Boombranche Rüstung

Die Abraham-Abkommen haben der israelischen Waffenindustrie lukrative neue Märkte eröffnet. Aber auch Lieferungen nach Europa und Asien boomen

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Israel Aerospace Industries: Präsentation im Rahmen der International Defence Exhibition (IDEX) in Abu Dhabi, 2023. © RYAN LIM / AFP / picturedesk.com

60 Aussteller auf einer Messe. So viele israelische Firmen konnte man auf der jüngsten International Defense Expo in Abu Dhabi zählen. Das hieß in dürren Zahlen, dass nur die USA mehr Unternehmen vor Ort präsentierten, sogar die Chinesen lagen hinter den Israelis.

Das israelische Verteidigungsministerium beherbergte eine Reihe kleinere Firmen, die großen drei – Israel Aerospace Industries (IAI), Elbit und Rafael – hatten jeweils eigene Stände aufgebaut. Und Rafael, so wurde auf der Messe bekannt – hatte schon unmittelbar davor eine offizielle Repräsentanz in den Emiraten eröffnet. Das hat seine Gründe. Seit 2020 näherte sich Israel mehreren arabischen Ländern an, die so genannten Abraham-Abkommen waren die schriftliche Fixierung dieses diplomatischen Politikwechsels. Die Vereinigten Emirate, Bahrain und Marokko zählten zu dieser – wohl ersten – Gruppe neuer Partner in der Region, und sie waren auch schnell die ersten Kunden israelischer Rüstungsfirmen. Zu diesen Lieferungen gehörten etwa Spyder-Luftabwehrsysteme gegen Drohnenbedrohungen aus dem Iran und seinen Verbündeten im Jemen, den Huthis. Sie hatten bereits Ölförderanlagen am Golf erfolgreich attackiert.

Teil des Deals ist angeblich, dass Israel von den dort neu installierten Radaranlagen zeitgleich Daten überspielt bekommt, um für sich selbst die Vorwarnzeiten gegenüber iranischen Raketen zu verbessern. Rafael ist mit den Emiraten auch bereits in Gesprächen über die Lieferung der LaserDrohnen-Abwehr Iron Beam. Diese funktioniert bereits im Prototypenstadium, mit der industriellen Serienfertigung rechnet man in Israel in etwa zwei bis drei Jahren. Dann locken auch die Exportmärkte.

Der russische Überfall auf die Ukraine hat
nicht zuletzt deutlich gemacht, dass die klassischen Schlachtfelder noch
längst nicht ausgedient haben.

Diese boomen derzeit für die israelischen Produzenten. Allein in den arabischen Staaten hat Israel Verträge im Umfang von drei Milliarden Dollar abgeschlossen. 2021, im letzten Jahr, für das es Gesamtzahlen gibt, erfolgten Lieferungen von fast 800 Mio. dorthin. 2021 war insgesamt das bisher erfolgreichste Jahr der israelischen Rüstungsbranche, bilanziert wurden 10,4 Mrd. Dollar an Ausfuhren. Für 2022 gibt es noch keine Gesamtzahlen, aber diese dürften noch einmal kräftig gestiegen sein.

Wenn auch die arabischen Kunden den Kern dieses Booms bilden, so dominieren dennoch europäische Käufer mit 41 Prozent. (Die Ukraine gehört übrigens nicht dazu, das konsequente Wegschauen der Russen bei israelischen Luftangriffen in Syrien hat Israel bisher davon abgehalten.) Dahinter folgen asiatische Länder, unter ihnen traditionell Indien, aber auch China gehörte immer wieder zu den treuen Abnehmern. Dann wiederum taucht Thailand auf einer Liste auf, gefolgt von anonymen asiatischen Ländern. Nicht alle Einkäufer – wohl auch aus innenpolitischen oder religiösen Gründen – wollen als Geschäftspartner Israels aufscheinen.

Darüber hinaus gibt es immer wieder einmal rotes Licht aus Washington. Das war etwa bei einer geplanten Lieferung von Frühwarnflugzeugen à la AWACS für China der Fall. Dagegen legten sich die USA quer. Italien durfte diese Jets kaufen, sie überwachen jetzt für die NATO das Mittelmeer. Und auch Pläne für eine Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien wurden vorerst zurückgestellt, einerseits auf „Wunsch“ Washingtons, dessen Beziehungen zu Riad sich abgekühlt hatten, anderseits wollten die Saudis im eigenen Land in Lizenz produzieren, was Israel zurückschreckte. Selbst die mittlerweile befreundeten arabischen Kunden erhalten auch nicht alles, was sie wollen, Israel möchte sich immer noch einen entscheidenden Technologievorsprung sichern.

