Die Brückenbauerin

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Claudia Prutscher fand nach dem Tod ihrer Mutter zu einem aktiven jüdischen Leben. Derzeit steht sie der Kulturkommission vor und ist Ombudsfrau der IKG. Gleichzeitig ist sie im Bereich Flüchtlingshilfe aktiv. Mit dem Verein „Cardamom & Nelke“ und der Initiative „Salon der Kulturen“ versucht sie,
heimische Kulturschaffende mit jenen zu vernetzen, die sich in den vergangenen Monaten nach Österreich gerettet haben.

Von Alexia Weiss   

Claudia Prutscher organisiert nun schon seit einigen Jahren als Teil eines Teams den im Rahmen des weltweiten Shabbos Project gefeierten Community-Schabbate mit. Sie tut dies mit viel Herz, auch weil es ihr ein wirkliches Anliegen ist. Ihre Eltern waren jüdisch, haben das Judentum aber nicht gelebt. Die Flucht- beziehungsweise Überlebensgeschichten lasteten schwer auf dem religiösen Erbe: Im Österreich der Nachkriegszeit entschloss man sich, die eigene Identität nach außen nicht allzu offensiv zu zeigen.

„Mir ist es ein Bedürfnis zu helfen – ohne mich dabei in Politik einzumischen.“

So zog auch Prutscher ihre eigenen vier Kinder, die heute bereits alle erwachsen sind, zwar im Bewusstsein der jüdischen Identität, aber nicht wirklich jüdisch auf. Die älteste Tochter spürte jedoch schon früh eine spirituelle Verbundenheit mit der Religion der Ahnen. Seit Prutscher jedoch nach dem Tod ihrer Mutter vor etwa 15 Jahren beschloss, sich in der IKG einzuschreiben, Schiurim zu besuchen, zu lernen und ein bewusstes jüdisches Leben zu führen, sind auch ihre Kinder wieder näher an die jüdische Gemeinde gerückt. Der jüngste Sohn wurde bereits im Schomer groß und feierte Bar Mitzwa.

Rückblickend ist Prutscher froh über diesen Schwenk in ihrem Leben: Wäre sie dem Judentum nicht wieder nähergekommen, wäre es für sie und ihre Familie verloren gewesen. Die Mutter habe zwar nichts mehr gehalten, aber alles gewusst. „Und es war mir ein dringendes Bedürfnis, das aufzugreifen.“

Wissen und Erfahrung für Menschen in Not

Nun bringt sie in der Kultusgemeinde die Kompetenzen ein, die sie sich im Lauf ihres bisherigen abwechslungsreichen beruflichen Lebens erworben hat. Prutscher war in der Werbung tätig, in der Filmproduktion, im Außendienst einer Bausparkasse. Sie ist eingetragene Mediatorin, zertifizierter Coach, kennt sich in der Krisenintervention aus und in der interkulturellen Zusammenarbeit. So coachte sie im Zug eines Förderprogramms für Migranten und Migrantinnen vor wenigen Jahren Mentoren und Mentorinnen, die sich für deren Unterstützung zur Verfügung gestellt hatten. Die Initiative nannte sich „Mentoring und MigrantInnen“.

Seitdem weiß sie auch, worum es bei einem Einstieg in eine erfolgreiche Berufslaufbahn für Zuwanderer geht: einerseits die Nostrifizierung im Herkunftsland erworbener Bildungsabschlüsse. Vor allem aber: die Qualität der Deutschkenntnisse. „Selbst wenn man schon viel kann, ist es für viele Jobs noch zu wenig. Du musst dich einfach fließend unterhalten können. Der Knackpunkt ist, auch am Telefon alles zu verstehen. Da haben selbst Menschen Probleme, die schon seit Jahrzehnten hier leben. Man muss schon sagen: Hundertprozentige Integration ist sehr schwer. Aber sie ist möglich: Wie viele persische Ärzte haben nicht gezeigt, dass es möglich ist.“

Brücken bauen und unterstützen: Das ist Prutschers Revier. In der Kultusgemeinde tut sie dies vor allem als Ombudsfrau. So schaffte sie es, die Unruhen in der Grazer jüdischen Gemeinde zu beruhigen und wieder Gesprächsgrundlagen zu schaffen. Und sie hilft jenen Menschen, die sich an sie wenden, weil sie mit einer der Institutionen der IKG Probleme haben. Meist geht es dann um Klärung oder Unterstützung. Nicht immer kann sie hier das Maximum erreichen – aber vermitteln bedeutet schließlich auch: einander in der Mitte zu treffen.

