Die braunen Autodiebe

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Inventarnummer 1938 heißt die kleine Dauerausstellung des Technischen Museums Wien, die dem Thema Provenienzforschung gewidmet ist. Denn die Nazis haben Juden nicht nur Gemälde und Möbel gestohlen, sondern auch technische Alltagsgegenstände.

Text und Fotos: Reinhard Engel   

Es wurlt nur so an diesem Vormittag im Technischen Museum. Gleich mehrere Schulklassen toben im Foyer, bevor sie dann durchs Haus geführt werden – zu den Lokomotiven, ins Schaubergwerk oder hinauf unters Dach zu modernen ferngesteuerten Hubschrauberdrohnen. Manche Kids lernen im Museum dann noch anderes als bloß technisch Funktionales: in einer kleinen Spezialschau voller beigefarbener Sperrholz-Schachteln und herabhängender fahler Leinenbahnen.

„Damals hat man geglaubt, in zwei Jahren wird das erledigt sein, und jetzt, 20 Jahre danach, sind wir noch längst nicht fertig.“ Christian Klösch

„Mit dem Auto können die meisten Kinder etwas anfangen“, erzählt Barbara Hafok, Pressechefin des Hauses. „Einen Klimt oder Schiele hat ja kaum jemand zu Hause. Aber dass man dem Vater über Nacht die Papiere und Schlüssel für den Familienwagen wegnimmt, das verstehen sie sofort.“ Es ist ein Fiat 522C, eine würdevolle Mittelklasselimousine Baujahr 1931, die die Sonderausstellung dominiert. Das dunkle Fahrzeug ist ebenso halb in eine große Kiste verpackt wie andere Ausstellungsstücke: Musikinstrumente, ein mächtiges eierschalenfarbenes medizinisches Gerät, eine Schreibmaschine oder ein automatisches Klavier. „Wir wollen damit zeigen, dass die meisten dieser Objekte lange in Depots verschollen waren, ehe man versucht hat, sie ihren einstigen Besitzern oder deren Erben zurückzuerstatten“, erklärt Christian Klösch, der Kurator von Inventarnummer 1938. „Von Wiedergutmachung kann man ohnehin nicht sprechen, der Schaden ist ja längst eingetreten.“

Die Ausstellung, die im November 2015 eröffnet wurde, geht auf das Kunstrückgabegesetz aus dem Jahr 1998 zurück. „Damals hat man geglaubt, in zwei Jahren wird das erledigt sein, und jetzt, 20 Jahre danach, sind wir noch längst nicht fertig“, erzählt der Historiker Klösch. Dabei zielte das Gesetz vorrangig auf gestohlene Kunstwerke ab. Dass in den österreichischen Museen auch andere geraubte Dinge zu finden sein würden, sollte sich erst später herausstellen.

In den ersten Jahren arbeitete man an der Provenienzforschung im Technischen Museum eher indirekt und auf Zuruf. „Man hat uns etwa bei Recherchen gefragt: Habt Ihr etwas von Rothschild oder von Bloch-Bauer? Aber wir hatten nichts.“ Erst etwa ab dem Jahr 2005 begann man im Haus systematisch alle Erwerbungen der Jahre 1933 bis 1938 zu untersuchen: Wer hat damals die Objekte ins Museum gebracht? Woher stammten sie ursprünglich? Und dann tauchten auch noch begründete Zweifel bei Ausstellungsobjekten auf, die deutlich später angeschafft worden waren.

Einige typische Beispiele

Der Fiat Torino gehörte einst der Wiener Familie Glückselig. Rosa und Moritz Glückselig hatten sich in ihrem Ottakringer Delikatessen- und Spezereiwarengeschäft einen kleinen Wohlstand erarbeitet. Der Wagen sollte der deutliche Ausdruck dessen sein, und mit ihm fuhren die beiden mit ihren zwei Söhnen gern in die Alpen, entweder ins Salzkammergut oder in Richtung Rax, Semmering und Schneeberg. Ihr Geschäft nannten sie übrigens „Zur Raxbahn“. 1939 musste die Familie fliehen, es verschlug sie nach Lateinamerika, und in Buenos Aires betrieben sie dann wieder ein ähnliches Geschäft, die „Fiambreria Austria“.