Was sind die lukrativen Exporte in der Rüstungsbranche? Die Flugabwehr wurde bereits angesprochen, darunter sind landund seegestützte Systeme, etwa für die indische Marine. Und hier handelt es sich bisher vor allem um solche im Einsatz gegen Drohnen und Raketen in näherer und mittlerer Entfernung. Verhandelt wird aber derzeit bereits mit Deutschland – als Vorreiter für eine ganze Reihe europäischer Länder – über ein weitreichenderes System, Arrow 3, gegen ballistische Raketen.

Die europäischen NATO-Länder würden sich damit erstmals gegen Bedrohungen von Russland, dem Iran – und künftig wohl auch Nordkorea – schützen können. Allein dieser Auftrag dürfte drei Milliarden Dollar umfassen und wäre damit die größte Einzelorder, die die Israelis je erhalten haben. Die zweite Gruppe von Waffen umfasst Drohnen jeglicher Art – von unbemannten Beobachtungsflugzeugen bis zu so genannten „loitering ammunitions“, über den militärischen Zielen kreisende kleine Drohnen, die sich dann auf Panzer oder Artilleriestellungen stürzen und diese und sich selbst zerstören.

Derartige Waffen waren im kurzen Krieg zwischen Aserbaidschan und dem von Russland unterstützten Armenien äußerst erfolgreich – Israel hatte die Aseris ausgestattet. Allein diese Geschäftsverbindung war über mehrere Jahre sehr intensiv. Zwischen 2016 und 2020 bedeuteten die israelischen Lieferungen nach Aserbaidschan fast 70 Prozent der gesamten Beschaffungsimporte des Landes, für die israelische Industrie machten sie in dieser Zeit immerhin 17 Prozent der Branchenausfuhren aus. Das berichtet die Fachpublikation Breaking Defense. Und auch hier gibt es wieder eine politische Tangente: Israel möchte die Grenze Aserbaidschans zum Iran nutzen, um Sensoren zu installieren, eventuell von dort aus Spezialeinheiten einsickern zu lassen. Aserische Flugfelder wiederum könnten für mögliche Luftangriffe oder auch für Rettungsoperationen danach dienen.

Am bekanntesten unter den hier subsumierten Produkten sind die international nachgefragten Drohnen Heron von IAI, aber auch Rafael und Elbit wurden in diesem Feld tätig. Und rundherum hat sich ein Biotop kleinerer und mittlerer Unternehmen etabliert, etwa 50 an der Zahl. „Aero Sentinel etwa, gegründet 2007, entwickelt Drohnen, die sich sowohl zum Sammeln militärisch relevanter Informationen wie auch für zivile Zwecke einsetzen lassen“, berichtete der Berliner Tagesspiegel im Vorjahr. „Andere Firmen wiederum liefern Technologien, die sich in die Drohnen integrieren lassen: Das 2016 gegründete Startup Edgybees etwa verkauft eine Software, die mittels Künstlicher Intelligenz Videoaufnahmen von Drohnen analysieren und beispielsweise Straßen, besondere Wegmarken oder potenzielle Bedrohungen hervorheben kann.“

Worauf sich die Branche momentan laut Insider-Berichten konzentriert, ist, leisere Drohnen mit der Kapazität deutlich größerer Waffenladungen zu entwickeln. Dabei steht etwa die Umstellung von Propellerauf Jettriebwerke im Vordergrund, überdies sollen die Fluggeräte die Möglichkeit zur Luftbetankung erhalten, was ihre Reichweite deutlich erhöhen würde. Mögliche Einsätze gegen die iranische Atom- und Raketenindustrie sind offensichtlich. Es gibt aber neben den spektakulären Waffen des Luftkriegs auch noch konventionellere, gut gehende Produkte. So hat etwa Rafael vor Jahren eine unbemannte Waffenstation entwickelt, die man auf dem Dach von Schützenpanzern oder gepanzerten Radfahrzeugen montieren kann. Fernbedient wird sie von unten im sicheren Fahrzeug, niemand ist für Feindfeuer direkt exponiert. Kundenländer umfassen etwa neben Aserbaidschan Kanada, die Türkei, Tschechien, Kolumbien oder das Vereinigte Königreich. Der russische Überfall auf die Ukraine hat nicht zuletzt deutlich gemacht, dass die klassischen Schlachtfelder noch längst nicht ausgedient haben. Und auch hier hat Israel techaffine Lösungen anzubieten, etwa den Schutz von Militärfahrzeugen gegen moderne Panzerabwehrraketen.


