlos der eigenen Rechte beraubt und machtlos im Angesicht der grausamen Morde an seiner Familie, prägten diese traumatischen Erfahrungen Paul Weis’ Leben und Denken. Andere vor diesem Schicksal zu bewahren, setzte er sich zu seinem vordringlichsten Ziel, und so widmete er sein Leben dem Schutz geflüchteter Menschen. Als Rechtsvertreter trat er in England dem Jüdischen Weltkongress bei und war in der Folge an der Rückforderung jüdischen Eigentums in Europa beteiligt. Seine zweite Dissertation verfasste er an der renommierten London School of Economics, zum Thema „Staatsangehörigkeit und Staatenlosigkeit im gegenwärtigen Völkerrecht“, welche im Jahr 1956 veröffentlicht wurde und bis heute als Standardwerk gilt.

Bereits vier Jahre nach Kriegsende wurde Paul Weis erster Schutzdirektor der Internationalen Flüchtlingsorganisation. Er stieg zum stellvertretenden Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen auf und leitete die Rechtsabteilung. Maßgeblich war er daran beteiligt, jenes Dokument zu verfassen, das erstmals den Schutz geflüchteter Menschen sicherte – und bis heute gültig ist: Die Genfer Flüchtlingskonvention. So lieferte Paul Weis grundlegende Beiträge zum Asyl- und Flüchtlingsrecht. Erstmals wurde eine allgemein anerkannte Definition geflüchteter Menschen geschaffen, sowie ein Schutzsystem zur Wahrung der Rechte von Flüchtenden festgelegt. Deshalb wurde Paul Weis als „Gründervater des Schutzes“ bekannt.
Wider eine Welt des Wegschauens. Bis ins hohe Alter widmete sich Paul Weis in mehreren Funktionen dem Schutz von Menschen, die aus ihrem Heimatland fliehen mussten. Er starb am 6. Februar 1991 in Genf, jener Stadt, in der er den Großteil seines Lebenswerks verrichtete und wo er auch begraben ist. Postum wurde ihm der Nansen-Flüchtlingspreis des UNHCR verliehen.** Daher fragte Doron Rabinovici auch in seiner Würdigung: „Wer hätte denn auch berufener sein können für diese Arbeit als Paul Weis? Er, der promovierte Jurist, Schüler von Hans Kelsen, hatte am eigenen Leib verspürt, was es hieß, von einem Tag zum anderen ein Aussätziger geworden zu sein. Er wusste, wie schnell ein Flüchtling dem Schreckbild zu ähneln beginnt, das seine Feinde von ihm malen.“
Mit Hilfe von Hannah M. Lessing, Vorstand des Nationalfonds der Republik Österreich für die Opfer des Nationalsozialismus, konnten Doron Rabinovici und Courage das Schicksal von Paul Weis ausführlich recherchieren und so sein Leben und Wirken der Öffentlichkeit wieder sichtbar machen. „Es ist unsere Pflicht, an diesen großen Österreicher zu erinnern und sein Vermächtnis weiterzuführen. Denn obwohl Weis mit anderen gemeinsam ein wichtiges Regelwerk geschaffen hat, gibt es heute viele, die diese Rechtslage aushöhlen möchten“, zeigt sich Katharina Stemberger besorgt. Die vielbeschäftige Künstlerin nimmt sich seit vielen Jahren die Zeit, um unentgeltlich für zivilgesellschaftliche Initiativen, wie Mahnwachen, Benefizkonzerte und vieles mehr als Moderatorin und Mitarbeiterin zur Verfügung zu stehen. Um Courage – Mut zur Menschlichkeit und die Verleihung des Paul-Weis-Preises zu ermöglichen, kümmert sie sich um das erforderliche Sponsoring persönlich: Dabei erlebt sie nicht nur das oft schäbige Verhalten von offiziellen Stellen, sondern erfährt auch unschöne Momente von vermögenden Privatpersonen – weil es ihrer Initiative vor allem um die geordnete Rettung von Flüchtlingen geht. „Ich gebe nicht auf, nur meine Briefe auf der Post“, so Stemberger, die gerne „die Verlogenheit sichtbar machen würde“, couragiert.