TechnischesMuseumMusikinstrIhr geliebtes Auto konnten sie freilich nicht mitnehmen ins Exil, das hatte die SA kassiert. Die SA wiederum gab manche der zahlreichen geraubten Fahrzeuge an andere NS-Organisationen weiter, etwa an die NSDAP oder an die Funktionäre der Hitlerjugend – oder sie machte Kassa damit. „Es gab etwa im Dorotheum Auktionen, bei denen man zu Spottpreisen Autos kaufen konnte, die zuvor Juden weggenommen worden waren“, so Kurator Klösch. Den Fiat der Glückseligs verkaufte die SA an die Bundesgärten Schönbrunn, von dort wurde er 1952 dem Technischen Museum Wien übergeben. Die Glückseligs sollten ihn nicht mehr zurückbekommen, sie starben in den 70er-Jahren in Argentinien. Doch einer ihrer Söhne wurde von der Israelitischen Kultusgemeinde ausfindig gemacht, und dem 86-Jährigen wurde erst das Auto restituiert, dann kaufte ihm das Museum das Automobil ab. Nun steht es rechtmäßig in seiner Sperrholzbox und mahnt jugendliche Besucher.

Nicht alle Objekte der Schau sind so spektakulär, aber auch sie erzählen dramatische Geschichten. Siegfried Gerstl etwa war ein jüdischer Ingenieur und Spezialist für landwirtschaftliche Maschinen. Er übergab dem Museum 1938 seine Bibliothek und 550 Dias von landwirtschaftlichen Geräten, weil er diese auf seiner geplanten Flucht nicht mitnehmen würde können. Gerstl sollte diese aber nicht mehr erleben, er starb in Wien im September 1938, seine Witwe wurde einige Jahre später deportiert und im KZ ermordet. Bisher fanden sich keine Verwandten, an die das Museum die Sammlung zurückgeben könnte.

Ein mächtiges „Salon-Radio“ der Marke Pollak-Rudin aus dem Jahr 1924 in der Ausstellung gehörte einst Regine Ehrenfest-Egger, einer Tochter des Unternehmers und Elektropioniers Béla Egger. Sie brachte das Radio im Jahr 1941 selbst ins Museum, schon zwei Jahre zuvor war es Juden verboten worden, Radios zu besitzen. Sie dürfte vermutlich Angst bekommen haben, entdeckt zu werden. Im Jahr 1944 wurde sie verhaftet und 1945 kurz vor Ende des Kriegs in Theresienstadt ermordet. Mit Hilfe der IKG konnte in Australien ein entfernter Verwandter ausgeforscht werden, von diesem erwarb dann das Museum das Radio.

Ein weiteres Auto des Technischen Museums ist in der Ausstellung nur als Mini-Modell in einer Glasvitrine zu betrachten. „Wir haben den Austro Daimler ADR 2002 von privat angekauft und wollten ihn für Werbezwecke verwenden, also für das Museum damit herumfahren“, erzählt die PR-Leiterin Hafog. Daraus sollte nichts werden, denn auch dieses Fahrzeug war einst von der SA geraubt worden, allerdings ließ sich bisher trotz intensivster Recherche nicht feststellen von wem. Kurator Klösch: „Es gab von diesem Typ, einer teuren Limousine, damals in Wien 180 Stück, davon 60 mit jüdischen Eigentümern. Wir haben uns alle angeschaut, aber wir konnten den Wagen nicht zuordnen. Wir würden ihn gerne restituieren und dann zurückkaufen.“ Das Auto wäre heute – wie andere gut erhaltene Oldtimer aus dieser Zeit – recht wertvoll, in der Größenordnung von 200.000 Euro.

Das Museum hat übrigens gemeinsam mit seinem Münchner Pendant eine Datenbank für geraubte Automobile erarbeitet und ins Netz gestellt, die zahlreiche Besucher anzieht. Oft finden Enkel das einstige Auto des Opas, aber wohin es gekommen ist, bleibt weiter unklar. Zumindest für künftige Oldtimer-Verkäufe wird es aber damit schwieriger, Fahrzeuge mit dubiosem Hintergrund weiter zu veräußern.

Die Ausstellung zu Provenienzforschung fällt im Technischen Museum mit einer mehrjährigen Generalinventur zusammen. Von insgesamt etwa 160.000 Objekten wurden bisher 80.000 erfasst und genau dokumentiert. 16 Restitutionsfälle mit mehreren Hundert Objekten sind daraus hervorgegangen, acht wurden bereits erledigt, nach und nach wird versucht, die übrigen abzuschließen. „Hier sind etwa einige Musikinstrumente, von denen ich hoffe, dass wir sie noch dieses Jahr restituieren können“, zeigt der Kurator Klösch auf eine Vitrine. „Vieles wird man noch lösen können, aber manches wird für immer ein Rätsel bleiben.“

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