Embargo, Kreativität und Krisen Die israelische Waffenindustrie hat nicht immer Gewinne geschrieben. Sie war eine Notwendigkeit für das Überleben des Staates, und sie hat auch äußerst schwierige Zeiten erlebt.

Der Lavi war eigentlich fertig und hatte die ersten Flugstunden erfolgreich absolviert. Es handelte sich um einen modernen Kampfjet der vierten Generation, und Israel hatte ihn nach den eigenen Bedürfnissen entwickelt. Er sollte leicht und wartungsfreundlich sein, aber hohe Kampfkraft aufweisen. Doch selbst im Generalstab erkannte man, dass dieses Prestigeprojekt zu viel Geld des Verteidigungsbudgets binden würde. Und dann war da Washington, das die gefährliche Konkurrenz auf internationalen Waffenmärkten nicht dulden wollte. Also wurde das Projekt 1987 eingestellt, von den USA eine große Zahl von F16 beschafft. Die unmittelbare Folge waren Massenentlassungen in der israelischen Rüstungsindustrie.

Doch als eine Türe zuging, öffnete sich eine andere. Die USA kauften ab nun von Israel Hightech-Komponenten für ihre Flugzeuge zu. Aktuell sind das etwa bei der F35 ganze Flügel aus Verbundwerkstoffen oder intelligente Helmvisiere für die Piloten. Darüber hinaus wurde den Israelis erlaubt, tief in die elektronischen Betriebssysteme einzutauchen und eigene Programme aufzuspielen. Kein anderes Partnerland beim F35-Programm darf so weit gehen.

Die israelische Rüstungsindustrie hatte recht einfache Anfänge. Erste Gewehrfabriken gab es noch im Untergrund in den 1930er-Jahren unter britischer Besatzung. Dann beschaffte man für den Unabhängigkeitskrieg so schnell wie möglich Material aus dem Zweiten Weltkrieg, etwa aus der Tschechoslowakei. Später wurden die USA, England und Frankreich zu Schlüssellieferanten. Und Israel begann, eigene Waffen und Systeme zu bauen, etwa die Uzi-Maschinenpistole, den MerkavaKampfpanzer oder das Reshef-Schnellboot. Einen entscheidenden Schub bekam die israelische Rüstungsindustrie durch eine politische Entscheidung in Europa. Frankreich, dessen Mirage III das Rückgrat der israelischen Luftwaffe stellte, sprach nach dem Sechstagekrieg ein Waffenembargo gegen Israel aus. 50 bereits bezahlte und assemblierte Mirage V wurden nicht geliefert.

Nun galt es nicht nur, beim Service der bestehenden Ausrüstung zu improvisieren und fehlende Ersatzteile selbst zu fertigen, man wollte auch ein komplettes eigenes Kampfflugzeug entwickeln. Auf Basis gestohlener Mirage-Pläne baute IAI zuerst den Nesher nach und entwickelte dann den Kfir, einen Überschall-Deltaflügler mit US-Triebwerk. Ab 1975 wurde er in der israelischen Luftwaffe eingesetzt. Die erhofften Exporterfolge hielten sich allerdings in Grenzen. Lediglich Kolumbien, Ecuador und Sri Lanka kauften den Jet.

Die Technologien, die im Flugzeugbau gelernt worden waren, bildeten dann freilich die Basis für die heutigen Erfolge mit Raketen- und Drohnenexporten. Einen entscheidenden Schritt sollte dann noch die Entwicklung des Raketenabwehrsystems Iron Dome darstellen, das heute einen Großteil der Geschosse aus Gaza abwehren kann und mit israelischem Engineering sowie mit US-Finanzierung entstanden ist.

 

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