Seit Neuestem vermittelt sie auch auf einem gänzlich anderen Parkett: zwischen Künstlern, die in den vergangenen Monaten als Flüchtlinge nach Österreich gekommen sind, und der heimischen Kulturszene. Als tausende Refugees im Sommer und Herbst nach Wien kamen, fuhr sie nicht nur wiederholt Flüchtlingsfamilien von Nickelsdorf nach Wien. Sie betreute auch eine im WUK eingerichtete Notschlafstelle mit – „da habe ich teilweise 48 Stunden durchgearbeitet“.

So suchte sie nach einer Möglichkeit, abseits politischer Statements und Positionierungen im Bereich Kultur tätig zu werden. Gemeinsam mit der Autorin und Köchin Parvin Razavi und dem Musiker Wolfgang Schlögl hat sie Kardamom & Nelke gegründet. Der Verein hilft Künstlern, sich in Österreich ein berufliches Netzwerk aufzubauen. Mehrmals im Jahr gibt es dafür, übrigens in Kooperation mit der Angewandten, Salons der Kulturen – der erste fand diesen Jänner statt. Die Verbindung zwischen Neuankömmlingen und der hiesigen Szene sollen dabei Kulinarik und Geselligkeit schaffen.

Was braucht ein Künstler, der aus einem Kriegsgebiet geflohen ist und sich bis Wien durchgeschlagen hat, fragte sich Prutscher. „Er braucht Menschen, er braucht Initiativen, die ihn dabei unterstützen, sich zu finden, sich wieder künstlerisch betätigen zu können und sich später einmal ein selbstbestimmtes Leben über die Kunst zu ermöglichen.“ Im ersten Salon wurden der iranische Schauspieler und Musiker Alireza Daryanavard, der syrische Maler und bildende Künstler Thaer Maarouf und der afghanische Musiker und Sänger Borhanulddin Hassan Zaddeh vorgestellt.

„Das ist mein jüngstes Baby“, erzählt Prutscher stolz und sprüht vor Energie. Selbst durch eine neuerliche Knieverletzung lässt sie sich nicht aus dem Tritt bringen. „Es ist mir ein Anliegen, im kulturellen Bereich etwas zu tun – weil ohne Kultur niemand weiterkommen kann. Und ich habe das Bedürfnis, etwas zur Integration beizutragen.“ Ein politisches Statement möchte sie durch diese Arbeit aber eben nicht abgeben. „Mir ist es ein Bedürfnis zu helfen – ohne mich dabei in Politik einzumischen.“

Dass die Ängste mancher in Zusammenhang mit den vielen Flüchtlingen, die zuletzt nach Österreich gekommen sind, durchaus – innerhalb und außerhalb der jüdischen Gemeinde – Berechtigung haben, will sie gar nicht in Abrede stellen. „Womit ich aber nicht kann, ist, dass diese Ängste zu einer totalen Ablehnung führen. Und zu rassistischen Übergriffen. Das ist eine Richtung, die mir große Angst macht. Wir haben diesen Zustand nicht gepachtet – wir sind durch Zufall hier geboren.“

Claudia Prutscher, geb. 1955 in Wien, Modeschule Hetzendorf, Lehrgang für Werbung und Verkauf an der Wirtschaftsuniversität. Kontakterin in Werbeagenturen in Wien und Düsseldorf, Assistenz im Bereich Filmproduktion, danach im Außendienst der Bausparkasse Wüstenrot. Parallel dazu Beginn von Ausbildungen im Bereich Coaching, Mediation, Gender Mainstrea­ming, Theaterpädagogik und Krisenintervention. Heute als freiberufliche Mediatorin und Coach tätig. Prutscher ist zudem Ombudsfrau der IKG Wien und seit einem Jahr auch Vorsitzende der Kulturkommission. Zuletzt hat sie die Initiative „Kardamom & Nelke“gestartet, die Kulturschaffende, die nach Österreich geflüchtet sind, mit der hiesigen Kulturszene vernetzt. Prutscher ist Mutter von vier erwachsenen Kindern.
cardamomundnelke.com

Bild: © Daniel Shaked

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