„Meine Familiengeschichte gehört meiner Familie,
aber auch dieser schönen Stadt.“
Meriel Schindler
WINA: Sie haben ein wunderbares Buch über das legendäre und einzige Tanzcafé in Innsbruck, also Ihre Familiengeschichte vor und nach dem Zweiten Weltkrieg geschrieben (Synopsis siehe Kasten). Da kommen viele schöne, aber auch schattige Seiten dieser Lebensabläufe vor. Ihre persönliche Beziehung zu Innsbruck und den heutigen Generationen haben Sie mit und nach dem Erscheinen des Buches sowie mit der Dramatisierung auf der Bühne des Tiroler Landestheaters offensichtlich im positiven Sinne aufgebaut.
Nach den ausführlichen Berichten in Tiroler Medien, mehrfach im ORF, scheinen sich viele Menschen dort erst über Ihre Person und Geschichte über die jüdischen Schicksale in ihrer Stadt, ihrem Land zwischen 1938 und 1945 bewusst geworden zu sein. Was immer wieder überrascht, ist, was man „damals alles nicht gewusst hat“. Wie konnten Sie sich mit all dem aussöhnen?
Meriel Schindler: Für mich ist interessant zu beobachten, wie viel sich in Innsbruck zuletzt verändert hat. Ich glaube, Sie haben recht: Ohne mein Buch wäre dies nicht passiert. Das Buch Café Schindler. Meine jüdische Familie, zwei Kriege und die Suche nach Wahrheit sieht man in allen Buchhandlungen in Innsbruck, es ist noch immer ein Bestseller. Wir haben seit November 2024 eine Tafel auf der Straße vor unserem Haus, da kann man die Geschichte auf Deutsch und Englisch lesen. Das Theaterstück, das im April 2024 uraufgeführt wurde, war ein weiterer Höhepunkt. Und Anfang April 2025 fand die Tagung Landhäuser und Gärten der Lebensreform im Archiv für Bau.Kunst.Geschichte der Universität Innsbruck statt, im Rahmen derer auch das Landhaus Schindler behandelt wurde. Das bedeutet, dass die Geschichte jetzt wirklich bekannt ist, und darüber freue ich mich sehr.
Wo sind Ihre Eltern Edith und Kurt Schindler begraben?
I In der gleichen Woche, als die Tafel angebracht wurde, haben wir auch die Asche unserer Eltern auf dem jüdischen Friedhof von Innsbruck begraben. Das war für unsere Familie ein Endpunkt und auch ein Neuanfang. Meine Familiengeschichte gehört meiner Familie, aber auch dieser schönen Stadt. Ich fühle mich dort sehr wohl – von einer Versöhnung kann man jetzt schon reden.

Hätte Kurt Schindler, Ihr Vater, auch den Menschen — seinen Verfolgern in Innsbruck — verzeihen können?
I Mein Vater hat seinen Verfolgern in Innsbruck nie verziehen, was im Krieg passiert ist, denn diese Vertreibung hat ihn völlig aus seiner Lebensbahn geworfen.
Haben die Erfahrungen, die Sie durch das Verfassen dieser großartigen Chronik zweier Weltkriege gemacht haben, Ihr Leben – oder das Ihrer Kinder – verändert?
I Es war wunderbar, das Theaterstück auf der Bühne in Innsbruck zu sehen. Im Mai 2026 kommt es noch einmal auf die Bühne des Tiroler Landestheaters. Ich habe mir durch meine gelegentlichen Probenbesuche und Gespräche viele Freunde im Theater gemacht, und die Schauspielerinnen und Darsteller haben mir mehrmals gesagt, dass das Theaterstück auch ihre Einstellung zu der Stadt und deren Geschichte verändert hat. Sie haben sich eingehend mit dieser Geschichte auseinandergesetzt. Es war auch toll, viele junge Leute im Theater zu sehen und auch mit Schülern und Schülerinnen über das Theaterstück zu sprechen. Im Mai 2026 kommt es noch einmal auf die Bühne des Tiroler Landestheaters. Ich hoffe auch sehr, dass das Buch ein Bestandteil des Lehrplanes wird. Und ich habe vor, Schulen in Tirol und vielleicht noch anderen Ländern zu besuchen, um die Geschichte weiterzuverbreiten, sobald ich ein bisschen mehr Zeit habe.
Fühlen Sie sich jetzt stärker zum Judentum hingezogen, oder stärker solidarisch?
I Ich fühle mich immer stark zum Judentum hingezogen, aber wir leben assimiliert.
Bleibt das Ihr einziges Buch, oder haben Sie als vielbeschäftigte Anwältin Lust auf das Schreiben bekommen?
I Ja, ich bin dabei, ein neues Buch zu schreiben, eine Spionagegeschichte in Brasilien im Ersten Weltkrieg.

Bewegend und ernüchternd
Die Londoner Anwältin Meriel Schindler hat mit ihrem genau recherchiertes Buch ihrer jüdischen Familie aus Innsbruck ein zutiefst berührendes literarisches Denkmal gesetzt. Es ist eine außergewöhnliche Geschichte, die zwei Jahrhunderte, zwei Weltkriege und ein Familienunternehmen umspannt.
Im Zentrum des Geschehens steht das legendäre Café Schindler, das von Meriels Großvater Hugo 1922 eröffnet wurde, der mit seinem Bruder erfolgreich die Spirituosenfabrik der Familie führte. Die Geschäfte florierten, das Café Schindler war das pulsierende Szenelokal Innsbrucks, in dem man bereits Jazz hörte und Ehen anbahnte – bis die Nazis kamen.
Schindler beschreibt ihren Vater als schillernde „verkrachte Existenz“, der gern G’schichterln erzählt. Ihr stellen sich viele offene Fragen: Was ist in der Pogromnacht am 9. November 1938 in Innsbruck passiert, als die Nationalsozialisten Kurts Vater halb zu Tode prügelten und das Haus durchsuchten?
Als ihr Vater 2017 stirbt, geht sie den Geheimnissen auf den Grund: Ausgehend von Fotos und Papieren, die sie in Kurts Cottage gefunden hat, beginnt Meriel ihre Entdeckungsreise in Österreich, Slowenien und den USA.