Vergeben wird der Paul-Weis-Preis in drei Kategorien: „Einsatz in Österreich“, „Internationales Engagement“ und „Journalismus“. Das Auswahlkomitee 2024 bestand aus Irmgard Griss (ehem. Präsidentin des Obersten Gerichtshofs), Christian Konrad (ehem. Generalanwalt des Raiffeisenverbandes), Cathrin Kahlweit (Publizistin) und Manfred Nowak (Generalsekretär des Global Campus for Human Rights).
Bei der Gala 2024 erhielt Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination Österreich als ruhige, faktenbasierte Stimme der österreichischen Asylpolitik und für seine unermüdliche Aufklärungsarbeit in sozialen Medien die Anerkennung „Einsatz in Österreich“. Der Preis in der Kategorie „Internationales Engagement“ ging an das Hungarian Helsinki Committee, vertreten durch András Léderer und Anikó Bakonyi. Die ungarische NGO setzt sich seit 1989 für Rechtsstaatlichkeit und den Schutz der Menschenwürde ein – gegen heftigen politischen Gegenwind: Trotz erschwerter Bedingungen durch die Regierung Orbán kämpfen die 37 Expertinnen und Experten unbeirrt weiter und leisten hochprofessionelle Arbeit für die Rechte von Geflüchteten, Minderheiten, Strafgefangenen und Opfer von Polizeigewalt.
Im Bereich „Journalismus“ wurde Mihail Sirkeli ausgezeichnet: Der moldauische Journalist und OSZE-Wahlbeobachter lebt im gagausischen Comrat, hat als investigativer Journalist über die Jahre immer wieder Korruption aufgedeckt und wurde dafür regelmäßig bedroht. Daher wiederholt Katharina Stemberger: „Wir sind das Österreich der Menschlichkeit und des Zusammenhalts. Die Rettung von Menschen ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung – weil es ein Ende des Wegschauens bedeutet.“
* Zu den Initiatorinnen zählen u.a. Katharina Stemberger (Schaupielerin und Filmproduzentin), Judith Kohlenberger (Migrationsforscherin), Ferry Maier (ehem. Co-Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung) und Stefan A. Sengl (PR-Berater). Unterstützer der ersten Stunde sind u. a. Christian Konrad (ehem. Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung), Daniel Landau (Bildungsexperte), Doron Rabinovici (Schriftsteller), Julya Rabinowich (Schriftstellerin), Willi Resetarits (Sänger und Menschenrechtsaktivist) sowie zahlreiche Schauspieler:innen, darunter Klaus Maria Brandauer, Hilde Dalik, Cornelius Obonya, Michael Ostrowski und Susi Stach. Kooperationspartner der ersten Stunde sind die Diakonie Österreich, die Flüchtlingshilfe Doro Blancke und Hope4All auf Lesbos, die Allianz Menschen.Würde.Österreich, SOS Menschenwürde Oberösterreich, Ärzte ohne Grenzen Österreich, Respekt.net, der Republikanische Club, die Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen und die asylkoordination österreich.
** Der Nansen-Flüchtlingspreis (Nansen Refugee Award) des des UNHCR wurde 1954 geschaffen, um Einzelpersonen oder Organisationen zu ehren, die sich um die Hilfe für Flüchtlinge besonders verdient gemacht haben. Benannt ist der Preis nach dem norwegischen Polarforscher, Diplomaten und Friedensnobelpreisträger von 1922 Fridtjof Nansen (1861–1930). Seit 1979 ist der Preis mit 100.000 US-Dollar für ein Flüchtlingsprojekt dotiert, das die:der Preisträger:in frei wählen kann.